Hintergrund
Die Zahl der untersuchten Patienten in klinischen Studien bis zur Marktzulassung eines Medikaments ist limitiert und möglicherweise durch das artifizielle Setting solcher Zulassungs-Studien nur begrenzt auf den klinischen Alltag übertragbar. Die Postmarketing-Überwachung eines Arzneimittels ist deswegen von besonderer Bedeutung.
Nach Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) umfasst die Pharmakovigilanz die Analyse und Abwehr von Arzneimittelrisiken und den Aufbau von Aktivitäten, die zur Entdeckung, Beurteilung sowie zum Verständnis und zur Vorbeugung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) dienen. Erkennung und Analyse von schweren, unerwünschten Arzneimittelwirkungen und deren Prävention sind damit auch Teil einer „Fehlerkultur“ in Kliniken.
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Übergeordnete Ziele
Gesamtziel des Projekts „Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie“ e.V. ist die Verbesserung der Arzneimittelsicherheit bei der Behandlung psychiatrischer Patienten. In insgesamt über 50 Projektkliniken (Deutschland, Österreich, Schweiz) werden fortlaufend „unerwünschte Arzneimittelwirkungen“ (UAW) unter Psychopharmaka erfasst, derzeit vor allem im stationären Bereich (nicht-interventionell).
Ziele sind Detektion, Analyse und Kausalitätsbeurteilung schwerer UAW. Damit können Inzidenzen von UAWs und spezifische Risiko-Profile von Substanzgruppen bzw. von Einzelsubstanzen ermittelt und miteinander verglichen werden.
Schwerpunkte sind die Analyse der Bedeutung von
- Arzneimittelinteraktionen,
- Risikokombinationen,
- der Polypharmazie,
- relevanter patientenbezogener Variablen (Alter, Geschlecht) sowie
- die Relevanz der Pharmakogenetik (Polymorphismen)
in der psychopharmakologischen Behandlung.
Das Projekt ist auch als System konzipiert, das im Bereich der Psychopharmakotherapie eine Signal- und Alarmfunktion für das Auftreten von klinisch bedeutsamen bzw. neuartigen UAW hat. Eine Arzneimittelüberwachung in der Psychiatrie ist Bestandteil der Qualitätssicherung in der Behandlung sowie Teil eines klinischen Risikomanagements. Arzneimittelsicherheit sollte als Teil einer "Behandlungskultur" im Rahmen eines umfassenden Patientenschutzkonzeptes verankert sein.
Aktuelle Projekte
Die aktuelle severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 (SARS-CoV-2)-Pandemie hat nahezu alle Bereiche der Medizin und des öffentlichen Lebens verändert – das betrifft auch die Psychopharmakotherapie. In einer aktuellen Publikation im „Nervenarzt“ werden klinisch relevante Aspekte aufgezeigt, die es aufgrund des erhöhten Infektionsrisikos vermehrt zu beachten gilt. Hierzu gehören u.a. Empfehlungen hinsichtlich der Neueinstellung von Patienten auf Clozapin, aber auch mögliche Interaktionen wie ein erhöhtes Risiko für thromboembolische Ereignisse, Veränderungen des Arzneistoffmetabolismus über die Enzyme des Cytochrom P450-Systems und atemdepressive Effekte.
Daraus resultierende Publikation:
Seifert J, Heck J, Eckermann G, Singer M, Bleich S, Grohmann R, Toto S. Psychopharmakotherapie in Zeiten der COVID-19-Pandemie [Psychopharmacotherapy during the COVID-19 pandemic]. Nervenarzt. 2020 Jul;91(7):604-610. PMID: 32488413; PMCID: PMC7265158. DOI
Arzneimittelbedingte Leberzellschädigungen können schwerste Folgen für Patienten haben. Es ist von hoher klinischer Relevanz zu verstehen, unter welchen Wirkstoffen diese auftreten können, da bei psychiatrischen Patienten oftmals auch weitere Risikofaktoren vorliegen (z.B. Substanzkonsum, ungesunde Ernährung). In einer Arbeit zum Thema arzneimittel-induzierte Leberzellschädigungen wird das Risiko einzelner Antipsychotika hierfür analysiert.
Daraus resultierende Publikation:
Druschky K, Toto S, Bleich S, Baumgärtner J, Engel RR, Grohmann R, Maier HB, Neyazi A, Rudolph YJ, Rüther E, Schwörer H, Seifert J, Stübner S, Degner D. Severe drug-induced liver injury in patients under treatment with antipsychotic drugs: data from the AMSP study. World J Biol Psychiatry. 2020 Sep 7:1-29. PMID: 32892689. DOI
Depressionen sind eines der häufigsten psychiatrischen Erkrankungen. Eines der wichtigsten Therapieansätze besteht in der Psychopharmakotherapie, welche nicht nur die Gabe von Antidepressiva umfasst. An der MHH werden gegenwärtig Daten unter verschiedenen Fragestellungen analysiert, um ein differenziertes Verständnis für die Psychopharmakotherapie bei depressiven Patienten zu erzielen. Eine der Fragestellungen ist hierbei, inwiefern sich die Auswahl an Wirkstoffen zwischen Männern und Frauen unterscheidet. Des Weiteren werden Veränderungen der Psychopharmakotherapie der Major Depression über einen Zeitraum von 17 Jahren untersucht.
Wissenschaftliche Kollaboration
Am AMSP-Projekt nehmen derzeit > 50 psychiatrische Kliniken aus Deutschland, Österreich und der Schweiz teil, die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule ist hierbei in intensiver Zusammenarbeit mit der Ludwig-Maximilians-Universität München Hauptsitz der AMSP und Teil des Zentrums der "Regionalgruppe Nord". Das Projekt steht in enger Kooperation mit staatlichen Institutionen auf nationaler und internationaler Ebene (beispielsweise mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM; der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft" (AkdÄ)) und ist Mitglied des „European Network of Centres for Pharmacoepidemiology and Pharmacovigilance“ ENCePP unter Leitung der „European Medicines Agency“ EMA.
Spezielle Kooperationspartner:
- Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, LMU München (Dr. R. Grohmann, Prof. E. Rüther)
- Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, UMG Göttingen (Prof. D. Degner)
- Institut für Klinische Pharmakologie, MHH Hannover (Prof. D. O. Stichtenoth, Dr. J. Heck)
AMSP Homepage
Nähere Informationen zu AMSP finden Sie unter: Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie (AMSP)
Forschungsgruppenmitglieder
Forschungsgruppenleitung
Prof. Dr. med. Stefan Bleich
Ärztlicher Direktor, AMSP-Vorsitzender
Telefon: 0511 / 532-6748
PD Dr. med. Sermin Toto
Geschäftsführende Oberärztin, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie
Telefon: 0511 / 532-2403
Sekretariat
Marzena Schaefer
Telefon: +49 511 532 5565
Telefax: +49 511 532 18573