„Das Tollste war, dass ich Kakao trinken durfte...“

Juliane, seit 2003 im Alter von 9 Jahren nierentransplantiert

Portrait von Juliane. Copyright: privat
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„Nach genau 14 Monaten Dialyse kam dann endlich der ersehnte Anruf.“

Dont´take your organs to heaven – heaven knows we need them here

Ich saß auf dem blauen Sofa meiner fünf Jahre älteren Schwester, als unsere Eltern mit ernsten Gesichtern das Zimmer betraten. Sofort war mir klar, dass irgendwas passiert sein musste. Seit meiner Geburt bin ich nierenkrank. Meine Eltern sagten mir an diesem Sommertag 2002, dass ich an die Dialyse müsste, meine Blutwerte hätten sich weiter verschlechtert und mein Vater, der mir eigentlich eine seiner Nieren spenden wollte, wurde leider bei den Untersuchungen als Spender ausgeschlossen. Meine Mutter hatte meiner Schwester bereits im Jahr 2000 eine Niere gespendet und kam somit auch nicht als Spenderin in Frage. Zu diesem Zeitpunkt war ich acht Jahre alt. In einer Operation wurde mir ein Katheter in den Bauchraum gelegt, über den meine Mutter dann tagsüber alle vier Stunden die Bauchfelldialyse durchführte. Nachts waren 12 Stunden Pause. Mein Leben veränderte sich sehr. Freunde treffen und Kindergeburtstage waren immer an die Dialysezeiten gebunden. Ich musste mich an strenge Essens- und Verhaltensregeln halten. Nach genau 14 Monaten Dialyse kam dann endlich der ersehnte Anruf. Es gab ein Organangebot für mich. Also so schnell wie möglich die wichtigsten Dinge in den Koffer packen und dann los in die Medizinische Hochschule Hannover. Am 19.09.2003 wurde ich in einer fünfstündigen Operation erfolgreich nierentransplantiert.

 

„Für mich als Grundschulkind war das Leben stark eingeschränkt.“

Das Ganze ist über 16 Jahre her und ich habe immer noch einen Kloß im Hals, wenn ich an die Zeit der Dialyse zurückdenke. Für mich als Grundschulkind war das Leben stark eingeschränkt, ich durfte nicht am Sportunterricht teilnehmen, bin nicht mit meinen Klassenkameraden im Schulbus gefahren, durfte keine Schokolade und keine Pommes essen. Ich war ständig müde und hatte viel zu hohen Blutdruck. Die Dialyse schafft nur eine notdürftige Entgiftung des Körpers, jede Kraft, die Kinder zum „Gedeihen“ brauchen, fehlt.

 

„Ich bin jetzt 26 Jahre alt, habe viel Freude an meiner Arbeit als Sozialassistentin, ich habe tolle Freunde und eine Familie, die mich unterstützt.“

Nach der Transplantation war für mich das Tollste, dass ich Kakao trinken durfte, ohne riesengroße Tabletten dazu nehmen zu müssen. Natürlich war auch nach der Transplantation nicht alles rosarot, aber meine Lebensqualität hat sich erheblich verbessert. Ich bin weiterhin chronisch krank und muss täglich Medikamente nehmen, die mein Immunsystem unterdrücken, damit das gespendete Organ nicht abgestoßen wird. Das unterdrückte Immunsystem macht mich wiederum anfällig für  Krankheitserreger, auch für das neue Coronavirus. Und wie es so häufig bei Medikamenten ist, haben diese starke Nebenwirkungen. Außerdem ist es leider so, dass ein gespendetes Organ nicht ewig hält, durchschnittlich hält eine Transplantatniere 15 Jahre. Und was ist dann? Ich bin jetzt 26 Jahre alt, habe viel Freude an meiner Arbeit als Sozialassistentin, ich habe tolle Freunde und eine Familie, die mich unterstützt. Aber was ist, wenn das Organ seine Arbeit nicht mehr macht? Dann werde ich wieder auf die Dialyse angewiesen sein und 6 bis 8 Jahre warten, bis über Eurotransplant eine passende Niere gefunden wird. Bei einer Nierenerkrankung gibt es zum Glück die Möglichkeit der Ersatztherapie durch Dialyse. Das ist leider bei den meisten anderen Organen nicht möglich und die Patienten sterben „auf der Warteliste“.

 

„Mir ist es wichtig, dass jeder zum Thema Organspende seinen Standpunkt findet.“

Organspende ist für mich ein sehr persönliches Thema, weil es dabei  immer auch um den Tod geht. Menschen, die sich mit Organspende beschäftigen, müssen sich auch mit dem eigenen Tod oder dem Tod von Angehörigen auseinandersetzen.  Mir hilft dabei die Tatsache, dass der Hirntod von zwei Ärzten festgestellt wird. Nach dem Hirntod gibt es keinen Weg zurück ins Leben. Warum soll ich meine Organe behalten, wenn sie mir nichts mehr nützen? Für mich als gläubige Christin ist die Bereitschaft zur Organspende ein Akt der Nächstenliebe.

Mir ist es wichtig, dass jeder zum Thema Organspende seinen Standpunkt findet. Dann sollte man mit Familie und Freunden über die Entscheidung sprechen und einen Organspendeausweis ausfüllen. Darin kann man auch eine Organspende ausschließen. Damit erspart man seinen Hinterbliebenen eine schwere Entscheidung in einer traurigen Situation.