Weitere laufende und abgeschlossene Forschungsprojekte
Vom Mythos zur biomedizinischen Realität am Beispiel der Nierentransplantation Programm „Geschlecht - Macht - Wissen", gefördert durch das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur
Das Geschlecht beeinflusst die Gesundheit (rsp. Krankheit) und folglich auch die Gesundheitsversorgung in hohem Maße. Die Analyse dieses komplexen Themenfeldes hat in der sozial- und gesundheitswissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung eine lange Tradition und wird jüngst mit der Etablierung der geschlechtersensiblen Medizin verstärkt.
Beide Perspektiven komplementieren sich; jedoch hat eine Synergie der jeweiligen Forschungsansätze bis dato nur vereinzelt stattgefunden. Hier besteht nicht nur Handlungs- sondern auch theoretisch-konzeptioneller und methodologischer Entwicklungsbedarf, den mit diesem Projekt am Beispiel der Transplantationsmedizin adressieren wurden.
Aus dem Bewusstsein heraus, dass neben dem reinen medizinischen Fachwissen auch fälschliche Annahmen („Mythos") der Behandelnden bzgl. bestimmter Krankheiten bei Frauen und Männern die medizinische Versorgung stark beeinflussen, wurden einige dieser Mythen hinterfragt, um so die aus ihnen resultierende Ungleichbehandlung der Geschlechter durch verbesserte Diagnostik und Therapie auf einem neuen, höheren Niveau anzugleichen. Diese innovative, interdisziplinäre Herangehensweise wurd e am Beispiel der Nierentransplantation aus dem epidemiologischen, internistischen, immunologischen und soziologischen Blickwinkel heraus erprobt.
Beteiligte Institute:
- Prof. Dr. Dr. Anette Melk, Klinik für Pädiatrische Nieren-, Leber- und Stoffwechselerkrankungen,
- Medizinische Hochschule Hannover
- Prof. Dr. Birgit Babitsch, New Public Health, FB 8 - Humanwissenschaften, Universität Osnabrück
- Prof. Dr. Christine S. Falk, Institut für Transplantationsimmunologie, Medizinische Hochschule Hannover
- Prof. Dr. Siegfried Geyer, Medizinische Soziologie, Medizinische Hochschule Hannover
- Dr. Bärbel Miemietz, Gleichstellungsbüro, Medizinische Hochschule Hannover
- PD Dr. Bernhard M.W. Schmidt, Klinik für Nieren- und Hochdruckkrankheiten, Medizinische Hochschule Hannover
Das Projekt wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Niedersächsischen Krebsgesellschaft gefördert und im Sommer 2015 beendet.
Historie
Die Studie wurde 2002 als Kooperation der Medizinsoziologie (Prof. Dr. Siegfried Geyer) und der Abteilung Psychosomatik und Psychotherapie (Prof. Dr. Dr. Mechthild Neises) der MHH mit den gynäkologischen Kliniken der Henriettenstiftung, des Nordstadtkrankenhauses sowie der MHH begonnen. Die finanzielle Förderung der ersten Projektperiode durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft endete im Juni 2005. Das Projekt wurde Ende 2007 wieder aufgenommen, um eine Endpunkterhebung durchzuführen und weitere Auswertungen vorzunehmen. In 2014 und 2015 wurde das Projekt durch die Niedersächsische Krebsgesellschaft e.V. gefördert, im Sommer 2015 endete das Projekt. Allen Förderern, Kooperationspartnern und besonders den Studienteilnehmerinnen gilt unser herzlicher Dank!
Fragestellungen
Im Mittelpunkt des Projekts steht die Frage, ob akute und chronische soziale Belastungen und das krankheitsbezogene Bewältigungsverhalten Auswirkungen auf den postoperativen Verlauf der Mammakarzinomerkrankung haben. Insbesondere wird der Zusammenhang zwischen belastenden Lebensereignissen und dem Auftreten von Metastasen und Rezidiven untersucht und ob ein erhöhtes, krankheitsbedingtes Sterblichkeitsrisiko besteht. Weiterhin soll geprüft werden, inwieweit die ereignisbezogene Problembewältigung sowie die Präsenz sozialer Unterstützung den Krankheitsverlauf beeinflussen.
Ehemalige Mitarbeitende
Prof. Dr. Siegfried Geyer (Projektleitung)
Prof. Dr. Dr. Mechthild Neises (Projektleitung bis 2009)
Dr. Dorothee Noeres
Heike Koch-Gießelmann
Alexandra von Garmissen
Jördis Grabow
Anja Herrenbrück
Tobias Michael (Dokt.)
