Einzelzentrum: Seelische Gesundheit bei seltenen syndromalen Erkrankungen
Psychische Erkrankungen können alle Menschen treffen. Treten diese bei Menschen mit einer seltenen syndromalen Erkrankung oder bei einer geistigen Behinderung auf, müssen verschiedenste Probleme auf einmal bedacht und gelöst werden. Die psychischen Veränderungen bedeuten oft auch eine Herausforderung für die Familien und Bezugspersonen der Betroffenen.
Diagnostischer und klinischer Schwerpunkt:
Unser besonderer Schwerpunkt liegt bei der Behandlung von Patienten, die unter einem genetischen Syndrom leiden:
- Prader-Willi-Syndrom (Menschen mit dieser Erkrankung bilden eine unserer größten Patientengruppen),
- Down-Syndrom,
- Cornelia-de-Lange-Syndrom,
- Lesch-Nyhan-Syndrom,
- Smith-Magenis-Syndrom,
- Klinefelter-Syndrom
- und weitere.
Betroffene leiden oft unter psychotischen Symptomen mit Halluzinationen und Wahnvorstellungen, können dabei von starken Ängsten geplagt sein und daraus resultierend teils aggressives Verhalten zeigen. Aber auch depressive Stimmungslagen stellen ein psychiatrisches Problemfeld bei diesen Patienten dar, wobei eine adäquate Behandlung die Lebensqualität verbessern kann. Über die genannten psychischen Probleme hinaus haben viele Patienten zusätzlich körperliche Probleme, beispielsweise kardiale Erkrankungen bei Patienten mit Down-Syndrom. Eine umfassende Gesundheitsversorgung in derselben Bandbreite, Qualität und auf demselben Standard wie für Menschen ohne geistige Behinderung ist – in Übereinstimmung mit dem Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen – ein wichtiges Versorgungsziel.
Weiterhin ist bei seltenen syndromalen Erkrankungen davon auszugehen, dass psychische Probleme mindestens so häufig vorkommen wie bei Gesunden – die Erfahrung zeigt, dass chronisch Erkrankte sogar eher höhere Inzidenzraten für psychische Erkrankungen haben. Zudem sind durch das Leben mit einer seltenen syndromalen Erkrankung in der Regel Anpassungsleistungen notwendig, die das normale Leben erschweren.
Forschungsschwerpunkt:
Neben der epidemiologischen und phänomenologischen Erfassung psychiatrischer Auffälligkeiten im Rahmen seltener syndromaler Erkrankungen mit mentaler Retardierung steht deren Charakterisierung auf molekularbiologischer (genomisch, epigenomisch, transkriptomisch, proteomisch und metabolomisch), endokrinologischer, neurophysiologischer und hirnstruktureller Ebene im Vordergrund. Dabei bestehen zum einen bereits enge Verbindungen zum Institut für Allgemeine Pharmakologie (Schwerpunkt: Lesch-Nyhan-Syndrom), zum anderen fügen sich die Untersuchungen insbesondere zu psychotischen Symptomen bei PWS in den bestehenden Schwerpunkt zu Störungen der Hirnentwicklung des Labors für Molekulare Neurowissenschaften ein. Hier bestehen sehr enge Kooperationen innerhalb der MHH (Klinik für Neurologie, Experimentelle Neurochirurgie), mit der TiHo (Institut für Pharmakologie) aber auch international mit dem INSERM Center for Psychiatry and Neurosciene, Paris Ste.-Anne, die eine translationale Erforschung der molekularen Grundlagen dieser Störungen ermöglichen. Die Erfassung psychiatrischer Auffälligkeiten bei weiteren seltenen Erkrankungen (mit/ohne mentale Retardierung) könnte hier problemlos eingefügt werden. Perspektivisch ist auch die Untersuchung betroffener Familien und ggf. die reverse Phänotypisierung von Variantenträgern geplant. Weitere intensive Kooperationen bestehen mit der Klinik für Kardiologie und Angiologie, mit der bereits klinische Studien zu Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern (u.a. Patienten mit Down-Syndrom) durchgeführt werden.
Kompetenzen des Einzelzentrums:
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Diagnostik
Standardisierte psychiatrische und verhaltensmedizinische Diagnostik
Neuropsychologische Untersuchung
Die Diagnostik dient auch der genauen Phänotypisierung der Patienten.
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Pharmakotherapie und Pharmakovigilanz
Monitoring von Wirkungen und Nebenwirkungen bei Patienten, die eine psychopharmakologische Intervention benötigen. Hintergrund ist die mangelnde Datenlage zur Behandlung von typischen psychiatrischen Erkrankungen bei Patienten mit seltenen syndromalen Erkrankungen und bei Patienten mit geistiger Behinderung
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Verhaltensmedizinische Intervention
Viele Probleme sind – v.a. bei geistiger Behinderung – mit den Techniken der Verhaltenstherapie behandelbar. Durch die enge Verzahnung mit dem Ausbildungsinstitut für Verhaltenstherapie und Verhaltensmeidzin (AVVM) der MHH besteht die Möglichkeit einer indikationsgerechten verhaltensmedizinischen Versorgung.
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Angehörigen-Betreuung
Unser Angebot richtet sich primär an erwachsene Patienten, aber auch die Beratung und (Mit-)Behandlung von Kindern und Jugendlichen ist grundsätzlich möglich. In vielen Fällen wird dabei der Beratung und Betreuung von Angehörigen und Mitarbeitern aus Heim- und Werkstatteinrichtungen eine wesentliche Bedeutung zukommen. Für diesen Zweck sollen passende Psychoedukationsangebote (Gruppen, Material zur Selbsthilfe etc.) entwickelt und evaluiert werden.