Den Ursachen auf der Spur
Die MHH-Verkehrsunfallforschung
Seit beinahe 50 Jahren erforscht die MHH Verkehrsunfälle. Wenn es in Hannover oder der Umgebung zu einem Unfall mit Verletzten kommt, sind oft nicht nur Polizei und Rettungskräfte zur Stelle. Häufig sieht man auch silberne Fahrzeuge mit roten Streifen vor Ort, die zur Verkehrsunfallforschung der MHH gehören. Deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vermessen die Unfallstelle, machen Dutzende von Fotos und befragen die Beteiligten – natürlich immer auf freiwilliger Basis und ohne Rettungskräfte und Polizei zu behindern.
Bei einem Unfall werden nicht selten bis zu 3.000 verschiedene Daten aufgenommen, denn jedes noch so kleine Detail kann bei der Spurensuche von Bedeutung sein. Wie kam es zu dem Unfall? Hätte er z.B. durch Assistenzsysteme verhindert werden können? Wären besonders schwere Verletzungen durch bessere Schutzkleidung vermeidbar gewesen? Diese und andere Fragen bestimmen den Alltag der MHH-Unfallforscherinnen und -forscher.
Je nach Fragestellung können technische und medizinische Informationen über Tausende von Unfällen immer wieder neu ausgewertet werden. So entsteht eine verlässliche Grundlage für die Ausarbeitung von Gesetzen und Richtlinien. Die Erkenntnisse fließen aber auch in die Entwicklung neuer Produkte ein: So wurden und werden Motorradkleidung, Fahrradhelme, Sicherheitsgurte und sogar die Stoßstangenformen von Autos dank der Arbeit der MHH-Unfallforschung stetig verbessert. Ein Großteil dieser Arbeit wird durch öffentliche Gelder ermöglicht. Aber für besondere Projekte sind die Unfallforscher auf Spenden angewiesen.
Flyer über die Unfallforschung als Download
Aus der Arbeit der MHH-Unfallforschung
Fragen & Antworten zur Unfallforschung
Anfang der Siebziger war die Zahl der Verkehrsunfälle derart angestiegen, dass im Jahr 1971 mit etwa 20.000 die höchste Zahl Verkehrstoter registriert wurde und damit auch die Bundesregierung aktiv werden musste. Wissenschaftliche Teams in Heidelberg, Berlin und Hannover begannen, Unfälle vor Ort zu dokumentieren. In der niedersächsischen Landeshauptstadt war dabei der Unfallchirurg Professor Dr. Harald Tscherne in Kooperation mit der Technischen Universität Berlin der Gründer der Unfallforschung der MHH.
In diesem Erhebungsgebiet leben ca. 1,1 Mio. Menschen. Die Flächenausdehnung beträgt ca. 2.291 km², wovon etwa 10% als städtisches Gebiet ausgewiesen sind. Im Vergleich zur Fläche der Bundesrepublik, bei der ebenfalls 10% als bebaute Gebiete angesehen werden können, ergibt sich damit eine annähernde Vergleichbarkeit.
Bei der Unfalldokumentation werden aktuell zwei Modelle verfolgt. Einerseits werden im Rahmen von täglich wechselnden Sechsstundenschichten Verkehrsunfälle mit Personenschaden nach einem statistischen Stichprobenplan erhoben und andererseits werden schwerpunktmäßig besonders schwere Unfälle, die nicht bereits innerhalb der Stichprobe dokumentiert werden, rund um die Uhr erfasst.
Im Rahmen der Zufallsstichprobe wird eine für die Bundesrepublik repräsentative und hochrechenbare Datenbasis geschaffen. Aufgrund der erfreulichen Entwicklung der Verkehrssicherheit, ist die Anzahl der Unfälle mit Verstorbenen und Schwerstverletzten soweit zurück gegangen, dass die statistische Stichprobe eine nicht mehr ausreichende Datenbasis für Analysen bildet. Durch die im Jahr 2019 begonnene Vollerhebung der tödlichen Unfälle, die 2021 um die Erhebung von Unfällen mit vermutlich sehr schwer Verletzten Verkehrsteilnehmern ergänzt wurde, soll dem entgegengewirkt werden.
Zur Unfallaufnahme steht ein Aufnahmeteam bereit, das aus 2 Technikern, 1 Mediziner und 1 Koordinator besteht. Der Koordinator hat die Aufgabe, das Team nach dem statistischen Stichprobenplan zu leiten. Dem Team stehen 2 Einsatzfahrzeuge zur Verfügung. Die Alarmierung erfolgt durch Polizei und Feuerwehr.
Wird ein Verkehrsunfall mit Personenschaden gemeldet, der den Aufnahmekriterien entspricht , fährt das Aufnahmeteam zur Unfallstelle. Die Einsatzfahrzeuge sind u.a. mit diversen Messutensilien ausgerüstet, mit denen die Unfallstelle vermessen wird. Durch die Dokumentation der Unfallspuren und Fahrzeugbeschädigungen ist eine Rekonstruktion des Unfallgeschehens möglich. Des Weiteren erfolgen umfangreiche Erhebungen u.a. zu
- Umweltbedingungen
- baulichen Besonderheiten
- Straßengestaltung
- Verkehrsregelung
Die am Unfall beteiligten Fahrzeuge werden genauestens untersucht hinsichtlich
- Fahrzeugdeformationen
- Anprallstellen von Insassen bzw. äußeren Verkehrsteilnehmern
- technischer Kenndaten wie Fahrzeugart und technischer Ausstattung
Die beteiligten Personen werden befragt hinsichtlich
- Unfallhergang
- Persönlicher Daten
- Fahrerlaubnis, Dauer der Fahrzeugnutzung sowie anderer Besonderheiten
Unfallbeteiligte Fahrzeuge, die am Unfallort nicht untersucht werden können, werden zeitnah durch einen Nacharbeiter vermessen.
Mit einem separaten Fahrzeug fährt der im Team integrierte Mediziner zur Unfallstelle. Er beginnt noch am Unfallort mit der Dokumentation der Versorgung der Verletzten und der ärztlichen Maßnahmen. Im Krankenhaus komplettiert er dann die Informationen über die weitere Versorgung des Patienten. Art, Schwere und Lokalisation der Verletzungen werden dokumentiert, da nur so die erlittenen Verletzungen den technischen Ursachen gegenübergestellt und Maßnahmen der Verletzungsprophylaxe erarbeitet werden können. Selbstverständlich sind die Mitarbeiter in der Erstversorgung von Unfallpatienten ausgebildet, so dass sie bei Bedarf Hilfeleistung geben und vor Ort tätige Rettungskräfte unterstützen können.
Die erhobenen Daten werden in anonymisierter Form einer speziellen Unfalldatenbank zugeführt, die dann Grundlage aller weiteren Studien ist. Je nach Unfalltyp sind darin etwa 500 bis 3000 einzelne Informationen je Unfall erfasst. In jedem Jahr werden so in der Region Hannover etwa 700 Unfälle mit Personenschaden aufgenommen.