Rafaela Hervatin (Dokt.)
Lisa Steinhilper (Dokt.)
Henning Brake (Dokt.)
Dr. Heike Saßmann
Barbara Bischofberger
Denise Klenner
Karin Block
Carola Schmidt
Ute Welke
Ergebnisse und Publikationen
Hier folgen Zusammenfassungen der bisherigen Ergebnisse in der umgekehrten Reihenfolge der Veröffentlichung und daran anschließend eine Liste der publizierten Aufsätze, Vorträge und Posterpräsentationen.
Langzeitliche Krankheitsbewältigung bei Frauen mit Brustkrebs: Wie verändert sie sich nach der Operation und welche Auswirkungen hat sie auf gesundheitsbezogenes Verhalten?
In der Bewältigungsforschung wird davon ausgegangen, dass eine aktive und herangehende Problembewältigung (Coping) mit einer besseren Anpassung an Krankheiten einhergeht. Es ist jedoch wenig untersucht, ob die Art und Weise, wie Frauen ihre Krankheit bewältigen, über die Zeit stabil ist, und ob eine bessere Anpassung von Brustkrebspatientinnen auch eine mögliche Wiedererkrankung nach hinten verschiebt. Im Detail verfolgt dieses Teilprojekt vier Fragestellungen: 1) Unterscheiden sich Bewältigungsmuster (Coping) von Brustkrebspatientinnen unmittelbar nach Operation, ein Jahr später sowie nochmal sechs Jahre später voneinander? 2) Gibt es Zusammenhänge zwischen bestimmten Bewältigungsmustern und dem postoperativen Erkrankungsverlauf? 3) Haben Bewälti-gungsmuster Auswirkungen auf gesundheitsbezogene Lebensstile? 4) Haben Bewälti-gungsmuster Auswirkungen auf die Wahrscheinlichkeit, in den Beruf zurückzukehren? Die Untersuchungen ergaben, dass das Bewältigungsverhalten von Brustkrebspatientinnen über die Jahre deutlich variiert. Es ergaben sich jedoch nur wenige Zusammenhänge mit gesundheitsrelevantem Verhalten, mit der Rückkehr in den Beruf oder mit dem Krankheitsverlauf. Daraus ergeben sich relevante Erkenntnisse nicht nur für die Grundlagenforschung, sondern auch Anknüpfungspunkte für die Beratung in der Psychoonkologie. Diese Untersuchungen wurden durch die Niedersächsische Krebsgesellschaft gefördert. Der Bericht wurde im August 2015 vorgelegt.
Gibt es Zusammenhänge zwischen gesundheitsbezogenen Lebensstilen und einer Wiedererkrankung an Brustkrebs?
Diese Teilstudie untersucht die im Laufe von sechs Jahren stattfindenden Veränderungen im Ess-, Bewegungs- und Rauchverhalten und deren Einfluss auf den Krankheitsverlauf bei Brustkrebs. Die Veränderungen werden mit den aktuellen Ernährungs- und Bewegungsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung verglichen und ein Wiedererkrankungsrisiko abgeleitet. Die Interviewdaten der 254 befragten Patientinnen wurden zu allen drei Zeitpunkten ausgewertet, d. h. direkt nach der Operation, ein Jahr später und sechs Jahre später. Wiedererkrankungen als Endpunkte (n=38) wurden zum Ende der Erhebungsphase von verschiedenen Registern und den behandelnden Ärzten erhoben. Ergebnisse: Zwischen der ersten und zweiten Messung nach einem Jahr veränderte sich das Gesundheitsverhalten der Befragten positiv in Richtung der bestehenden Empfehlungen, zum Zeitpunkt der dritten Messung (sechs Jahre später) jedoch ähnelte das Gesundheitsverhalten dem des ersten Messzeitpunktes. Lediglich der Konsum von Brot nahm längerfristig ab, ein Bewegungsverhalten im Sinne von mehr körperlicher Bewegung wurde ebenfalls zum dritten Messzeitpunkt beibehalten. Zusammenhänge zwischen einem den Empfehlungen entsprechenden Gesundheitsverhalten und einer Wiedererkrankung konnten nicht nachgewiesen werden. Diese Befunde sind Teil einer medizinischen Promotion, die im Oktober 2013 zur Veröffentlichung eingereicht wurde.
