Hypospadie
Die häufigste Fehlbildung am männlichen Genitale bezeichnet man als Hypospadie. Der Begriff Hypospadie leitet sich aus den griechischen Wörtern hypo (unter, zu wenig) und spadon (Riß, Rinne) ab. Sie wird durch drei Merkmale gekennzeichnet, deren Auftreten jedoch sehr variabel ist.
Die Harnröhrenöffnung (Meatus) liegt nicht auf der Spitze der Eichel (Glans), sondern mündet bei den leichten Formen in Höhe der Kranzfurche (Sulcus coronarius). Je weiter der die Harnröhrenöffnung jedoch von der Spitze des Penis entfernt ist, desto komplexer ist die Fehlbildung. In extremen (und zum Glück seltenen) Fällen kann die Harnröhre so stark verkürzt sein, dass ihre Öffnung am Übergang zum Hodensack (Scrotum) oder sogar im Bereich des Beckenbodens liegt. In diesen Fällen kann auch eine Störung der sexuellen Differenzierung (Entwicklung) vorliegen, die zunächst untersucht und ausgeschlossen werden muss.
Das zweite Merkmal betrifft die Vorhaut, die bei der Hypospadie nicht zirkulär um die Eichel geschlossen ist. Sie liegt vielmehr wie eine Art Hautlappen auf der Eichel und kann mit dieser auch noch fest verklebt sein. Außerdem erscheint die Eichel eher flach mit einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Krümmung.
Krümmung des Penisschaftes. Auch hier ist die Ausprägung sehr variabel. Bei den milden Formen beschränkt sich die Krümmung auf die Eichel, während bei ausgeprägten Befunden der ganze Penis extrem verkürzt und verzogen ist.
Die Hypospadie ist in den meisten Fällen eine isolierte Fehlbildung des Penis, die sich operativ korrigieren lässt. Die Hypospadie wird in der Regel immer operativ korrigiert. Auch wenn keine Probleme beim Wasserlassen (Miktion) auftreten und bei den milden Formen Sexualität und Zeugungsfähigkeit nicht beeinträchtigt sein werden, so bestehen nur selten Zweifel an der Notwendigkeit einer Operation. Denn es ist nach wie vor ein nicht zu unterschätzendes Merkmal, dass ein Junge bzw. Mann im Strahl „nach vorne urinieren“ kann. Das ist bei der Hypospadie nicht möglich und nicht nur der nach unten gerichtete Urinstrahl bereitet den Betroffenen vielfältige Probleme. Um den Kindern diese oftmals erniedrigenden Erfahrungen (z.B. „urinieren auf die Schuhe“) zu ersparen, wählt man das 2. Lebensjahr als guten Zeitpunkt für eine Korrektur. Das gilt für die häufigste und milde Form der Hypospadie, die etwa 80% der Patienten ausmachen. Bei den verbleibenden 20% der ca. 30 Hypospadiepatienten, die wir pro Jahr neu in unsere Betreuung aufnehmen, handelt es sich um höhergradige und bisweilen extreme Formen, die ein sehr individuelles Behandlungskonzept benötigen (siehe unten). Diese Beratung erfolgt in einem persönlichen Gespräch mit dem verantwortlichen Kinderurologen.
Die erste Kontaktaufnahme und Beratung sollte möglichst früh in unserer kinderurologischen Sprechstunde erfolgen. Dann können sich die Eltern rechtzeitig über die Erkrankung selbst und die Behandlungsmöglichkeiten informieren.
Bei milden Formen der Hypospadie und sonst gesunden Kindern benötigen wir keine umfangreichen Voruntersuchungen. Bei ausgeprägten Formen muss eine ausführliche Diagnostik erfolgen, da die Veränderungen des Penis Teil einer Störung der sexuellen Differenzierung (Entwicklung) sein können. In diesen Fällen beziehen wir ein MHH-basiertes interdisziplinäres Team ein, das den Patienten eine umfassende Untersuchung (Genetik, Hormone, etc.) sowie eine ausführliche Beratung und Betreuung anbietet. Bei komplexen Formen bzw. speziellen Fällen sollte der erste Besuch der kinderurologischen Sprechstunde möglichst früh stattfinden, damit die notwendigen zusätzlichen Untersuchungen rechtzeitig eingeleitet werden können.
Milde Formen der Hypospadie
Die Behandlung der leichten und damit häufigen Form der Hypospadie folgt bei uns einem definierten Standard. Vor der eigentlichen Operation schauen wir uns den Befund in unserer Sprechstunde an, erklären den Familien ganz genau den von uns vorgeschlagenen weiteren Ablauf und vereinbaren einen Operationstermin. Bei milden Formen der Hypospadie können wir den Eingriff am Tag nach der stationären Aufnahme in Vollnarkose durchführen.
Wir korrigieren die milde Form der Hypospadie immer nach derselben Technik (eine modifizierte Operation nach „Snodgrass“ und „Thiersch-Duplay“). Dabei wird die Harnröhre mit Gewebe aus Eichel und Penishaut konstruiert und mit Gewebe aus der Vorhaut gedeckt. Das bedeutet, dass die Vorhaut bei diesem Eingriff vollständig entfernt werden muss. Während der Operation wird ein kleiner Katheter in der neu formierten Harnröhre belassen. Am Ende des Eingriffs wickeln wir einen lockeren Verband um den Penis. Verband und Katheter werden in der Regel für 3 Tage belassen. Wenn der kleine Patient dann beschwerdefrei miktioniert, steht der Entlassung nichts mehr im Wege.
Komplexe Formen der Hypospadie
Ausgeprägtere Formen der Hypospadie können nicht nach einem Standardverfahren operiert werden, sondern benötigen ein individuelles Behandlungskonzept. Dabei richten sich das Ausmaß der Diagnostik und das chirurgische Verfahren u. a. nach der Länge der zu rekonstruierenden Harnröhre und den anatomischen Veränderungen des Genitale.
Der Katheter, der die neue Harnröhre schient und der Verband werden bei milden Formen am 3. Tag nach der Operation entfernt und die Kinder können wieder selber Wasser lassen. Die Kinder benötigen auch einen antibiotischen Schutz, manchmal sind auch Schmerzmedikamente notwendig. Wenn das Wasserlassen auch am nächsten Morgen schmerzfrei erfolgt, wird der Patient wieder entlassen. Fäden müssen nicht gezogen werden, da diese sich selbst auflösen.
Bei komplexen Formen wird die neugebildete Harnröhre in der Regel für eine Woche mit dem katheter geschient. Allerdings können diese Zeitvorgaben in jeder Richtung geändert werden. Das richtet sich nach dem Behandlungsplan, den wir mit den Eltern vor dem Eingriff aufstellen.
Eine ambulante Kontrolle ist ca. 6 Wochen und 6 Monate nach der Operation vorgesehen. Treten in den ersten Monaten keine Komplikationen auf, ist meist von einem lebenslangen guten operativen Erfolg, einschließlich normaler Entwicklung des Penis während der Pubertät, auszugehen.