Morbus Hirschsprung
Synonyme: Hirschsprung-Krankheit, Aganglionose, Megacolon congenitum, HSCR
Der Morbus Hirschsprung (MH) ist eine angeborene Fehlbildung, die den Enddarm betrifft. Bei dieser Erkrankung sind die Nervenzellen der Darmwand (auch „intestinale Nervenzellen“ bzw. „Ganglienzellen“ genannt) nicht normal entwickelt. In den meisten Fällen ist das letzte Drittel des Dickdarms betroffen (Sigma und Rektum), in seltenen Fällen der gesamte Dickdarm (totale Kolonaganglionose bzw. Zülzer-Wilson-Syndrom). Der MH ist mit 1:3000 – 1:5000 Geburten relativ häufig, Jungen sind bis zu viermal häufiger betroffen als Mädchen.
Die Erkrankung wurde nach dem Kinderarzt Harald Hirschsprung benannt, der die Symptome 1888 erstmalig auf einem Kongress beschrieb und ihnen damals die Bezeichnung Megacolon congenitum gab.
Während der Verdauung bewirkt das Zusammenziehen (Kontraktion) der muskulären Darmwand in Richtung After eine „Peristaltische Welle“. Für eine solche Kontraktion sind Nervenzellen in der Darmwand nötig. Da diese Nervenzellen beim Morbus Hirschsprung im betroffenen Darmabschnitt fehlen, bleibt die normale Schiebebewegung (Peristaltik) aus, die den Stuhl in Richtung Mastdarm und Darmausgang (Anus) transportiert. Als Konsequenz setzen viele dieser Kinder nach der Geburt den ersten Stuhlgang verzögert ab (verzögerter Abgang des „Kindspechs“ bzw. des „Mekoniums“ nach mehr als 24-48 Stunden). Viele Patienten leiden in den ersten Wochen und Monaten an einer ausgeprägten Verstopfung, da sich der Darminhalt vor dem Abschnitt, dem die Nervenzellen fehlen, aufstaut und den Dickdarm ausdehnt. Die Kinder fallen dann durch einen stark aufgeblähten Bauch oder eine Gedeihstörung auf. Die Symptome können so ausgeprägt sein (sog. Megacolon), dass sie denen eines Darmverschlusses ähneln.
Manche Kinder entwickeln im Verlauf eine bakterielle Überwucherung des Dickdarms, die mitunter lebensbedrohlich sein kann (toxisches Megacolon). Nahezu alle Kinder mit Morbus Hirschsprung brauchen eine Operation.
Je nach Gesundheitszustand wird bei neugeborenen Kindern mit Morbus Hirschsprung bis zur eigentlichen Operation meist vorübergehend ein künstlicher Darmausgang angelegt. Nachdem sich das Kind stabilisiert hat und in einem besseren Allgemein- und Ernährungszustand ist, wird dann der Haupteingriff durchgeführt. Im Rahmen dieser zweiten Operation wird der betroffene Darmabschnitt, der keine Nervenzellen trägt, entfernt (Durchzugsoperation). Hierbei kommen minimal-invasive (laparoskopische) und transanale Methoden zum Einsatz. Für eine erfolgreiche Operation beim Morbus Hirschsprung ist viel Erfahrung und operative Expertise nötig. Daher sollten diese Kinder in Kinderchirurgischen Zentren behandelt werden, die diese Eingriffe häufig durchführen.
Eine große Herausforderung ist die rechtzeitige Diagnose der Gallengangatresie. Denn unter den fast 50% der Neugeborenen, die während der ersten Lebenstage eine harmlose passagere Gelbsucht entwickeln, müssen die tatsächlich kranken Patienten möglichst früh erkannt werden. Aus diesem Grund sollte jedes Neugeborene, bei dem die Gelbsucht länger als 14 Tage besteht, eine genauere Diagnostik erhalten. Hierbei steht die genaue Untersuchung des „Bilirubins“ im Blut an erster Stelle steht. Bilirubin ist ein gelbes Abbauprodukt roten Blutkörperchen und damit ein Farbstoff der Galle. Rote Blutkörperchen leben etwa 120 Tage, danach werden sie Leber und Milz abgebaut. Hiernach fällt zunächst das sogenannte „indirekte“ Bilirubin an, was im Körper weiter zur Leber transportiert wird. Dort wird es in das sogenannte „direkte“ Bilirubin umgewandelt, welches dann über die Galle in den Darm ausgeschieden wird. Bei der Gallengangatresie ist daher typischerweise das direkte Bilirubin im Blut des Kindes erhöht. Wenn Bilirubin-Werte nicht im altersentsprechenden Normalbereich liegen, sind weiterführende Untersuchungen bei einem entsprechend spezialisierten Kinderarzt (Pädiatrischer Gastroenterologe) und später in einem pädiatrischen Leberzentrum erforderlich. Zu diesen Zentren gehört auch das Kinderchirurgische Zentrum der MHH. Hier werden dann umfangreiche Untersuchungen durchgeführt, worunter auch eine Untersuchung der Gallenwege (Endoskopisch retrograde Cholangiopankreatikographie bzw. ERCP*) fällt. Sollte sich die Diagnose „Gallengangatresie“ bestätigen, muss eine offene Operation durchgeführt werden.