Gesundheitsbezogene Lebensstile bei Patientinnen mit Brustkrebs
Mit den Daten der ersten beiden Erhebungszeitpunkte wurde untersucht, ob bei Patientinnen mit Mammakarzinom nach der Operation eine Veränderung gesundheitsbezogener Lebensstile stattfindet. Vom ersten zum zweiten Zeitpunkt zeigt sich bei den Ernährungsmustern durchweg eine Verbesserung in Richtung ernährungsphysiologischer Empfehlungen wie sie von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung herausgegeben wurden. Die Patientinnen bewegen sich insgesamt mehr, und der Nikotinkonsum nimmt deutlich ab. Die Daten zum Alkoholkonsum erscheinen nach einer Prüfung nicht ausreichend valide, deshalb wurde auf deren Verwendung verzichtet. Obwohl Teil von Leitlinien zur onkologischen Rehabilitation, unterscheiden sich die Lebensstilvariablen „Ernährung“ und „Bewegung“ von Teilnehmerinnen einer Rehabilitation nicht von solchen der Nichtteilnehmerinnen. Die Verbesserungen bei diesen Verhaltensweisen waren bei den Patientinnen allgemein feststellbar, ohne dass dafür soziodemografische oder medizinische Prädiktoren gefunden werden konnten. Es zeigten sich jedoch Zusammenhänge zwischen Raucherstatus und Veränderungen im täglichen Obstkonsum. Diese Befunde wurden im Rahmen einer medizinischen Promotion bearbeitet.
dx.doi.org/10.1007/s00038-013-0444-7
Rückkehr zur Arbeit nach Brustkrebs: der Langzeitverlauf von sechs Jahren
Diese Teilstudie untersucht zwei Fragestellungen: (1) Führt eine Brustkrebserkrankung dazu, dass berufstätige Frauen in einem Zeitraum von einem Jahr bzw. sechs Jahren nach ihrer primären Brustkrebsoperation vermehrt aus dem Beruf aussteigen? (2) Gibt es andere Faktoren, die einen länger anhaltenden oder endgültigen Berufsausstieg nach einer Brustkrebserkrankung erklären? Ausgewertet wurden die Daten von 227 Studienteilnehmerinnen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren und im Vergleich dazu eine alterstratifizierte Stichprobe von nicht an Krebs erkrankten Frauen aus dem sozioökonomischen Panel (SOEP) der Jahre 2003, 2004 und 2009. Soziodemografische Daten und kodiertes Material aus den qualitativen Interviews dienten als Grundlage für die Auswertungen mit SPSS. Es zeigte sich, dass ein Jahr nach der Operation dreimal so viel mehr Patientinnen als nichtbetroffene Frauen ihre Arbeit verlassen hatten. Ein geringerer Bildungsgrad, Teilzeitarbeit, die Schwere der arbeitsplatzbezogenen Schwierigkeiten und die Teilnahme an einer Rehabilitation korrelierten signifikant mit einem nicht erfolgten Wiedereinstieg in den Beruf. Sechs Jahre nach der Operation lag die Wahrscheinlichkeit der Berufsrückkehr bei den Studienteilnehmerinnen im Vergleich zur Kontrollgruppe bei der Hälfte. Nun waren es in erster Linie Alter, Tumorstadium und die Schwere der Nebenwirkungen von Therapien, die einen Einfluss auf die berufliche Entscheidung ausübten. Aus der komparativen Analyse ließen sich zudem Rückschlüsse auf den Einfluss von Arbeits- und Rentenpolitik auf die beruflichen Entscheidungen von Frauen ziehen.
dx.doi.org/10.1007/s00520-013-1739-1
Rehabilitation
Anhand der Daten des zweiten Erhebungszeitpunktes wurde untersucht, ob die Inanspruchnahme der stationären onkologischen Rehabilitation innerhalb eines Jahres nach der Operation soziale Ungleichheiten aufweist und welche Gründe zur Nichtinanspruchnahme führen. Es lagen Daten von 238 Patientinnen vor; davon nahmen 150 (63,3%) eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in Anspruch. Abiturientinnen nutzten die Maßnahme tendenziell seltener als Frauen mit Haupt- und Realschulabschluss, ein sozialer Gradient nach Berufsposition wurde nicht gefunden. Ein starker Prädiktor für die Inanspruchnahme war eine Chemotherapie als Nachbehandlung; unter den berufstätigen Patientinnen war eine Strahlentherapie mit einer selteneren Teilnahme verbunden. Die Ursachen für eine Nichtinanspruchnahme von Reha-Maßnahmen erscheinen insgesamt vorrangig individuell geprägt zu sein, sowie durchweg durch das Bestreben motiviert, eine Konfrontation mit der Krebserkrankung zu vermeiden und ein durch Krankheit unterbrochenes Alltagsleben wieder aufzunehmen.
