Migrantinnen und Migranten im deutschen Gesundheitswesen
Tagung an der Medizinischen Hochschule Hannover 2. - 3. September 2011
Kontinuierlich steigt die Zahl von Ärzt_innen, Pflegepersonal sowie Patient_innen, die einen Migrationshintergrund haben. Können Migrant_innen dazu beitragen den befürchteten Fachkräftemangel in der Gesundheitsversorgung in Deutschland zu entschärfen? Wie ist die aktuelle Situation und was muss geschehen, damit vorhandene Kompetenzen noch besser genutzt werden? Wie werden Migrant_innen ihrerseits vom deutschen Gesundheitswesen versorgt? Welche Ansprüche haben sie an die Versorgung und wo muss angesetzt werden, um die Versorgung und die Inanspruchnahme von Präventionsangeboten zu verbessern? Diesen Fragen gehen an der MHH zwei Tage lang Wissenschaftler_innen aus Medizin und anderen Fachdisziplinen nach. Ein besonderer Fokus wird dabei auf der Querschnittskategorie Geschlecht‘ liegen, denn Frauen und Männer sind von Migration ebenso wie von Gesundheit und Krankheit in unterschiedlicher Weise betroffen, und oftmals haben sie auch als Handelnde im Gesundheitssystem unterschiedliche Rollen oder sie nehmen ihre Rollen auf unterschiedliche Art und Weise wahr.
Chance oder Herausforderung? Diversity in der Medizin
Vortragsreihe zum 10-jährigen Bestehen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) 2016
Seit 10 Jahren gibt es in Deutschland das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Es
soll vor Diskriminierung wegen der zugeschriebenen Rasse oder ethnischen Herkunft,
wegen des Geschlechts oder der sexuellen Identität, wegen der Religion oder
Weltanschauung sowie wegen einer Behinderung oder des Alters schützen. Aber
das Wort "Diskriminierung" sucht man im Gesetzestext vergeblich. Welchen Schutz
bietet es dennoch im Erwerbsleben, oder handelt es sich eher um einen Papiertiger?
Prof'in Dr. Sibylle Raasch ist Rechtswissenschaftlerin mit den Schwerpunkten
Öffentliches Recht und Legal Gender Studies an der Universität Hamburg.
Die Medizin ist (war) männlich – trifft das heute noch zu? Heute liegt der Anteil der
Frauen im Medizinstudium bei 60,7 %, in der fachärztlichen Ausbildung bei über
50%, die Oberärztinnenquote liegt je nach Gebiet bei 10 - 70% und im niedergelassenen
hausärztlichen Bereich liegt der Frauenanteil bei über 50%. Es ist also an der
Zeit, dass Ärztinnen die Rahmenbedingungen für die ärztliche ambulante, stationäre
selbstständige und angestellte Tätigkeit definieren, damit wir unseren Beruf lange
und ohne Burn-Out zum Wohle der Patientinnen und Patienten ausüben können.
Christine Hidas ist Leiterin des Dialysezugangszentrums im Klinikum Darmstadt
und Vorsitzende der Regionalgruppe Frankfurt des Deutschen Ärztinnenbunds e.V.
Beschäftigt man sich mit Irritationen des Geschlechts, so ist die zentrale Frage:
Welcher Zusammenhang besteht zwischen Körper und psychischem Erleben
und Verhalten und wann kann/muss/soll eine Behandlung entweder der
Körpers, der Psyche oder von beidem erfolgen? Es muss daher überlegt
werden, wann man von einem männlichen bzw. weiblichen Körper spricht,
wann von einem männlichen oder weiblichen Geschlechtserleben bzw.
Geschlechtsrollenverhalten und ob es sich in all diesen Fällen um binäre
Konzepte handelt bzw. handeln sollte.
Prof'in Dr. Herta Richter-Appelt ist Sexualwissenschaftlerin am
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
UN-Behindertenrechtskonvention, Aktionspläne und gesetzliche
Benachteiligungsverbote verlangen von den Hochschulen und im
Gesundheitswesen angemessene Vorkehrungen und Barrierefreiheit für
behinderte Menschen. Diese werden vor- und zur Diskussion gestellt.
Prof. Dr. Felix Welti ist Professor für Sozial- und Gesundheitsrecht,
Recht der Rehabilitation und Behinderung an der Universität Kassel.
Zunehmend werden auch in der Altersmedizin Geschlechtsunterschiede
evident, die teilweise bereits in Leitlinien implementiert wurden. Praktisch
relevant, auch im Sinne einer Vermeidung unerwünschter Nebenwirkungen,
sind vor allem Unterschiede in der Wirkung kardiovaskulärer Pharmaka.
Differenzen im Alterungsprozess haben Konsequenzen für diagnostische und
therapeutische Algorithmen.
Prof'in Dr. Ursula Müller-Werdan ist Professorin für Geriatrie an der
Charité-Universitätsmedizin Berlin und ärztliche Leiterin des Evangelischen
Geriatriezentrums in Berlin.
Hochschulen und Studentenwerke bieten vermehrt Beratungs- und
Unterstützungsangebote für vielfältige Studierendengruppen an, um die
Chancengleichheit zu erhöhen. Welche Studierendengruppen lassen sich
identifizieren? Welche besonderen Bedürfnisse haben sie? Welche Angebote
sind für sie hilfreich?
Linda Wilken ist Leiterin in der Abteilung Soziales und Internationales des
Studentenwerks Hannover.
Knapp 20% beträgt der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund in
Deutschland. Seit den Abkommen zur Anwerbung von sogenannten
Arbeitsmigranten („Gastarbeiter“) in den 60iger Jahren ist eine große Zeitspanne
verstrichen. Man könnte deshalb annehmen, dass die Besonderheit der
medizinischen und pflegerischen Versorgung von Menschen anderer Herkunft dem
Gesundheitswesen bekannt ist und man von einer gleich guten Versorgung
ausgehen kann.
In der Praxis lässt sich jedoch leicht feststellen, dass es für Migrantinnen und
Migranten nach wie vor erhebliche Zugangsbarrieren zum Gesundheitswesen gibt,
die eine gleich gute Medizin und Pflege erschweren.
Die Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund ist sehr heterogen. Vor allem
ältere Migrantinnen und Migranten, Flüchtlinge, Kleinkinder, Illegalisierte und
Schwangere haben zum Teil besondere Bedarfe an medizinisch-pflegerischer
Unterstützung und Beratung, die vom derzeitigen Gesundheitswesen nicht
ausreichend erbracht werden (können). Seit einigen Jahren wird die Forderung
nach Kultursensibilität in der Medizin erhoben. Ob diese allerdings in der Praxis
umgesetzt wird, muss kritisch hinterfragt werden.
Elisabeth Wesselman ist im Psychologischen und Psycho-Onkologischen
Dienst des Klinikums Schwabing, Städtisches Klinikum München GmbH, tätig