Seit dem Jahr 2017 gibt es in Niedersachsen ein Früherkennungsprogramm, um Patienten mit Gallengangatresie so rasch wie möglich zu entdecken. Denn außer der oben erwähnten Gelbverfärbung von Haut und Skleren ist der Stuhlgang des Kindes entfärbt (weißlich oder grau). Um diese Farbveränderung besser erkennen zu können, liegt jedem gelben Vorsorgeheft (wird für jedes Neugeborene angelegt) eine Stuhlfarbenkarte bei. Darauf ist eine Farbskala, mit der die Farbe des Stuhls in der Windel verglichen werden kann. Zusätzlich kann diese Farbvergleichsskala mit einer App verwendet werden, die sowohl für Android, als auch im Apple-Store unter dem Titel „Lebercheck bei Babys“ heruntergeladen werden kann. Bei einem auffälligen Farbmuster sollte dann umgehend der Kinderarzt aufgesucht werden, der dann darüber entscheidet, ob und wenn ja welche weiteren diagnostischen Maßnahmen notwendig sind. Diese Initiative wurde wurde von der MHH gemeinsam mit der Techniker Krankenkasse begründet und wird bis auf weiteres fortgesetzt.
Bis in die 50er Jahre hinein galt die Gallengangatresie als unheilbar. Erstmals gelang es 1959 dem japanischen Kinderchirurgen Morio Kasai, eine Operationstechnik zu entwickeln, mit die verschlossenen Gallenwege ersetzen werden konnten. Auf diese Weise überlebten die ersten Patienten die Erkrankung. Heute gibt es junge Frauen mit der Diagnose „Gallengangatresie“, die durch diese Operation geheilt wurden und bereits selber gesunde Kinder haben. Die von Kasai entwickelte Operationstechnik ist im Laufe der Jahre technisch weiterentwickelt worden, ohne jedoch das Prinzip der Operation zu verlassen. Ziel des Eingriffs ist es, die erkrankten und verschlossenen Gallenwege zu entfernen, die sich außerhalb der Leber befinden. Anschließend wird die Leberpforte** so präpariert, dass möglichst viele der zarten Gallenwege angeschnitten und eröffnet werden, die an dieser Stelle die Leber verlassen. Diese sind so klein und zart, dass sie nur unter einem Mikroskop zu erkennen sind. Wenn diese kleinen Gallenwege von der Erkrankung nicht zerstört sind, besteht die Chance, das sich die von der Leber gebildete Galle darüber in den Darm entleeren kann. Um diese "abtropfende" Galle aufzufangen, wird nun eine Darmschlinge verwendet, die mit ihrem offenen Ende wie ein Trichter in die Leberpforte eingenäht wird und die Galle aufnimmt. Diese Darmschlinge wird nach 50cm mit einer zweiten Darmschlinge verbunden, welche die Verdauungssekrete und Nahrung weiter in Richtung Dickdarm transportiert.
Dabei ist zu bedenken, dass es sich bei der Gallengangatresie um einen entzündlichen Prozess handelt, der durch die Operation selbst nicht beeinflusst wird. Diese schafft lediglich die Voraussetzung für einen freien Abfluss der Galle, wenn dieser wieder einsetzt. Unterstützen kann man diesen Prozess durch die Gabe entzündungshemmender Medikamente, über die wir Sie bereits vor einer geplanten Operation ausführlich aufklären.
Alle Kinder werden in unserem Zentrum nach o.g. Operationsprinzip behandelt. Nach der Kasai-Operation benötigen sie eine unterschiedlich lange Nachbehandlung. Schon während des operativen Eingriffs wird mit der Gabe von Antibiotika begonnen, die auch später noch fortgestzt wird. Sie sollen verhindern, dass es zu einer Infektion der Gallenwege bzw. der Leber kommt. Zusätzlich werden Präparate zur Unterstützung des Galleflusses gegeben (Ursodeoxycholsäure) und fehlende Nährstoffe (vor allem die Vitamine A, E, K und D) werden ersetzt. Damit die Kinder optimal gedeihen, ist es wegen der Störung der Fettverdauung oft notwendig, die Nahrung mit Spezialfetten (medium chain triglycerides bzw. „MCT-Fette“) anzureichern. Einige dieser Medikamente und Ernährungsformen können später abgesetzt werden und sind nicht mehr notwendig, wenn sich der Gallefluss normalisiert, die Kinder sich gut entwickeln und kontinuierlich an Gewicht zunehmen.
Prognose
Über 90% der Patienten, bei denen die Gallengangatresie rechtzeitig entdeckt wurde (innerhalb der ersten 60 Lebenstage) und die in einem pädiatrischen Leberzentrum behandelt wurden, überleben die kommenden 10 Jahre. Etwa die Hälfte von ihnen kann dabei viele Jahre mit der eigenen Leber weiterleben, während die anderen Patienten früher oder später eine Lebertransplantation benötigen. Weil es sich bei der Gallengangatresie aber um eine Erkrankung handelt, die mit der Operation nicht zwingend geheilt wird, kann bei den Patienten der fortschreitende bindegewebige Umbau und Verhärtung (Fibrosierung) der Leber fortschreiten. Dieser Prozess verläuft individuell sehr unterschiedlich und gerade zu Beginn der Erkrankung kann man keine zuverlässige Prognose stellen.
Auf der anderen Seite wissen wir heute, dass Kinder, die rechtzeitig nach Kasai operiert wurden, eine realistische Chance haben, lange mit ihrer eigenen Leber zu überleben. Als einziger verlässlicher prognostischer Marker wird der Bilirubinwert angesehen. Wenn dieser im Alter von 6 Monaten im Normbereich ist, dann sind die Chancen sehr hoch, dass der Patient ein im Wesentlichen unbeeinträchtigtes Leben mit einer sehr guten Langzeitprognose führen kann. Diese Überlebensquote hängt unter anderem von der Erfahrung des jeweiligen Zentrums ab. Heute darf man davon ausgehen, dass in den wenigen großen Kinderzentren mit hepatologischem Schwerpunkt gut 50% der Kinder mit Gallengangatresie eine mittel- und langfristig gute Chance haben, mit der eigenen Leber weiterzuleben.