Variabilität und Stabilität im Bewältigungsverhalten von Brustkrebspatientinnen
Dieses Teilprojekt untersucht, ob sich die Bewältigungsformen (coping) von Brustkrebspatientinnen im Laufe der Zeit verändern oder jeweils relativ stabil bleiben. Diese Forschung richtet sich auf spezifische Muster in den Bewältigungsprozessen und auf mögliche Prädiktoren der Coping-Variabilität. Insgesamt wird mit dieser Erhebung die Relevanz von Wiederholungsmessungen von Bewältigungsformen evaluiert. Genutzt wurden die Daten aus zwei Interviewserien mit 254 Patientinnen, die zum einen direkt nach der Operation und ein Jahr später durchgeführt und mit dem Hannover Coping Manual (HCM) ausgewertet worden waren. Die statistische Auswertung – Stabilität von Coping und soziodemographische Effekte – basiert auf Varianzanalysen mit SPSS. Es zeigte sich, dass die emotionalen Bewältigungsreaktionen über die Zeit stabil blieben, während die kognitiven Reaktionen beträchtliche Varianz aufwiesen. Zudem stellte sich heraus, dass die stärksten Effekte auf das Bewältigungsverhalten aufgrund von Chemotherapien entstanden waren. Die Studie deutet damit zugleich auf die hohe Relevanz von Wiederholungsmessungen hin. Auch die Wichtigkeit der sozialen Unterstützung im Bewältigungsprozess sowie die Notwendigkeit des Empowerment, insbesondere für die Empfängerinnen von Chemotherapie, kommen in den Ergebnissen zum Ausdruck.
dx.doi.org/10.1007/s00520-011-1334-2
Wissen von Selbsthilfegruppenmitgliedern über Brustkrebs
Wissen über Brustkrebs und die sich daraus ergebenden Perspektiven fördert die Zufriedenheit von Patientinnen mit ihrer Behandlung und befähigt sie, an Entscheidungen zu Behandlung und Nachsorge mitzuwirken. Mit ihrem Wissen und Handeln können sie zu ihrem Genesungsprozess und ihrer Lebensqualität beitragen. Der Informationsgrad von Krebspatienten in Deutschland ist jedoch nicht durchgängig gut. Aus etlichen Studien geht hervor, dass sich im deutschen Gesundheitssystem immer noch viele Krebspatienten ungenügend über ihre Krankheit informiert fühlen. Gleichzeitig liegt die Teilnahmequote an Selbsthilfegruppen bei lediglich drei bis sechs Prozent. Im Rahmen dieses und zweier früherer Projekte wurden insgesamt 727 Brustkrebspatientinnen per Fragebogen zu ihrem Wissen über die Behandlung und Nachsorge von Brustkrebs befragt. In der Befragung wurde unterschieden zwischen 1. Leiterinnen einer Selbsthilfegruppe, 2. Teilnehmerinnen einer Selbsthilfegruppe und 3. Nichtteilnehmerinnen. Die Auswertungen ergeben, dass in Selbsthilfegruppen ein beachtliches Wissenspotential erreicht wird. Teilnehmerinnen von Brustkrebsselbsthilfegruppen wissen mehr über Brustkrebs als Nichtteilnehmerinnen, und das Wissen der Gruppenleiterinnen ist nochmals größer als das der Teilnehmerinnen. Wenngleich das Engagement in Selbsthilfegruppen in dieser Befragung den höchsten Einfluss auf den Wissensstand von Brustkrebspatientinnen ergab, spielten auch Alter und Bildungshintergrund eine Rolle, sowie die persönliche Krankengeschichte.
dx.doi.org/10.3109/0167482X.2011.586077
Zugangswege zur medizinischen Versorgung und die Qualität der Information
Auf der Basis der Daten des ersten Erhebungszeitpunktes wurde untersucht, auf welche Weise die Patientinnen bei einem verdächtigen Befund stationär aufgenommen wurden. Die typischen Zugangswege ins Krankenhaus waren gynäkologische oder radiologische Praxen; die hausärztliche Versorgung war nicht von Bedeutung. Die Patientinnen waren mehrheitlich mit der Diagnosevermittlung zufrieden. Kritisch gesehen wurden inkonsistente Informationen zum wahrscheinlichen Befund; die Frauen ziehen eine Mitteilung von Nichtwissen widersprüchlicher Information vor. Bei 16% der Patientinnen wurde die Diagnose nicht im persönlichen Gespräch, sondern per Telefon übermittelt. Dies ist ein deutlich höherer Anteil als in anderen europäischen Ländern, aber deutlich weniger als in den USA, wo etwa einem Viertel der Patientinnen die Diagnosen auf telefonischem Weg mitgeteilt werden. Diese Befunde sind Teil einer medizinischen Promotion, die als Zeitschriftenaufsatz veröffentlicht wurde.
