Hintergrund
Die schwer behandelbare Depression (difficult to treat depression; DTD) bezeichnet eine Erkrankung, bei welcher Patient*innen erst nach mehrwöchigen Therapieversuchen mit Antidepressiva, Psychotherapie oder anderen Verfahren wie der elektrokonvulsiven Therapie (EKT) respondieren. Die therapeutischen Ansprechraten sinken jedoch mit der Erkrankungsdauer und ca. 20% der Patienten entwickeln einen chronischen Verlauf. Diverse Einflussfaktoren in der multikausalen Pathogenese der Depression sind identifiziert, das vollständige Verständnis der Pathophysiologie ist jedoch weiterhin Gegenstand der Forschung. Mögliche Ursachen einer DTD können z.B. ein unzureichender Medikamentenspiegel oder unentdeckte somatische oder psychiatrische Komorbiditäten sein. Zudem kann bei der klinischen Depression von verschiedenen Subtypen der Erkrankung ausgegangen werden, welchen jeweils eine unterschiedliche Pathogenese zugrunde liegt. Unsere Arbeitsgruppe widmet sich der Erforschung der DTD, um durch die Identifikation von klinischen und molekularbiologischen Biomarkern der DTD die Therapie der Erkrankung personalisiert gestalten und zielgerichtet verbessern zu können.
Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Untersuchung nicht-invasiver Hirnstimulationsverfahren wie der Elektrokonvulsiven Therapie (EKT). Die EKT gehört zu den wirksamsten Therapieverfahren zur Behandlung von schwersten psychiatrischen Erkrankungen, wie z.B. Subtypen der DTD oder pharmakotherapieresistenten Psychosen. Für eine EKT wird der*die Patient*in in eine Kurznarkose versetzt, während welcher ein kurzer Krampfanfall ausgelöst wird. Durch die langjährige Anwendung und Erforschung des Verfahrens ist gesichert, dass die EKT mehrere neuronale Prozesse wie eine erhöhte Synaptogenese (Entstehung neuer Nervenzellen) durch Ausschüttung von Neurotransmittern und Nervenwachstumsfaktoren bewirkt. Eine weitere Theorie liegt in der möglichen Unterbrechung von in Zusammenhang mit psychiatrischen Erkrankungen stehenden pathologischen Neurotransmitter-Mustern, welche durch eine EKT ähnlich eines „Reboot“ beim PC neu geordnet werden. Der Wirkmechanismus der EKT ist allerdings bis heute nicht gänzlich geklärt.
Weitere nicht-invasiven Hirnstimulationsverfahren sind die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) und die transkranielle Wechselstromstimulation (tACS). Durch die transkranielle Applikation geringer Ströme lässt sich gezielt die neuronale Erregbarkeit (tDCS) beziehungsweise die oszillatorische Dynamik von Nervenzellverbänden (tACS) beeinflussen. Diese Hirnstimulationsverfahren ermöglichen die nicht-invasive Prüfung von Hypothesen bezüglich der Relevanz kortikaler Hirnregionen und spezifischer oszillatorischer Muster für kognitive Verarbeitungsprozesse. Darüber hinaus wird derzeit erforscht, inwiefern dysfunktionale neuronale Netzwerke bei psychiatrischen Erkrankungen wie der Schizophrenie durch transkranielle Stromstimulation positiv beeinflusst werden können.
Übergeordnete Ziele
Das übergeordnete Ziel unserer Forschungsgruppe ist es Biomarker für die Subtypisierung von Patienten mit schweren affektiven Störungen zu entwickeln, um eine personalisierte Therapie zu ermöglichen. Ein Hauptschwerpunkt der Arbeitsgruppe liegt hierbei in der Untersuchung nicht-invasiver Hirnstimulationsverfahren wie der elektrokonvulsiven Therapie.
- Tiefe Phänotypisierung der Difficult to treat Depression
- Identifikation von epigenetischen Markern zur Prädiktion des Therapieverlaufs bei depressiven Patient*innen
- Epigenetic Imaging zur Responseprädiktion
- Analyse von prädiktiven Biomarkern bei EKT
In unserer prospektiven, longitudinalen Registerstudie werden Patient*innen, welche eine elektrokonvulsive Therapie (EKT) erhalten systematisch an mehreren Zeitpunkten untersucht. Ziel der Studie ist den Einfluss klinischer und molekularbiologischer Faktoren auf den Krankheits- und Therapieverlauf der Patient*innen zu untersuchen. Im Register werden neurological soft signs der Patienten sowie eine differenzierte Psychometrie erhoben. Weiterhin liegt ein Fokus auf der Identifikation von epigenetischen Responsemarkern die eine Subtypisierung von Patienten, welche am ehesten von einer EKT profitieren zum Ziel hat. Das Register trägt zum Genetics of ECT International Consortium (GenECT-ic) bei.
