Sterben wie ein Hund?
Konvergenzen und Divergenzen im human- und veterinärmedizinethischen Diskurs zum Lebensende von Menschen bzw. Heimtieren und Folgen für die Verhältnisbestimmung von Medizin- und Tierethik
Dying a dog's death? Converging and diverging ethical discourses in human and veterinary medicine about the end of life care for humans and pets and some consequences for the relations between medical and animal ethics
Projektbeschreibung
Sowohl in der klinischen Forschung als auch in der Therapie sind die zahlreichen Bezüge zwischen Human- und Tiermedizin evident: Für den Einsatz beim Menschen entwickelte Medikamente und Operationsverfahren werden zunächst an Tieren erprobt; Behandlungen (Diagnostik, Prothesen, Medikamente, Operationstechniken etc.), die für den Humanbereich etabliert sind, werden für die Tiermedizin adaptiert; Medikamente, die für Menschen zugelassen sind, werden für Heimtiere umgewidmet etc. Hierbei ist noch gar nicht berührt, dass sich die Gesundheitsvorsorge für Menschen mit der für Tiere in sehr vielen Bereichen überschneidet (vgl. Zoonosen, Antibiotikaresistenz, „One Health“-Initiative etc.).
Während auf Ebene der Forschung und Therapie Human- und Tiermedizin längst eng verzahnt sind, greifen die ethischen Diskussionen um den sinnvollen Einsatz der zur Verfügung stehenden Diagnostik, Medikamente und Techniken nur punktuell ineinander. Betrachtet man exemplarisch die Frage nach den Therapiezielen am Lebensende bei Mensch und Heimtier bzw. tierlichem companion[1], existieren zwar jeweils sehr umfangreiche Debatten. Eine Verschränkung der Diskurse hat zumindest in der akademischen Diskussion kaum stattgefunden, ist aber aktuell im Entstehen begriffen (vgl. zu einzelnen Vorstößen Coombes 2005, Mikuła et al. 2015, Rothenburger 2015, Stafleu 2016; siehe z. B. auch Knesl et al. 2017, Sandøe et al. 2016a, Williams et al. 2017). Bisher weitgehend unverbunden stehen nebeneinander auf der einen Seite die sehr breite Debatte um Sterbehilfe, Therapieziele und Ressourcenallokation bei geringer Erfolgsaussicht beim Menschen; auf der anderen Seite die Debatte über Euthanasie bzw. Therapieziele und über den Umfang von Therapien für erkrankte Heimtiere (siehe u. v. a. Binder 2011, Bobbert 2017, Bundesärztekammer 2011, Christiansen et al. 2016, Goldberg 2016, Janssens et al. 2013, Jox 2015, Marckmann 2015, Meijboom & Stassen 2009, Rollin 2016, Sandøe et al. 2016b, van Herten 2016).
Dies mag nicht nur angesichts der engen Verzahnung von Human- und Tiermedizin verwundern, sondern auch angesichts der kultur- und gesellschaftswissenschaftlichen Beobachtungen zum Mensch-(Heim-)Tier-Verhältnis. Heimtiere sind zu sog. Familienmitgliedern geworden und humane Praktiken werden auf das Heimtier übertragen, wie Coaching oder Tagesstätten für Hunde, Wellnesshotels für Kleintiere, Mode und Boutiquen für Vierbeiner etc. belegen. Außerdem werden auch Erfahrungen im Umgang mit Tieren in die Mensch-Mensch-Interaktion überführt; so wird etwa Trauerverhalten im Umgang mit dem verstorbenen Tier erlernt oder das Übernehmen von Verantwortung im Halten von Heimtieren eingeübt, um dann mutmaßlich im zwischenmenschlichen Bereich Anwendung zu finden (vgl. Julius et al. 2014, Mars 2013, Preuß 2016, Sandøe et al. 2016b).
Bemerkenswert ist die weitgehende Trennung der Diskurse von klassischer Medizin- und Tiermedizinethik auch insofern, als sich in der Tierethik, und hier insbesondere im Kontext von Tierversuchen und Nutztierhaltung, längst Forderungen nach gleichen Rechten, Ansprüchen oder Bewertungen für Mensch und Tier etabliert haben, die für viele Menschen offenbar an Plausibilität gewinnen. Es existieren gegenwärtig mehrere prominente Ansätze und Vorschläge, eine gemeinsame Ethik gegenüber Menschen und Tieren auszuweisen, wenn sich diese auch nach Extension, Begründung usf. unterscheiden (klassisch z. B. Singer 2011, Regan 2004, Taylor 1986).
Vor dem skizzierten Hintergrund und Forschungsstand wird ist das übergeordnete Ziel des beantragten Projektes die Verhältnisbestimmung und Zuordnung von Medizinethik und Tiermedizinethik innerhalb der normativen Ethik sein. Es wird ein Beitrag zur Beantwortung der Frage geleistet, ob wir von einer gemeinsamen Ethik für Mensch und Tier ausgehen sollten: Sollten die Ethik für Menschen und Tiere in eine umfassende Bioethik integriert werden, die ggf. einzelne Bereiche wie Medizin-, Wirtschafts- oder Forschungsethik kennt? Oder sollte von zwei weitgehend unabhängigen Feldern moralphilosophischer Begründung und Forschung ausgegangen werden? Sollten Tier- und Medizinethik separate Bereichsethiken innerhalb der angewandten Ethik darstellen? (Vgl. zu den unterschiedlichen Verortungen u. v. a. Grimm & Wild 2016, Baranzke 2002, Sturma & Heinrichs 2015, Trampota 2017.) Denkbar wäre aber z. B. auch, eine gemeinsame Ethik für Menschen und ihre companions auszuweisen und Wildtiere, Nutztiere etc. nach eigenen ethischen Maßstäben zu verhandeln, oder den Menschen zusammen mit seinen domestizierten Tieren einer Bereichsethik zuzuordnen, während Wildtiere z. B. in den Gegenstandsbereich der Natur- und Umweltethik fallen fallen (siehe z. B. auch Yeates & Savulescu 2017).