dx.doi.org/10.1007/s00520-006-0195-6
Auswirkungen von Belastungen
Mit Daten des ersten Erhebungszeitpunkts wurde untersucht, ob Frauen, die Anzeichen für eine Brustkrebserkrankung an sich selber wahrnehmen, aufgrund akuter Belastungen den zur Abklärung notwendigen Arztbesuch nach hinten verschieben. Bisher liegt nur eine Studie dazu vor, in der die Hypothese geprüft wurde, ob Belastungen zu einer verspäteten Inanspruchnahme führen und damit in Abhängigkeit von der Dauer eine Verschlechterung der Prognose nach sich ziehen könnten (Burgess C, Ramirez AJ, Smith P, Richards MA. Do adverse life events and mood disorders influence delayed presentation of breast cancer? Journal of Psychosomatic Research 2000; 48:171-175). Mit den Daten der eigenen Studie wurde gezeigt, dass es unter den beschriebenen Bedingungen nicht zu einer verzögerten, sondern eher zu einer früheren Inanspruchnahme kommt. Die erlebten Belastungen bewirken eine höhere Aufmerksamkeit, und haben einen früheren Gang zum Arzt zur Folge. In einigen Fällen war die Inanspruchnahme verzögert, jedoch nicht in einem für die Prognose relevanten Bereich.
dx.doi.org/10.1007/s00520-008-0492-3
Sinnstiftende Faktoren, religiöse Werthaltungen und Krankheitsbewältigung bei Frauen mit Brustkrebs
Welche Rolle spielen Religiosität und die Suche nach einem tieferen Sinn einer Erkrankung bei der Bewältigung von Brustkrebs? Diese Frage wird bei Untersuchungen zum Bewältigungsverhalten von Patientinnen und Patienten selten berücksichtigt. Im vorliegenden Projekt wurden die Studienteilnehmerinnen sowohl per Fragebogen als auch im leitfadengestützten Interview ca. fünf Jahre nach ihrer Brustkrebserkrankung dazu befragt. Für einen großen Teil der interviewten Frauen bestand eine hilfreiche Bewältigungsstrategie darin, das Krankheitsgeschehen mit Sinnkomponenten zu belegen. Die Erkrankung – auch und gerade in ihrer Bedrohlichkeit – wird meist in einer verantwortungsorientierten Sichtweise als Chance zur persönlichen Entwicklung und besseren Lebensgestaltung interpretiert. Dabei wird ein Neben- und Miteinander von traditionellen Werthaltungen, aktuellen Formen alternativer Spiritualität und der Inanspruchnahme komplementärer Heilkonzepte als gegenwärtiger Ausdruck von Krankheitsbewältigung im religiösen Bedeutungszusammenhang sichtbar.
(Garmissen, A. v. 2009, "Sinnstiftende Faktoren, religiöse Werthaltungen und Krankheitsbewältigung bei Frauen mit Brustkrebs", Historical Social Research/ Historische Sozialforschung 34: 204-216.)
Publikationen:
Geyer S, Koch-Gießelmann H., Noeres D. (2015). Coping with breast cancer and relapse: Stability of coping and long-term outcomes in an observational study over 10 years, Social Science and Medicine 135: 92-98.
Noeres, D. (2013). Bewältigung von Brustkrebs am Beispiel des Erwerbs krankheitsrelevanten Wissens und der Rückkehr zur Erwerbsarbeit. Dissertationsschrift. Hannover: Medizinische Hochschule Hannover. (diese Publikation ist
Steinhilper L, Geyer S, Sperlich S. (2013). Health behavior change among breast cancer patients. Int J Public Health, 58(4): 603-13.
dx.doi.org/10.1007/s00038-013-0444-7
Noeres D, Park-Simon TW, Grabow J, Sperlich S, Koch-Gießelmann H, Jaunzeme J, Geyer S (2013). Return to work after treatment for primary breast cancer over a six-year period: Results from a prospective study comparing patients with the general population. Supportive Care in Cancer, 21 (7): 1901-1909
dx.doi.org/10.1007/s00520-013-1739-1
Geyer S, Schlanstedt-Jahn U (2012). Gibt es soziale Ungleichheiten in der Inanspruchnahme der onkologischen Rehabilitation bei Mammakarzinompatientinnen? Das Gesundheitswesen 74: 71-78.
