Abgeschlossene Dissertationen

Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin

 

Promovend

Hannes Kahrass

 

Titel der Dissertation

Der Umgang mit ethisch-normativen Informationen im Kontext Evidenz-basierter Gesundheitsversorgung - Systematische Übersichtsarbeitenuns Status quo Analysen am Beispiel klinischer Leitlinien und redaktioneller Richtlinien

 

Abstract

Hintergrund: Eine Evidenz-basierte Gesundheitsversorgung zielt auf informierte Entscheidungen. Das bedeutet, dass neben Wünschen, Präferenzen und Bedenken der betroffenen Individuen auch die wissenschaftliche Evidenz im Entscheidungsprozess berücksichtigt werden sollte. Da Entscheidungen im Gesundheitswesen oft auch ethische Aspekte beinhalten, sollten ethisch-normative Informationen – in gleicher Weise wie deskriptiv-statistische – systematisch zusammengetragen transparent und werden. Derzeit gibt es hierfür allerdings keine etablierten Standards und es ist unklar, wie sich dieses Fehlen in der Praxis auf die Berücksichtigung ethischer Themen in medizinischen Leitlinien auswirkt.

Die ‚best verfügbare wissenschaftliche Evidenz‘ wird im Wesentlichen aus Fachpublikationen gewonnen. Daher ist entscheidend, dass alle für die weitere Nutzung relevanten Informationen berichtet werden. Um dies Sicherzustellen wurden eine Reihe von Richtlinien und Maßnahmen entwickelt, wie z.B. die Deklaration von Helsinki und Reporting Guidelines, welche zudem den Probandenschutz und die wissenschaftliche Qualität berücksichtigen. Herausgeber sind in einer zentralen Position, aber es ist unklar inwieweit sie die Orientierung und Einhaltung der oben genannten Vorgaben und Maßnahmen unterstützen.

Ziel: Es sollen 1) systematische Übersichtsarbeiten zu ethischen Themen in der Gesundheitsversorgung („Demenz“ und chronische Niereninsuffizienz“) durchgeführt, 2) die Berücksichtigung ethischer Themen in medizinischen Leitlinien erhoben und 3) die Hinweise auf zentrale Vorgaben und Maßnehmen zum Probandenschutz, der wissenschaftliche Qualität und vollständigem berichten in redaktionellen Richtlinien analysiert werden.

Methoden: Es werden systematische Übersichtsarbeiten zu ethischen Themen in der Versorgung vom Menschen mit Demenz und chronischer Insuffizienz erstellt. Das Vorgehen orientiert sich an den „klassischen“ Methoden für Übersichtarbeiten, wie sie u.a. im Cochrane Handbook beschrieben werden. Die Methodik wird durch Elemente der qualitativen Forschung, hier vor allem die zusammenfassende Inhaltsanalyse nach Mayring, auf den Untersuchungsgegenstand („ethische Themen“) angepasst. Den theoretischen Hintergrund für das Verständnis von Ethik bildet das Prinzipien-Modell von Beauchamp und Childress. Das entwickelte Themenspektrum der Demenz dient im Weiteren als Grundlage für eine Status quo Analyse zur Berücksichtigung ethischer Themen in zwölf medizinischen Versorgungsleitlinien.

Der Inhalt redaktioneller Richtlinien wird anhand folgender Themen analysiert: 1) Referenzen zu Institutionen, welche konkrete Richtlinien definieren, 2) Reporting Guidelines wie CONSORT, STARD, STROBE, MOOSE und PRISMA und 3) Maßnahmen und Instrumente zum Schutz von Probanden und zur Sicherung der wissenschaftlichen Qualität wie die informierte Einwilligung, das Ethik-Votum, die Studienregistrierung und die Regulation von Interessenkonflikten. Die Ergebnisse werden quantitativ und qualitativ ausgewertet und dargestellt.

Ergebnisse: Der "klassische" Ansatz für systematische Übersichtsarbeiten eignet sich, leicht adaptiert und ergänzt durch qualitative Methoden, für die Entwicklung von umfassenden qualitativen Spektren ethischer Themen. Für die Demenz werden 31 und für die chronische Insuffizienz 27 ethische Themen identifiziert. Von den analysierten Leitlinien ist keine ethikfrei, jedoch gibt es große Unterschiede, vor allem was a) die Anzahl der Nennungen (20% bis 77%), b) gegebene Empfehlungen (10% bis 71%) und c) ergänzende und weiterführende Informationen (0% bis 76%) angehet.

Eine Minderheit von 123 Herausgeber verweist in den redaktionellen Richtlinien auf Reporting Guidelines (im Mittel 8%). Über die Hälfte von ihnen benennt in diesem Kontext relevante Institutionen (im Mittel 42%) und Maßnahmen, welche auf die wissenschaftliche Qualität und den Schutz von Personen hinwirken (im Mittel 58%). Deutlich weniger redaktionellen Richtlinien spezifizieren ihre Angaben, so fordern z.B. 11% die Registrierungsnummer aus dem Studienregister und 6% erfragen Details zur informierten Einwilligung.

Diskussion: Systematische Ansätze zur Recherche ethisch-normativer Informationen sollten stärker eingesetzt werden um belastbare Grundlagen für die Evidenz-basierte Gesundheitsversorgung zu erstellen. Die festgestellte Heterogenität bei der Berücksichtigung ethischer Themen in medizinischen Leitlinien kann nur begrenzt durch die unterschiedlichen Versorgungskontexte erklärt werden. Trotz weiterhin offener Fragen und Herausforderungen können und sollten Minimalstandards bei der Entwicklung von Entscheidungsgrundlagen im Gesundheitswesen umgesetzt werden.

Herausgeber sollten ihre einflussreiche Position nutzen um stärker auf anerkannte Richtlinien und Maßnahmen zur Sicherung und Steigerung der wissenschaftlichen Qualität, den Schutz der Probanden und der Veröffentlichung aller relevanten Informationen hinzuwiesen. Dafür sollten die redaktionellen Richtlinien erweitert und konkretisiert werden.