Weitere Informationen können Sie unserem Flyer entnehmen.
Publikationen
- Moschny N, Zindler T, Jahn K, Dorda M, Davenport CF, Wiehlmann L, Maier HB, Eberle F, Bleich S, Neyazi A, Frieling H. Novel candidate genes for ECT response prediction-a pilot study analyzing the DNA methylome of depressed patients receiving electroconvulsive therapy. Clin Epigenetics. 2020 Jul 29;12(1):114. DOI
- Neyazi A, Theilmann W, Brandt C, Rantamäki T, Matsui N, Rhein M, Kornhuber J, Bajbouj M, Sperling W, Bleich S, Frieling H, Löscher W. P11 promoter methylation predicts the antidepressant effect of electroconvulsive therapy. Transl Psychiatry. 2018 Jan 22;8(1):25. DOI
- Maier H, Helm S, Toto S, Moschny N, Sperling W, Hillemacher T, Kahl KG, Jakubovski E, Bleich S, Frieling H, Neyazi A. S100B, Homocysteine, Vitamin B12, Folic Acid, and Procalcitonin Serum Levels in Remitters to Electroconvulsive Therapy: A Pilot Study. Dis Markers. 2018 Jan 10;2018:2358451. DOI
Ein Anteil der Patient*innen, welche an einer schweren depressiven Episode leiden, entwickeln im Laufe ihres Lebens eine therapieresistente Depression (difficult to treat depression; DTD). Die Patient*innen mit einer DTD erreichen trotz mehrfacher Therapieversuche häufig keine Voll-Remission. Die Gründe hierfür können vielfältig sein: psychiatrische oder somatische Komorbiditäten, genetische Polymorphismen in einem Cytochrom P450-Enzym (CYP), wodurch kein wirksamer Medikamentenspiegel aufgebaut werden kann oder das Vorliegen einer Pseudoresistenz (zu kurze Gabe eines Medikaments, zu kurze Einnahmedauer oder die Nicht-Einnahme des Medikaments). Ziel unserer Registerstudie ist eine tiefe Phänotypisierung und Subtypisierung der Patient*innen mit einer DTD, sowie die Identifikation von epigenetischen Prädiktionsparametern.
Wir rekrutieren Patient*innen, welche an einer therapieresistenten Depression oder einer difficult to treat Depression leiden. Im Rahmen dieser Studie erfolgt eine genaue Charakterisierung und Phänotypisierung der aktuellen Erkrankung. Bei Interesse gerne Kontaktaufnahme über den Flyer.
Forschungsprojekt, welches aus den NEKTOR- & DTD-Patientenregistern resultiert:
Eine Subgruppe depressiver Patienten ist durch Störungen in der neuronalen Synapsenbildung und/oder der Funktionsweise des Immunsystems gekennzeichnet. Die EKT beeinflusst beide Prozesse; der Bezug zur Remission (d.h. der Verbesserung der depressiven Symptomatik) bleibt dabei ungeklärt, weshalb wir EKT-Responder und Non-Responder hinsichtlich der Zusammensetzung ihres Immunsystems und ihrer DNA Methylierung untersuchen. Erste Ergebnisse wurden bereits publiziert, weitere Untersuchungen umfassen die Analyse epigenetischer Veränderungen in einzelnen Immunzellsubpopulationen (NK-Zellen).
Publikationen
- Moschny N, Jahn K, Maier HB, Khan AQ, Ballmaier M, Liepach K, Sack M, Skripuletz T, Bleich S, Frieling H, Neyazi A. Electroconvulsive therapy, changes in immune cell ratios, and their association with seizure quality and clinical outcome in depressed patients. Eur Neuropsychopharmacol. 2020 Jul;36:18-28. DOI
- Moschny N, Jahn K, Bajbouj M, Maier HB, Ballmaier M, Khan AQ, Pollak C, Bleich S, Frieling H, Neyazi A. DNA Methylation of the t-PA Gene Differs Between Various Immune Cell Subtypes Isolated From Depressed Patients Receiving Electroconvulsive Therapy. Front Psychiatry. 2020 Jun 19;11:571. DOI
Forschungsprojekt, welches aus den NEKTOR- & DTD-Patientenregistern resultiert:
Fortschritte im Neuroimaging (z.B. Magnetresonanztomographie; MRT) tragen im Wesentlichen dazu bei, dass mögliche neuronale Mechanismen, die der schweren depressiven Episode zugrunde liegen, aufgedeckt werden. Bildmorphologische Studien (resting-state funktionale cerebrale MRT; rs-fcMRT) konnten Veränderungen der Konnektivität zwischen verschiedenen Hirnarealen bei Patient*innen mit einer schweren depressiven Episode im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe nachweisen. In strukturellen MRT-Bildgebungen konnte vielfach ein höheres Hippokampus- und Amygdala-Volumen bei schwer depressiven Patient*innen nachgewiesen werden. Bildmorphologische Analysen und insbesondere das Epigenetic imaging dienen zum weiterführenden Verständnis der DTD. Ziel der Studie sind die Identifikation möglicher Responseprädiktoren. Derzeit rekrutiert die Forschungsgruppe im Rahmen einer prospektiven und longitudinalen Studie Patient*innen, welche an einer schwer behandelbaren Depression leiden und / oder eine elektrokonvulsive Therapie erhalten.
