Hintergrund
Die Forschungsgruppe „Psychotherapieforschung und tagesklinische Versorgungsforschung“ beschäftigt sich mit Fragen zur Wirkung und Wirkungsweise verschiedener Psychotherapieverfahren, insbesondere körperorientierter Psychotherapieverfahren und Gruppenpsychotherapie, sowie des speziellen psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgungsangebots der Tagesklinik. Eine besondere Beachtung finden dabei patientenbezogene Merkmale wie das Patientenerleben und der Bindungsstil von Patienten.
Übergeordnete Ziele
Obwohl bereits viele Forschungsergebnisse zur Wirkung und Wirkungsweise von Psychotherapie vorliegen, ist hierzu bislang für bestimmte therapeutische Angebote vergleichsweise noch wenig bekannt. Hierzu zählen zum Beispiel körperorientierte Psychotherapieverfahren oder die tagesklinische Behandlung. Dabei ist körperorientierte Psychotherapie, insbesondere in Form von Gruppentherapie, ein fester Bestandteil (teil-)stationärer Psychotherapie in der Psychosomatik und Psychiatrie, und die Tagesklinik hat in den letzten Jahren schon von der Anzahl der Behandlungsplätze her eine zunehmende Bedeutung in der psychotherapeutisch-psychiatrischen Versorgungslandschaft erhalten.
Unsere Forschungsgruppe hat zum einen das Ziel, geeignete Instrumente zu entwickeln, mit denen die Wirkung und Wirkungsweise dieser bislang noch zu wenig von der Forschung berücksichtigen therapeutischen Angebote überprüft werden können. Zum anderen werden insbesondere patientenbezogene Fragestellungen verfolgt: Was erleben Patientinnen und Patienten in einer therapeutischen Behandlung als hilfreich und was als belastend? Hat der Bindungsstil von Patientinnen und Patienten, d.h. ob sie zum Beispiel Vertrauen zu ihrer Therapeutin bzw. ihrem Therapeuten entwickeln und sich in der Therapie öffnen können, einen Einfluss darauf, von welchen Behandlungsangeboten sie profitieren können? Ziel ist dabei letztlich, empirisch begründete Leitlinien entwickeln zu können, wie therapeutische Angebote auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten von Patientinnen und Patienten bestmöglich abgestimmt werden können.
Negative Therapiefolgen bzw. Nebenwirkungen von Psychotherapie haben in den letzten Jahren zunehmend Beachtung in der Psychotherapieforschung gefunden. In der klinischen Praxis müssen mögliche Risiken und zu erwartende Folgen gemäß Patientenrechtegesetz bei der Aufklärung von Patientinnen und Patienten Beachtung finden. Für körperorientierte Psychotherapieverfahren liegen bislang allerdings keine systematisch erhobenen Befunde zu möglichen negativen Therapiefolgen vor. Angesichts bestehender Vorbehalte gegenüber körperorientierter Psychotherapie stellt sich die Frage, ob diese Therapieform spezifische unerwünschte Effekte aufweist bzw. diese in stärkerem Ausmaß vorliegen als in verbalen Therapieverfahren. Dieser Fragestellung wird am Beispiel der Konzentrativen Bewegungstherapie (KBT), die in der stationären Psychotherapie als adjuvantes körperorientiertes Gruppenpsychotherapieverfahren etabliert ist, nachgegangen. Erste Ergebnisse zeigen, dass negative Therapiefolgen bei der (teil-)stationären KBT-Gruppenbehandlung wie auch bei anderen Therapieverfahren häufig zu verzeichnen sind. Es gibt kaum Hinweise auf ein typisches Risikoprofil oder dass diese Form der Behandlung im Vergleich zu anderen Behandlungen eine besondere Belastung darstellt.
Daraus resultierende Publikation:
Seidler KP, Grützmacher S, Epner A, & Schreiber-Willnow K. Negative Therapiefolgen körperorientierter Gruppenpsychotherapie am Beispiel der Konzentrativen Bewegungstherapie. Psychotherapeut. 2020;65(4):244-256. DOI
Bei der Konzentrativen Bewegungstherapie (KBT) handelt es sich um ein psychodynamisch orientiertes Verfahren der Körperpsychotherapie, das in Deutschland insbesondere in psychotherapeutisch-psychosomatischen (Reha-)Kliniken zur Anwendung kommt und zwar vor allem als Gruppenbehandlung. Auch wenn bereits eine Reihe empirischer Studien zur KBT vorliegt, sind viele Fragen zur Wirksamkeit und Wirkungsweise noch ungeklärt. Es wurde daher ein Fragebogen entwickelt, anhand dessen Patientinnen bzw. Patienten die Wirksamkeit und Wirkfaktoren der KBT-Gruppenbehandlung beurteilen. Erste Ergebnisse geben Hinweise auf eine ausreichend gute Reliabilität und faktorielle Validität dieses Fragebogens. So ließen sich Beurteilungsdimensionen identifzieren, die einerseits KBT bezogene Wirkfaktoren und Wirkungen erfassen (z.B. positive körperbezogene Erfahrungen und Effekte) und andererseits allgemeine therapeutische Wirkfaktoren reflektieren (z.B. positive Gruppenatmosphäre).