dx.doi.org/10.1055/s-0030-1269840
Hervatin R, Sperlich S, Koch- Gießelmann H, & Geyer, S (2011). Variability and stability of coping in women with breast cancer. Supportive Care in Cancer, 20 (10): 2277-85. http://dx.doi.org/10.1007/s00520-011-1334-2
Noeres D, von Garmissen S, Neises M, Geyer S (2011). Differences in illness-related knowledge of breast cancer patients according to their involvement in self-help groups. Journal of Psychosomatic Obstetrics & Gynecology, 32 (3): 147-153
dx.doi.org/10.3109/0167482X.2011.586077
Geyer S, Schlanstedt-Jahn, U (2009). Einbindung von Krebsregisterdaten in eine Langzeitstudie zu Life-Events bei Patientinnen mit Brustkrebs. Das Gesundheitswesen, 71-A50
dx.doi.org/10.1055/s-0029-1239100
Garmissen A v (2009). Sinnstiftende Faktoren, religiöse Werthaltungen und Krankheitsbwältigung bei Frauen mit Brustkrebs. Historical Social Research/ Historische Sozialforschung 34: 204-216.
Bischofberger B, Mollova M, Geyer S, & Neises M (2009). Veränderung der Partnerbeziehung von Frauen nach Brustkrebserkrankung. Geburtshilfe und Frauenheilkunde 2009, 69: 1091-1096.
Geyer S, Ellis R, Koch- Giesselmann H (2009). Das Hannoversche Copinginventar: Ein qualitatives Verfahren zur Untersuchung der Problembewältigung bei Frauen mit Mammakarzinom. In M Neises & K Weidner (Hrsg), Qualitative Forschungsansätze und Ergebnisse in der psychosomatischen Frauenheilkunde, (S. 169-189). Lengerich: Pabst Science Publisher.
Geyer S, Noeres D, Mollova M, Sassmann H, Prochnow A, Neises M (2008). Does the occurrence of adverse life events in patients with breast cancer lead to a change in illness behavior? Supportive Care in Cancer 16(12):1407-14
http://dx.doi.org/10.1007/s00520-008-0492-3
Brake H, Sassmann H, Noeres D, Neises M, Geyer S. (2007). Ways to a breast cancer diagnosis, consistency of received information, patient satisfaction, and the presence of close others. Supportive Care Cancer, 15 (7): 841-848.
Vorträge
Noeres D, von Garmissen A, Neises M. Geyer S. Return to work after breast cancer: The long-term course after six years.
(Kongress ISPOG 2013, Berlin)
Noeres D, Grabow J, Koch-Gießelmann H, Geyer S. Elderly women after breast cancer diagnosis: Factors affecting their decision (not) to return to work.
(Kongress DGMS/ESHMS, Hannover 2012)
Geyer S, Neises M. Coping after breast cancer: First results of a longitudinal study.
(Kongress ISPOG 2010)
Noeres D, von Garmissen A, Neises M. Geyer S. Breast Cancer Knowledge in Self-Help Groups.
(Kongress ESHMS 2010, Ghent)
Noeres D, Prochnow A, Geyer S. Wieviel wissen Mitglieder von Selbsthilfegruppen über Brustkrebs?
(Kongress DGMS/DGSMP 2009, Hamburg)
Ellis R, Geyer S, Sperlich S. Variabilität und Stabilität des Bewältigungsverhaltens bei Frauen mit Brustkrebs.
(Tagung DGMS/DGSMP 2009, Hamburg)
Koch-Gießelmann H, Geyer S. Die Deutsche Version des Bedford College Coping Inventory: Eine Synthese qualitativer und quantitativer Methodologie zur Bewertung von Bewältigungsverhalten.
(Kongress Medizin und Gesellschaft 2007)
Koch-Gießelmann H, Geyer S. A German Version of the Bedford College Coping Inventory. A synthesis of qualitative and quantitative methodology.
(Kongress ESHMS 2006, Krakau)
Poster
Religiöse Werthaltungen und sinnstiftende Konzepte in der Krankheitsbewältigung bei Frauen mit Brustkrebs. von Garmissen A.
