Anorektale Malformation / Analatresie
Der Begriff “Anorektale Malformationen” umfasst angeborene Fehlbildungen des Enddarms und des Afters (Anus). Diese bilden ein großes Spektrum von Erkrankungen, die sowohl bei Jungen als auch Mädchen auftreten und auch den Urogenitaltrakt mitbetreffen können.
Die Defekte entwickeln sich in der fünften bis siebten Woche der fetalen Entwicklung. Etwa 1 von 4000 Kindern werden mit einer Anorektalen Malformation geboren.
Zum Zeitpunkt der Geburt fällt beim Neugeborenen das Fehlen des Darmausgangs bzw. des Anus auf oder aber die anale Öffnung befindet sich an atypischer Stelle. Das Krankheitsspektrum reicht hierbei von gering ausgeprägten Befunden, die relativ einfach behandelt werden können (und dann meist eine exzellente funktionale Prognose haben) bis hin zu sehr komplexen Fehlbildungen mit einer Vielzahl von Diagnosen, die in Abhängigkeit vom Geschlecht korrigiert werden können.
Anorektale Malformationen treten bei Jungen etwas häufiger als bei Mädchen auf. Wie bei allen Anorektalen Malformationen reicht das Krankheitsspektrum von gering bis komplex. Die häufigste Fehlbildung bei Jungen ist Analatresie mit einer Verbindung (Fistel) zur Harnröhre (rektobulbäre bzw. rektoprostatische Fistel).
Folgende ARM sind beim Jungen häufig und werden in unserem Zentrum behandelt:
Analatresie ohne Fistel
Der Dickdarm endet blind ohne Verbindung zur Haut oder einem anderen Organ
Rektoperineale Fistel
Die Fistel mündet vor dem Analgrübchen in die Haut des Dammes, des Hodensacks oder des Penis (Abb.2)
Rektobulbäre und Rektoprostatische Fistel
Das Rektum mündet über eine Fistel in die obere oder untere Harnröhre (Abb. 3)
Blasenhalsfistel
Die Fistel verläuft vom Rektum in den Blasenhals (Abb.4, siehe auch Abb.9+14+15)
Rektumatresie und Rektumstenose
Die Analöffnung ist zwar normal, aber der Mastdarm ist unterbrochen, z.B. durch eine Membran oder durch einen fehlenden Darmabschnitt
Anorektale Malformationen sind beim Mädchen etwas seltener als beim Jungen. Wie bei allen Anorektalen Malformationen reicht das Krankheitsspektrum von gering bis komplex. Die häufigste Variante beim Mädchen ist die rektovestibuläre Fistel. Die meisten “hohen Analatresien” (nur noch selten gebrauchter Ausdruck) sind sogenannte kloakale Fehlbildungen. Eine rektovaginale Fistel stellt eine absolute Rarität dar.
Folgende ARM sind beim Mädchen häufig und werden in unserem Zentrum behandelt:
Analatresie ohne Fistel
Der Dickdarm endet blind ohne Verbindung zur Haut oder einem anderen Organ
Rektoperineale Fistel
Die Fistel mündet vor dem Analgrübchen zwischen demselben und dem Scheidenvorhof
Rektovestibuläre Fistel
Die Fistel mündet in den Scheidenvorhof, häufigste Form beim Mädchen
Kloakale Fehlbildung
Darm, Scheide und Harnröhre münden in einen gemeinsamen Kanal. Dabei kann die Länge dieses gemeinsamen Kanals variieren. Ist er länger als 3cm, ist die Operation komplexer
In der Regel fällt noch in der Geburtsklinik das Fehlen des Anus bzw. die anorektale Fehlbildung auf. Von dort wird Ihr Kind dann zu uns überwiesen. Zunächst schauen wir Ihr Kind genau an und untersuchen die Region des Anus und des Dammes (Perineum). Neben dieser „Blickdiagnose“ werden weitere Untersuchungen durchgeführt: Eine Ultraschalluntersuchung des Bauchraums, der Nieren und der Harnwege, des Herzens und des Rückenmarks; eine Urinuntersuchung; ggf. Röntgenaufnahmen von Bauch, Kreuz und Steißbein. Diese Untersuchungen sind wichtig, um sich ein Bild von der Form der anorektalen Fehlbildung zu machen.