In dieser klinischen Prüfung (Phase IIIB-Studie), wird in Zusammenarbeit mit der Herstellerfirma Janssen, die Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit von S-Ketamin-Nasenspray im Vergleich zu Quetiapin retard bei erwachsenen Patient*innen mit einer therapieresistenten schwerer Depression (vorausgegangene Behandlung mit mindestens zwei antidepressiven Medikamenten aus zwei unterschiedlichen Wirkklassen in ausreichender Dosierung und über einen ausreichenden Zeitraum) unter fortlaufender Therapie mit einem selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer/Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer überprüft.
Wissenschaftliche Kollaborationen
MHH-intern
- Prof. Dr. Mike Wattjes, Klinik für Neuroradiologie
- Prof. Dr. Tillmann Krüger, Klinische Psychologie und Sexualmedizin
Deutschlandweit
- PD Dr. Franz-Josef Müller, Zentrum für Integrative Psychiatrie, Kiel
- Prof. Dr. Malek Bajbouj, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité, Berlin
- Prof. Dr. Jürgen Deckert, Prof.‘in Dr. Sarah Kittel-Schneider, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Würzburg
International
- The Global ECT-MRI Research Collaboration (GEMRIC)
- Genetics of ECT International Consortium (GenECT-ic)
Preise, Förderungen
- Preis der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie (DGBP; 2019). Für den wissenschaftlichen Beitrag am DGBP-AGNP Kongress 2019 (Poster & Präsentation), Nicole Moschny
- Preis der Annika-Liese-Stiftung für Depressionsforschung (2018/2019). Für die Arbeit „P11 promoter methylation predicts the antidepressant effect of electroconvulsive therapy“, Alexandra Neyazi, Dotiert mit: 10.000 €
- Hochschulinterne Leistungsförderung (HiLF 1). Für das Projekt „Epigenetische Regulation und Expression des glia cell-derived neurotrophic factor (GDNF) bei depressiven Patienten unter pharmakologischer und elektrokonvulsiver Behandlung.“, Alexandra Neyazi, Förderung: 22.397 €
- Posterpreis der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN; 2016). Für das Projekt „Marker für das Ansprechen der Elektrokonvulsionstherapie? Homocystein, Vitamin B12, Vitamin B11 und S100-Plasmalevel im Behandlungsverlauf", Hannah Maier
Forschungsgruppenmitglieder
Forschungsgruppenleitung
Prof. Dr. Helge Frieling
Stellvertretender Klinikdirektor
Publikationen: Pubmed
PD Dr. Alexandra Neyazi
Geschäftsführende Oberärztin
Telefon: +49 511 532 2397
neyazi.alexandra@mh-hannover.de
Exzellenz auf einen Blick:
- Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie
- Ärztliche Beauftragte für Medizinprodukte und Stimulationsverfahren
Publikationen: Pubmed
Dr. Hannah Maier
Wissenschaftliche und ärztliche Mitarbeiterin
Telefon: +49 511 532 3167
Forschungsschwerpunkte:
- Difficult to treat depression (DTD) und therapieresistente Depression
- Nicht-invasive Hirnstimulationsverfahren, z.B. Elektrokonvulsive Therapie (EKT), Vagus-Nerv-Stimulation (VNS)
- Neuroimaging, insbesondere epigenetic imaging
Publikationen: Pubmed
Sekretariat
Telefon: +49 511 532 2397
folsche.thorsten@mh-hannover.de
Forschungsschwerpunkte:
- Bipolare Störung
- Therapieresistente Depression
- Epigenetische Analysen zur Responseprädikation
Forschungsschwerpunkte:
- Charakterisierung von Immunzellen mittels FACS
- Epigenetische Analysen mittels Sanger-/NGS-/Nanopore-Sequenzierung
- Neuroimmunologie
Publikationen: Pubmed
Forschungsschwerpunkte:
- Molekulare Basis von prädiktiven Biomarkern
- Modulation der Methylierung zum Verständnis ihrer funktionellen Bedeutung
Publikationen: Pubmed
schuelke.rasmus@mh-hannover.de
Publikationen: Pubmed
Forschungsschwerpunkte:
- Neuronale Korrelate von coverbalen Gesten bei Schizophrenie
- Nicht-invasive Hirnstimulation: transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS), transkranielle Wechselstromstimulation (tACS)