(Kongress Deutscher Verein für Religionswissenschaften 2009)
Die Deutsche Version des Bedford College Coping Inventory: Eine Synthese qualitativer und quantitativer Methodologie zur Bewertung von Bewältigungsverhalten. Koch-Gießelmann H., Geyer S.
(Kongress Medizin und Gesellschaft 2007)
Der Einfluss lebensverändernder Ereignisse beim Verlauf des Mammakarzinoms. Saßmann H, Bischofberger B, Block K, Neises M, Noeres D, Schmidt C, Welke U, Geyer S.
(Tagung DKPM 2005)
Krankheitsbewältigung und soziale Unterstützung im Verlauf des Mammakarzinoms. Bischofberger B, Saßmann H, Block K, Geyer S, Noeres D, Schmidt C, Welke U, Neises M.
(DGPFG Kongress 2005)
Projektmitarbeitende
Für das Projekt verantwortlich war Frau Prof. Dr. G. Fischer, die wissenschaftliche Leitung hatte Prof. Dr. Siegfried Geyer. Projektbeginn war Dezember 2001 und es wurde im Juni 2004 abgeschlossen.
Die Durchführung lag bei Heike Koch-Giesselmann und Dr. Maren Dreier
Einleitung
Das Projekt wurde vom NFFG (Norddeutscher Forschungsverbund für Frauen-/Geschlechterforschung in Naturwissenschaften, Technik und Medizin) seit 2002 gefördert und wurde Juni 2004 abgeschlossen. Im Zentrum des Projektes stand ein typisches Frauenschicksal im Alter, der Partnerverlust. Frauen sind von diesem kritischen Lebensereignis 4-5 mal häufiger betroffen als Männer. Ergebnisse der Altersforschung geben Hinweise darauf, dass sich der Tod des langjährigen Lebenspartners nicht nur auf die psychische Gesundheit auswirkt, sondern zu Neuerkrankungen und einer erhöhten Mortalitätsrate führen kann.
Die zentrale Fragestellung des Projekts bezog sich auf Veränderungen des gesundheitlichen Status von Frauen oberhalb des 70. Lebensjahres sowie der Inanspruchnahme medizinischer Dienste nach Partnertod und ob dies auf Verschlechterungen des Morbiditätsstatus zurückgeführt werden kann.
Von den Ergebnissen wurden Aufschlüsse darüber erwartet, in welcher Weise die allgemeinmedizinische Versorgung von Verwitweten im höheren Lebensalter optimiert werden kann. Aufgrund des demographischen Wandels nehmen die untersuchten Lebenskonstellationen zu, und geriatrische Belange werden in der medizinischem Versorgung einen immer größeren Stellenwert einnehmen und auf eine zunehmende Zahl von Patientinnen und Patienten zutreffen.
Darüber hinaus sollten die Ergebnisse der Studie zur Weiterentwicklung theoretischer Erkenntnisse zu Lebensereignissen und Krankheit beitragen. Dies betrifft insbesondere die bislang unzureichend behandelte Frage, ob belastende Ereignisse spezifische oder unspezifische gesundheitliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Folgende Fragestellungen sollen untersucht werden
- Vergleich von mentaler, psychischer und funktioneller Gesundheit, Lebensqualität, Gesundheitsverhalten und Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen bei verwitweten und verheirateten Frauen im Verlauf eines Jahres
- Gibt es bei den Verwitweten unterschiedliche Bewältigungsstrategien und haben diese Auswirkung auf die Gesundheitsparameter?
- Hat der Kontext des Partnertodes (z.B. Pflegesituation, Heimunterbringung, plötzlicher und unerwarteter Tod) Auswirkung auf Bewältigung und Gesundheitsparameter?
- Welchen Einfluss haben belastende Lebensereignisse und chronische Schwierigkeiten auf die Gesundheit älterer Frauen?
Studiendesign
In einem Fall-Kontroll-Design wurden verwitwete Frauen über 70 Jahre und länger als fünf Jahre verheiratete Frauen zu zwei Messzeitpunkten zu Hause interviewt. Die Ersterhebung wurde bei den Verwitweten 2-5 Monate nach Partnertod durchgeführt, die Verlaufserhebung ein Jahr nach Partnertod. Die verheirateten Kontrollpersonen wurden in einjährigem Abstand befragt. Das ca. 90minütige Interview erfolgte mittels qualitativer und quantitativer Erhebungsverfahren.
