Ein Herz für Pierre
Geflüchteter Mann aus Ruanda wird erfolgreich transplantiert
Ein dreiviertel Jahr nach seiner Herztransplantation kommt Pierre aus dem Echokardiografie-Raum in der Herztransplantations- und Kunstherzambulanz. Er ist sichtlich erleichtert. Gerade wurde eine Ultraschalluntersuchung seines transplantierten Herzens gemacht. Es sieht gesund aus. Später wird Privatdozentin Dr. Heidi Niehaus, Leiterin der Ambulanz in der MHH-Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie, ihm dies in einem Arztgespräch bestätigen. Das Herz weist keine Abstoßungssymptome auf, die Blutwerte sehen gut aus. Er soll in zwei Monaten zu einem weiteren Kontrolltermin wiederkommen. Ein Fall wie viele Herztransplantierte – und doch ist dies ein ganz besonderer.
Pierre ist in Ruanda geboren worden. Nach dem Grundstudium studierte er in Schweden Zoologie und kehrte nach dem Master-Abschluss in seine Heimat zurück. Aufgrund seiner ethnischen Herkunft und seiner politischen Einstellung wird es immer kritischer für ihn; er wird diskriminiert.
Der bis dahin gesunde Pierre erleidet 2020 im Alter von 32 Jahren nach einer Impfung einen Herzinfarkt. Er überlebt und bekommt Medikamente verschrieben. Dennoch verschlechtert sich sein Zustand erheblich; als Zeichen der entstandenen Herzschwäche plagen ihn Luftnot und Wasser im Körper. Pierre reist als Asylsuchender nach Europa, landet in Deutschland, in der Hoffnung auf Schutz und medizinische Versorgung.
In einem Krankenhaus in Bad Fallingbostel fällt auf, dass sich in der Herzkammer ein großes Gerinnsel gebildet hat. Aufgrund der Schwere der Erkrankung wird die MHH-Kardiologie kontaktiert. An einem Freitag Anfang Januar wird Pierre auf die Herzinsuffizienzeinheit übernommen. „Bei so jungen Menschen ist ein spontaner Einriss in der Gefäßinnenwand eine häufige Ursache für einen Herzinfarkt“, erklärt Dr. L. Christian Napp, geschäftsführender Oberarzt der Klinik für Kardiologie und Angiologie. „Das entstandene Gerinnsel ist eine eher seltene aber typische Komplikation eines Herzinfarkts. Es kann im schlimmsten Fall zu einem Schlaganfall führen.“
Die Kardiologen versuchen, das Blutgerinnsel medikamentös aufzulösen, und das schwache Herz mit Medikamenten zu entlasten und zu unterstützen. Über das Wochenende verbessert sich sein Zustand nicht. Da keine Aussicht auf Erholung der Herzfunktion besteht, spricht Dr. Napp mit Professor Dr. Axel Haverich, Direktor der Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie, und seinem Team über die Therapieoptionen: Die einzig verbleibende Möglichkeit, Pierres Leben zu retten, ist voraussichtlich eine Transplantation.
Zunächst scheint Pierres kritischer Zustand weitere Maßnahmen zu verhindern. Bereits bei Übernahme in die MHH bestand als Komplikation des langen Krankheitsverlaufs eine Lungenentzündung mit Vereiterung des Lungenfells. Dr. Patrick Zardo aus der Haverich-Klinik befreit minimal-invasiv Rippen- und Lungenfell von Eiter und Verklebungen. Pierre übersteht diesen Eingriff trotz der schweren Herzschwäche, und die Infektion gelangt unter Kontrolle.
Die Ärzte recherchieren und prüfen zu diesem Zeitpunkt bereits intensiv die Krankheitsgeschichte des Patienten, sprechen mit behandelnden Ärzten in Ruanda und Schweden, lassen sich die Patientenakte schicken und stellen den Fall der interdisziplinären, organspezifischen Transplantationskonferenz des Transplantationszentrums vor. Die Mitglieder entscheiden, Pierre mit Hochdringlichkeitsstatus auf die Warteliste für ein Spenderherz aufzunehmen. Er hat eine günstige Blutgruppe – und wird Ende Februar transplantiert. „Wir freuen uns sehr, dass Pierre heute gesund und munter ist“, sagt PD Dr. Fabio Ius, der die Transplantation durchgeführt hat. „Dies verdankt er seiner eigenen Selbstfürsorge sowie allen Behandelnden, die ihr Bestes gegeben haben, um diesem jungen Mann eine Zukunft zu ermöglichen.“
Mittlerweile lebt Pierre bei Hannover in einer eigenen Wohnung, kann sich körperlich gut belasten und versucht in seiner neuen Heimat auch beruflich Fuß zu fassen. „Ohne die Hilfe wäre ich gestorben. Ich bin allen Ärztinnen und Ärzten, Pflegekräften, dem deutschen Sozial- und Asylsystem und vor allem dem Organspender und seiner Familie zu großem Dank verpflichtet“, betont Pierre.