Nach diesen ersten Untersuchungen können wir schon meist die Diagnose stellen und das weitere Vorgehen mit Ihnen besprechen. Wir bieten zudem allen Eltern die sehr gut geschriebenen Broschüren der Selbsthilfegruppe SOMA e.v. (www.soma-ev.de) an, die das Thema „Anorektale Fehlbildung“ ausführlich und laienverständlich erklären. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass diese in der Regel von den Eltern sehr dankbar aufgenommen werden und fundierte Informationen viele Ängste eher nehmen als verstärken.
Je nach Ausprägung und Art der Fehlbildung muss nur ein operativer Eingriff oder drei und mehr Operationen durchgeführt werden. Die erste Operation führen wir meist in den ersten Lebenstagen durch.
Hier einige Beispiele:
Rektoperineale Fistel: Dies ist eine „leichte bzw. tiefe Form“ der ARM. Bald nach der Geburt führen wir eine relativ oberflächliche, standardisierte Operation durch. Hierbei wird die Mündung des Enddarms (die Fistel) an die eigentliche Sollstelle (Analgrübchen) gebracht. In der Regel folgen dann keine weiteren Operationen mehr.
Sofern Ihr Kind über die Fistel ausreichend Stuhl abgesetzt, muss diese Operation nicht gleich in den ersten Tagen durchgeführt werden. In der Regel ist bei dieser Form der ARM kein künstlicher Darmausgang erforderlich.
Rektovestibuläre Fistel: Dies ist ebenfalls eine „leichte bzw. tiefe Form“ der ARM. Hierbei wird ebenfalls eine relativ oberflächliche, standardisierte Operation durchgeführt. Die Mündung des Enddarms im Scheidenvorhof (die Fistel) wird an die eigentliche Sollstelle (Analgrübchen) gebracht. In der Regel folgen dann keine weiteren Operationen mehr.
Sofern Ihr Kind über die Fistel ausreichend Stuhl abgesetzt, muss diese Operation nicht gleich in den ersten Tagen durchgeführt werden. Wenn die Fistel sehr klein ist und nicht aufgedehnt werden kann, muss vorübergehend ein künstlicher Darmausgang angelegt werden.
Komplexe Formen (z.B. mit Fistelverbindung zum Harntrakt) oder Kloakenfehlbildungen
Diese Kinder benötigen eine umfassendere Behandlung. Zunächst wird vorübergehend ein künstlicher Darmausgang (Anus praeter, Kolostoma) angelegt. Dies führen wir gewöhnlich am ersten oder zweiten Lebenstag durch. Der künstliche Darmausgang wird so gebildet, dass man einen Bauchschnitt anlegt, den Dickdarm durchtrennt, die zwei Enden durch die Bauchdecke nach außen führt und in die Haut einnäht. Dieses Vorgehen ermöglicht dem Kind seinen Stuhl abzugeben, sich normal zu ernähren und zu gedeihen.
Der künstliche Darmausgang bleibt meist ein bis drei Monate bestehen. Während dieser Zeit kann Ihr Kind zu Hause versorgt werden. Wir organisieren für Sie noch von der MHH aus die häusliche Betreuung durch eine spezielle Kinder-Stoma-Therapeutin/Therapeuten, die Ihnen in der erste Zeit zu Hause viele Fragen beantworten und hilfreiche Ratschläge für die Versorgung geben kann.
Typischer künstlicher Darmausgang (Anus praeter, Kolostoma) angelegt. Über einen Bauchschnitt wird der Dickdarm durchtrennt, die zwei Enden durch die Bauchdecke nach außen führt und in die Haut einnäht. Dieses Vorgehen ermöglicht dem Kind seinen Stuhl über das „zuführende Stoma“ abzugeben, sich normal zu ernähren und zu gedeihen. Über das „abführende“ Stoma kann mittels Kontrastmittel zu einem späteren Zeitpunkt bzw. vor der Durchzugsoperation die ARM genau klassifiziert werden (siehe „distales Kolostogramm)
Durchzugsoperation (=eigentliche Wiederherstellung bzw. Bildung der analen Öffnung) in der Regel zweite Operation:
Vor der eigentlichen Wiederherstellung bzw. Bildung der analen Öffnung (Durchzugsoperation) ist sehr wichtig, die Form der Fehlbildung genau zu klassifizieren. Dafür müssen gegebenenfalls weitere Untersuchungen erfolgen. Um die individuelle Anatomie Ihres Kindes genau zu verstehen, ggf. eine Verbindung der Fistel zum Harntrakt zu diagnostizieren und dann den richtigen operativen Zugang zu wählen ist eine spezielle Röntgenuntersuchung besonders wichtig, die man „distales Kolostogramm“ nennt (Abb. 9+10).