Diese leitende metaethische Fragestellung wird exemplarisch anhand des Themenfeldes der Therapieziele am Lebensende bei Mensch und Heimtier bearbeitet werden. Die end-of-life- Diskussionen eignen sich insofern für eine detaillierte Untersuchung, als die Erkrankungen und Behandlungsoptionen von Menschen und Heimtieren in vielen Fällen sehr ähnlich sind und es so anhand eines breiten Therapiespektrums erleichtern, die Diskussionen aus Medizin- und Tiermedizinethik anhand eines zentralen ärztlichen bzw. tierärztlichen Handlungsfeldes in Beziehung zu setzen. Ferner lässt sich die moralphilosophische Verhältnisbestimmung von Mensch und Tier am Beispiel des Todes von Mensch und Heimtier unbelasteter diskutieren als an den gesellschaftlich umstritteneren Themen der Nutztier- und Laborhaltung.
Unterhalb der metaethischen Leitfrage werden im Projekt zwei Ebenen aufgefächert werden: Zum einen werden Konvergenzen und Divergenzen in der medizin- und tiermedizinethischen Diskussion auf Ebene der akademischen normativen Ethik herauszuarbeiten herausgearbeitet und einzuordnen seineingeordnet. Dies betrifft v. a. die Kategorienapparate ethischer Bewertung. Zum anderen werden auf Ebene der Moral Wechselwirkungen zwischen den jeweiligen Vorstellungen identifiziert werden, wie wir mit Menschen bzw. Heimtieren am Lebensende umgehen sollten. Dies betrifft insbesondere die Bilder vom Sterben und die lebensweltliche Übertragung von Argumentationsmustern vom Menschen auf das Tier, v. a. aber auch vom Tier auf den Menschen.
Bezogen auf die zuletzt genannte Ebene der Moral lassen sich deutliche Bezüge zwischen der Wahrnehmung und Beurteilung heimtierlichen und menschlichen Sterbens darstellen, die bisher kaum systematisch nachgezeichnet wurden. Diese Bezugnahmen können, wenig überraschend, sowohl in einer ersten Richtung dahingehend ausgeprägt sein, dass eine dezidierte Abgrenzung menschlichen Sterbens von tierlichem Sterben stattfindet („er soll nicht leiden wie ein Tier“) (siehe z. B. Allmark 2002). Sie können aber auch als neuer und sich verstärkt manifestierender Trend in der Richtung erfolgen, dass die Gemeinsamkeit menschlichen und tierlichen Sterbens betont wird („auch ein Tier würde man nicht so leiden lassen“). Ziel eines Dissertationsprojektes wird es daher sein, diese alltagspraktischen Bezüge und Wechselwirkungen freizulegen und zu zeigen, ob und ggf. in welchem Umfang und in welcher Form die Erfahrungen im Umgang mit dem sterbenden Tier die Einschätzung menschlichen Sterbens beeinflussen und umgekehrt bzw. wie hier eine Praxis konstituiert wird, die vorreflexiv das Nachdenken über Tiere prägt (vgl. Diamond 2012). Analysiert und systematisiert werden die lebensweltlich jeweils herangezogenen Kategorien der moralischen Bewertung und Entscheidungsfindung, die Bilder vom Sterben sowie deren Funktionen in einem Entdeckungs- und Begründungszusammenhang.
Ebenso wird auf Ebene der normativen Ethik die Frage der Angleichung von Medizin- und Tiermedizinethik zu beantworten sein, nun wird jedoch die wissenschaftliche Diskussion rund um die Gestaltung des Lebensendes Gegenstand der Untersuchung: Welche Kategorien ethischer Bewertung finden sich sowohl in der medizinethischen als auch in der tierethischen Debatte, in welcher Intension und Extension werden sie verwendet? Wie unterscheidet sich dies jeweils nach fundamentalethischen Prämissen, etwa nach konsequentialistischem, deontologischem, tugendethischem Zugang etc.? Welche maßgeblichen Kategorien sind ggf. spezifisch für Human- bzw. Tiermedizinethik? Hier werden über den ethischen Diskurs hinaus die juristischen Kategorien und Regelungen zu berücksichtigen sein, die sich sowohl für die Human- als auch für die Veterinärmedizin in den Rechtsdiskursen anderer Länder (z. B. angelsächsischer Raum, Polen, Niederlande) deutlich unterscheiden können und entsprechend auch die jeweiligen nationalen moralischen bzw. ethischen Debatten nachhaltig prägen. Die Beantwortung dieser Fragen wird trägt nicht nur zur Verhältnisbestimmung von Tier- und Medizinethik beitragen, sondern wird dient als weiteres Ziel auch der inhaltlichen Schärfung der Kategorien innerhalb ihrer jeweiligen Diskurse dienen – was meint hier etwa ein „Sterben in Würde“ oder ein Handeln im Interesse des menschlichen oder tierlichen Patienten?
Abgrenzung und Verschränkung von Tier- und Medizinethik werden so auf drei Ebenen – Moral, normative Ethik, Metaethik – exemplarisch für das Lebensende aufgezeigt und offenbaren ggf. auch untereinander konvergente, divergente bzw. zeitversetzte Entwicklungen. Die Untersuchungen werden so zum Verständnis ggf. abweichender Einschätzungen etwa in Alltagsmoral, Klinischer Ethikberatung und universitärer Ethik beitragen.