Meningomyelocele / Spina bifida
Neugeborene, die mit einem Verschlussdefekt des Rückens geboren werden, leiden unter neurologischen Ausfällen unterschiedlichen Ausmaßes. Davon sind meistens die Beine und die Kontinenzfunktion von Blase und Darm betroffen. Außerdem ist bei vielen Patienten auch die Zirkulation des Hinwassers (Liquor) beeinträchtigt, wodurch sich ein Hydrozephalus (Wasserkopf) ausbilden kann. Fehlfunktionen dieser Art treten entweder isoliert oder in Kombination auf, bedeuten aber in den meisten Fällen eine erhebliche Belastung die Patienten und deren Familien. In Abhängigkeit von der jeweiligen Behinderung, benötigen die Kinder und Familien eine lebenslange individuelle medizinische Betreuung durch hochspezialisierte Ärzte und Therapeuten:
Orthopäden und Krankengymnasten sind die Ansprechpartner, wenn die unteren Extremitäten betroffen sind
Neurochirurgen oder Kinderchirurgen betreuen gemeinsam mit pädiatrischen Neurologen die Zirkulationsstörungen des Liquors und implantieren die jeweils benötigten Ventile (Ventriculo-peritoneale/atriale Shunts)
Kinderchirurgen und Kinderurologen diagnostizieren und behandeln gemeinsam mit Pädiatrischen Nephrologen (Nierenspezialisten) die Funktionsstörungen von Blase und Darm, sowie Uro- und Kontinenz-Therapeuten
Die Betreuung dieser Patienten beginnt unmittelbar nach der Geburt und wird bis zur Pubertät von Kindermedizinern fortgesetzt. Der Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen, der für jeden Heranwachsenden eine kritische Phase sein kann, ist für speziell für diese Patienten eine besondere Hürde, da sie eine jahrelange Betreuung verlassen, in der sich meistens stabile Vertrauensverhältnisse aufgebaut haben. Der Übergang in die Behandlung durch die Erwachsenenmedizin wird dann oft als Bruch empfunden. Hier ist es von Vorteil, wenn alle Disziplinen in derselben Klinik arbeiten und der Übergang von der Kinder- in die Erwachsenenmedizin ohne Bruch und Informationsverlust kontinuierlich vollzogen werden kann.
In jedem Fall ist es dringend zu empfehlen, dass sich die betroffenen Familien an Selbsthilfegruppen wenden. Denn wer kann einem Betroffenen besser zur Seite stehen, als die Gemeinschaft derjenigen Patienten, die unter derselben Krankheit leiden.
Heute werden Verschlussdefekte des Rückens meistens bei den Vorsorgeuntersuchungen und damit schon vor der Geburt diagnostiziert. In diesen Fällen beraten wir die Eltern über die zu erwartenden Funktionsstörungen und deren Behandlungsmöglichkeiten. Auf Wunsch begleiten wir Sie gerne, wenn Sie weiter in der Pränataldiagnostik der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der MHH betreut werden.
Nach der Geburt setzen wir lückenlos die Betreuung der Kinder in der Kinderklinik der MHH fort. An dieser interdisziplinären Behandlung beteiligen sich folgende Kliniken:
Gemeinsam mit den Kollegen der Neuropädiatrie werden die Zirkulationsstörungen des Liquors von der Neurochirurgie der MHH operativ behandelt.
Die Funktionsstörungen von Blase und Darm diagnostizieren und behandeln wir als Klinik für Kinderchirurgie gemeinsam mit den Kollegen der Urologie im Hause. Durch diese enge Kooperation gestaltet sich der Übergang von der Kinder- und die Erwachsenenmedizin sehr leicht, da beide Kliniken sich für die Betreuung der Patienten gleichermaßen zuständig fühlen und die räumliche Zuordnung sich nach dem Alter des Patienten richtet. Das gilt auch für die urotherapeutische Betreuung, die altersunabhängig vom selben Team wahrgenommen wird.
Die Abteilung für Kinderorthopädie ist räumlich und organisatorisch dem Annastift in Hannover zugeordnet. Die Kollegen kommen aber zur Behandlung in die Kinderklinik der MHH und behandeln die Patienten vor Ort.
So früh wie möglich empfehlen wir den Eltern, sich mit einer Selbsthilfegruppe in Verbindung zu setzen. Hier verweisen wir auf die website der Arbeitsgemeinschaft Spina Bifida und Hydrocephalus e. V. http://www.asbh.de/, deren Informationsbroschüren wir für die Eltern bereit halten. Weiterhin empfehlen und vermitteln wir die heimatnahe Anbindung an eines der deutschlandweit 120 Sozial-Pädiatrischen-Zentren.
Das Ziel der interdisziplinären Betreuung der Patienten ist neben der optimalen orthopädischen Versorgung und der zuverlässigen Verhinderung eines erhöhten Liquordrucks selbstverständlich auch der Erhalt der Nierenfunktion und das Erreichen einer sozialen Kontinenz für Stuhl und Urin. Am Beispiel der urologischen/nephrologischen Betreuung sei hier der Betreuungsplan aufgeführt, den wir hausintern erarbeitet haben und der die Grundlage für unsere Untersuchungsintervalle darstellt. Selbstverständlich kann solch ein Kalender nur eine Orientierungshilfe sein, die für jeden Patienten individuell angepasst wird.
Speziell jugendliche Patienten und ihre Eltern stellen immer wieder die Frage, wie es weitergehen soll, wenn man aus der kindermedizinische Versorgung herauswächst. Dieses Thema ist jahrzehntelang verschlafen und ignoriert worden. Dank der Initiative von Selbsthilfegruppen gibt es aber gerade zu dieser Frage neue Antworten. Unter dem Stichwort „Transition“ haben die jeweiligen Fachrichtungen Konzepte erarbeitet, nach denen die betroffenen Menschen von der Kinder- in die Erwachsenen-Medizin begleitet werden können. Daraus resultiert dann eine altersentsprechende Betreuung und der Kontakt zu der langen Vorgeschichte in der Pädiatrie geht nicht verloren. Auch wir haben im Zuge dieser Entwicklung eine sogenannte Transitions-Sprechstunde etabliert, die zunehmend genutzt wird.