Blasenekstrophie / Epispadie
Die Blasenekstrophie ist eine seltene angeborene Fehlbildung, welche zum sogenannten Blasenekstrophie-Epispadie-Komplex gehört. Man versteht hierunter eine nach außen hin offenliegende Harnblase, ein klaffendes Schambein (Symphyse) und – bei Jungen – eine Spaltung der Harnröhre entlang des Penisrückens (sog. Epispadie) bzw. - bei Mädchen – einer zweigeteilten Klitoris mit ebenfalls gespaltener Harnröhre.
Der Blasenekstrophie-Epispadie-Komplex tritt heute nur noch sehr selten auf (etwa eine von 40-50.000 Lebendgeburten). Meistens werden diese Erkrankungen bereits während der pränatalen Vorsorgeuntersuchungen mittels Ultraschall diagnostiziert. In solchen Fällen ist noch während der Schwangerschaft eine ausführliche Beratung durch ein interdisziplinäres Team notwendig.
Die Ursache für diesen Formkreis von Erkrankungen ist nicht bekannt. Darm, Blase und Geschlechtsorgane entstehen während des intrauterinen Wachstums aus einer gemeinsamen Anlage und bilden dann die jeweiligen Organe. Am Ende der Schwangerschaft soll der Darm an der korrekten Stelle durch den Schließmuskel kontrolliert werden, bei Mädchen müssen Gebärmutter und Scheide an der richtigen Stelle positioniert sein, während die Harnblase als geschlossenes Hohlorgan Urin sammeln soll, um ihn dann kontrolliert über die Harnröhre auszuscheiden. Bei den der Verschlussdefekten der Beckenorgane hat – um es ganz einfach auszudrücken - „die Natur vergessen“, diesen Vorgang erfolgreich abzuschließen. Im ausgeprägtesten und zum Glück extrem seltenen Fall haben diese Kinder ein sogenanntes Spaltbecken, bei dem alle drei genannten Organsysteme noch vereint sind und offen daliegen (sog. Fissura vesicointestinalis oder kloakale Ekstrophie). Bei der Blasenekstrophie sind die Blase und die Harnröhre betroffen und liegen als nichtverschlossene Platte auf dem ebenfalls nicht geschlossenen Becken. Bei der mildesten Form dieser Defektbildung ist je nach Ausprägung der nur ein Teil der Blase (sog. Blasenhals) einschließlich der Harnröhre oder nur die Harnröhre alleine nicht verschlossen. Dann blickt man bei den männlichen Säuglingen auf den flach erscheinenden Penis und die offene Harnröhre (Urethralrinne), aus der sich eigentlich die röhrenförmige Harnröhre hätte formen müssen. Weiterführende Informationen erhalten Sie unter: www.blasenekstrophie.de
Alle diese angeborenen Veränderungen lassen sich mit unterschiedlich gutem funktionellem und/oder kosmetischem Ergebnis operativ behandeln. Die langfristigen Erwartungen hinsichtlich des kosmetischen Erscheinungsbildes, der Kontinenz und der Sexualfunktion hängen jedoch immer von dem individuell unterschiedlichen Ausmaß der Erkrankung ab. Hierzu lassen sich im Vorfeld keine pauschalen Angaben machen. Diese speziellen Fehlbildungen bedürfen einer Vordiagnostik und ausführlicher Gespräche mit den Eltern.
Die Verschlussdefekte des Beckens werden heute meistens während der Pränataldiagnostik festgestellt. Wenn die werdenden Eltern dann in der Sprechstunde der MHH vorgestellt werden, beraten wir sie gerne über die jeweiligen Behandlungsmöglichkeiten und sprechen dabei auch über die langfristige Bedeutung der Erkrankungen für die betroffenen Familien.
Nach der Geburt werden die Kinder zunächst auf der neonatologischen Intensivstation der Kinderklinik betreut und auf mögliche weitere Erkrankungen hin untersucht.
Das chirurgische Vorgehen erfolgt bei der Blasenekstrophie, die hier als Beispiel genannt werden soll, innerhalb der ersten 2 Lebenswochen. Beim ersten Operationsschritt wird der fehlende Nabel rekonstruiert, die Blase verschlossen und dann im kleinen Becken an die richtige Stelle platziert. Die Muskulatur des späteren Blasenschließmuskels wird über den Blasenhals gelegt und das Becken verschlossen. Eine Durchtrennung der Beckenknochen ist bei der Operation nicht notwendig, da das Becken noch so formbar ist, dass der primäre Verschluss immer gelingt.
Nach der Operation werden die Beine zur Entlastung der Beckennaht für 6 Wochen aneinander gewickelt (sog. Meerjungfrauen oder Mumien-Verband). Während der Heilphase wird der Urin für 14 Tage über 2 Katheter, die in den Harnleitern liegen, abgeleitet. Nach deren Entfernung gelangt der Urin erstmalig in die neu geformte Blase und kann nach einer weiteren Woche durch die neue Harnröhre entleert werden.
Wiederholte, engmaschige körperliche Untersuchungen sowie weitere Diagnostik (Blutuntersuchung, Abstriche auf Bakterien, Ultraschall und Röntgenuntersuchungen) werden bei betroffenen Säuglingen durchgeführt. Es wird versucht, durch Kreislauf unterstützende Medikamente und Antibiotika die NEC „in den Griff“ zu bekommen. Dennoch kommt es oft vor, dass die Darmentzündung so schwer ist, dass eine generelle Bauchfellentzündung entsteht (Peritonitis) oder die Darmwand durchbricht. Dann müssen wir Ihr Kind operieren.
Die weiteren Schritte richten sich nach dem individuellen Verlauf und können an dieser Stelle nicht allgemeingültig dargestellt werden. Alle Patienten mit Erkrankungen aus diesem Formenkreis werden bei uns kontinuierlich und im individuell angepassten Intervall betreut.
Bereits während unseres ersten Gesprächs informieren wir über die Notwendigkeit, sich möglichst rasch mit einer Selbsthilfegruppe in Verbindung zu setzen. Denn die Betroffenen selbst und deren Angehörige können am besten über solch eine seltene Erkrankung und deren Bedeutung für das spätere Leben informieren. Wir verweisen dabei auf folgende website: www.blasenekstrophie.de