Von der Bindungstheorie werden unterschiedliche Strategien beschrieben, wie Menschen aufgrund früherer Bindungserfahrungen aktuelle Situationen von Bedrohung oder (innerer) Not emotional und interpersonell bewältigen. Dabei werden eine sichere, deaktivierende und hyperaktivierende Strategie und entsprechende Muster von sicherer, unsicher-vermeidender und unsicher-ambivalenter Bindung unterschieden. Es erscheint die Annahme plausibel, dass der Bindungsstil von Patientinnen bzw. Patienten auch einen Einfluss auf deren Erleben und Verhalten in der Psychotherapie hat. Von der Forschungsgruppe wird speziell untersucht, ob das Selbsterleben von Patientinnen und Patienten in der Therapiestunde in Abhängigkeit von ihrem Bindungsstil unterschiedlich ausfällt. Die Ergebnisse einer Pilotstudie bestätigen weitgehend die Hypothesen, wonach das Selbsterleben von Patientinnen und Patienten mit sicherem Bindungsstil unproblematischer bzw. positiver als bei Patientinnen bzw. Patienten mit unsicherem Bindungsstil ausfällt und bei den unsicheren Bindungsstilen durch unterschiedliche Merkmale gekennzeichnet ist.
Daraus resultierende Publikation:
Seidler KP, Höger D. Hängt das Selbsterleben von Patient*innen in der Psychotherapiestunde mit ihrem Bindungsmuster zusammen? Person 2020;24(2):1-13
In Meta-Analysen hat sich gezeigt, dass der Bindungsstil von Patientinnen und Patienten ein Prädiktor für den Erfolg in einer Psychotherapie darstellt. Wenig ist hingegen bisher bekannt, mit welchen Prozessen in der Psychotherapie dies zusammenhängt. In einer Studie der Forschungsgruppe wird untersucht, ob psychiatrische Patientinnen und Patienten in Abhängigkeit von ihrem Bindungsstil die therapeutische Beziehung unterschiedlich erleben und von daher in unterschiedlicher Weise von einer tagesklinischen psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung profitieren können. Erste Ergebnisse zeigen, dass Patientinnen bzw. Patienten mit unsicherem Bindungsstil dazu tendieren, die therapeutische Beziehung kongruent zu ihrem Bindungsstil, d.h. wie sich dieser zu Therapiebeginn in ihren Erwartungen zur therapeutischen Beziehung niederschlägt, zu erleben. Patientinnen und Patienten mit einem sogenannten „bedingt sicheren“ Bindungsstil tendieren hingegen dazu, eine in gewisser Weise korrigierende Erfahrung in der therapeutischen Beziehung zu machen: Während sie zu Therapiebeginn angeben, kaum Zuwendung durch ihre Therapeutin bzw. ihren Therapeuten zu erwarten, geben sie zum Behandlungsende an, viel Zuwendung erhalten zu haben. Patientinnen und Patienten mit bedingt sicherem Bindungsstil, die diese korrigierende therapeutische Beziehungserfahrung gemacht haben, zeigen sich am stärksten in ihrem Beschwerdeerleben am Ende der tagesklinischen Behandlung gebessert.
Es werden Doktoranden mit Interesse an der Psychotherapieforschung, insbesondere an Fragestellungen der klinischen Bindungsforschung, gesucht.
Wissenschaftliche Kollaborationen
- Forschungsgruppe des Deutschen Arbeitskreises für Konzentrative Bewegungstherapie (DAKBT) e.V.
- Arbeitskreis zur Forschung in der stationären Gruppenpsychotherapie
Forschungsgruppenleitung
Prof. Dr. phil. Klaus-Peter Seidler
Ambulanzleiter und Ausbildungsbeauftragter im Institut für psychotherapeutische Aus- und Weiterbildung (IPAW) der MHH
Telefon: +49 511 532 7369
Telefax: +49 511 532 7375
seidler.klaus-p@mh-hannover.de
Exzellenz auf einen Blick:
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Psychologischer Psychotherapeut
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Diplom-Psychologe
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Supervisor, TP
Publikationen: Pubmed