Beim distalen Kolostogramm wird ein Kontrastmittel in den unteren Teil des künstlichen Darmausgangs („abführender Schenkel“) eingebracht. Hierbei können wir sehen, wie weit der Abstand zwischen dem Enddarmblindsack und der eigentlichen Enddarmöffnung an der Haut ist, ob eine Fistel zum Harntrakt vorhanden ist und wie sie verläuft. Auch kann die Lage des Mastdarms (Rektums) in seiner Beziehung zum Kreuzbein (Os sacrum) bestimmt werden. Je höher das Rektum liegt, desto schwieriger ist es, dieses nur über einen operativen Zugang vom Gesäß aus ohne die Laparoskopie (s.u.) zu erreichen.
Bei der Durchzugsoperation, welche wir im ersten Lebensjahr (3.-4. Lebensmonat bzw. 5-6kg Körpergewicht) durchführen, kommen in unserer Klinik zwei Verfahren zur Anwendung:
- PSARP (posteriore sagittale anorektale Plastik)
- Laparoskopisch assistierte Anorektoplastik (LAARP)
PSARP (posteriore sagittale anorektale Plastik)
Mit dieser Operationsmethode lassen sich 90% aller ARM behandeln. Sie erfolgt in Bauchlage. Zunächst wird mittels Elektrostimulation des Schließmuskels die vorhandene Kraft für die Kontraktion bestimmt. Diese Bestimmung kann ein erster Hinweis auf die spätere Kontinenzprognose sein. Mit einer Schnittführung genau in der Mittellinie trennen wir dann das Rektum vom Urogenitaltrakt, bis ausreichend Länge vorhanden ist, um es am Damm (Perineum) in anatomisch korrekter Lage in die Analhaut einzunähen (Abb 11-13).
Lebenslange Begleitung
Neben der Expertise zur chirurgischen Korrektur kolorektaler Erkrankungen besteht an der MHH ein Programm zur Langzeitbetreuung. Hierdurch soll neben einem bestmöglichen funktionellen Ergebnis ein maximales Maß an Lebensqualität für die Patienten und deren Familien erreicht werden. Wir möchten die langfristige Anbindung vom ersten Tag bis zur Adoleszenz gewährleisten und Kindern und Eltern helfen, mit den Herausforderungen in der Pubertät und mit den zahlreich möglichen Problemen im Langzeitverlauf umzugehen.
Nach etwa zwei Wochen sieht der Operateur Sie in unserer Oberärztlichen Spezialsprechstunde für Anorektale Malformationen wieder. Beim ersten Abschnitt der Nachsorge wird die Analöffnung gedehnt. Hiermit möchten wir einer narbigen Enge des neu gebildeten Afters vorbeugen. Die Dehnung (Bougierung) erfolgt mit runden Metallstiften verschiedenen Durchmessers, den sogenannten Hegar-Stiften. Diese werden mit viel Gleitmittel (z.B. Vaseline) benetzt, in den After eingeführt und so die Narbe vorsichtig gedehnt. Der Durchmesser bzw. Größen der Hegar-Stifte werden über mehrere Wochen so lange erhöht, bis durchschnittlichen Aftergröße eines gleichaltrigen, gesunden Kindes erreicht ist. Diese Dehnungen werden zunächst täglich, später aber in abnehmender Häufigkeit durchgeführt. Auch wenn sie insbesondere zu Beginn noch sehr unangenehm sein können sind Bougierungen sehr wichtig, um narbige Verengungen oder ein Verschluss des neugebildeten Afters zu verhindern. Eine einmal entstandene hochgradige Enge (Stenose) des Anus ist sehr schwierig zu behandeln und manchmal nur durch weitere Operationen zu korrigieren.
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Durchführung der Bougierung für die meisten Eltern zunächst eine große Überwindung bedeutet. Nachdem wir Ihnen diesen Vorgang jedoch wiederholt ausführlich und mit viel Ruhe erklärt haben und Sie diese hier in unserer Klinik unter Anleitung durchgeführt haben, werden Sie das zu Hause in der Regel sehr gut schaffen. Wenn es jedoch irgendwelche Probleme gibt, sind wir telefonisch und auch in unserer Poliklinik jeden Tag für Sie da und stehen Ihnen mit Rat und Tat zur Seite. Uns ist es wichtig, dass Sie sich nach der Operation nicht alleine gelassen fühlen und wir den manchmal schwierigen Weg gemeinsam gehen.