Der Schweregrad des Partnertodes, weitere lebensverändernde Ereignisse retrospektive ein Jahr und das Bewältigungsverhalten (Coping) wurden mit einem leitfadengesteuerten Interview erfasst; die Klassifikationen wurden mittels dem Life Event and Difficulties Schedule (LEDS) und dem Bedford College Coping Inventory durchgeführt. Beide Verfahren basieren auf der standardisierten Auswertung qualitativer Interviews.
Mit Hilfe von standardisierten Instrumenten wurde die mentale und psychische Gesundheit, der Funktionsstatus, sowie die subjektive gesundheitsbezogene Lebensqualität, das Gesundheitsverhalten und die Soziodemographie erhoben. Als Screeninginstrument zur Aufdeckung kognitiver Einschränkungen wird der Mini- Mental-State-Examination (MMSE) eingesetzt. Die gesundheitsbezogene Lebensqualität wurde mit dem SF-12 in seiner Interviewform für ein Zeitfenster von vier Wochen vor der Befragung gemessen.
Zur Erfassung depressiver Symptome bei alten Menschen wurde die Geriatric Depression Scale (GDS-15) verwendet.
Die Beeinträchtigung funktioneller Gesundheit bzw. die Fähigkeit Bewältigung alltäglicher Verrichtungen wurde mit dem Activities of Daily Living/ Instrumental Activities of Daily Living (ADL/IADL) gemessen. Zum Screening des Vorliegens einer Alkoholabhängigkeit bei Älteren wurde der CAGE-Fragebogen eingesetzt. Mittels eines eigenen Fragebogens wurden Daten über gesundheitsbezogenes Verhalten, Medikamentenkonsum und Essgewohnheiten erfasst.
Zusätzlich wurden Informationen zur Inanspruchnahme medizinischer Dienste und zu chronischen Erkrankungen und Neuerkrankungen mittels einer standardisierten patientenbezogene Befragung der Hausärzte über den gesamten Erhebungszeitraum gewonnen. In der Gruppe der Verwitweten wurden die Hausärzte außerdem nach trauerbezogenen Interventionen gefragt.
Zusammenfassung der Ergebnisse
Die Teilnehmerinnen waren durchschnittlich 76 Jahre alt und im Mittel 48 Jahre verheiratet. Bei 18 Verwitweten (P1) wurde die Schwere des Partnertodes als sehr hoch beurteilt, bei den restlichen 27 (P2) als weniger hoch. Die Schwere des Partnertodes wurde anhand der Vorhersehbarkeit des Ereignisses und nach der Qualität der Partnerschaft mittels der verwendeten Auswertungsmanuale der LEDS klassifiziert.
Die Fall- und die Kontrollgruppe unterschieden sich nicht in Bezug auf die körperliche Lebensqualität und die funktionelle und mentale Verfassung zum Zeitpunkt der Ersterhebung. Die Fälle wiesen eine schlechtere psychische Verfassung auf, wobei ein schwererer Verlust (P1) in der Tendenz mit einer ungünstigeren psychischen Verfassung assoziiert war. Von den Hausärzten wurden im Rahmen der trauerspezifischen Maßnahmen ein Drittel der Verwitweten mit Psychopharmaka behandelt, der Anteil der schwerer betroffenen Frauen (P1) war hier doppelt so hoch.
Mit zunehmend schlechterer psychischer Verfassung war das Bewältigungsverhalten nach Partnertod geprägt von Hilflosigkeit, geringer Meisterung, wenig Kontrolle und Hoffnung, so wie Schuldgefühlen, Traurigkeit und Wut.
Innerhalb der Fallgruppe fanden sich keine signifikanten Unterschiede im Bewältigungsverhalten, außer bei der positiven Einschätzung des Ereignisses.
War das Ereignis weniger schwer (P2), also eher vorhersehbar, u./o. die Qualität der Partnerschaft beeinträchtigt, konnten dem Tod des Partners auch positive Aspekte zugeschrieben werden, diese Gruppe war in der Tendenz auch weniger hilflos und traurig, litt jedoch stärker unter Schuldgefühlen.
Dies war ein Kooperationsprojekt zwischen der Deutschen ILCO e.V. und der Medizinischen Soziologie der Medizinischen Hochschule Hannover. Das Projekt wurde gefördert vom Bundesverband der BKK. Der Projektzeitraum war August 2003 bis Februar 2005.
Ziel der Studie
Wir haben im Rahmen dieser Studie anhand einer bundesweiten postalischen Befragung Daten zur aktuellen Versorgungssituation von Stomaträger/innen im ambulanten Bereich erhoben.
Um beurteilen zu können vor welchem Hintergrund sich Betroffene an die verschiedenen ambulanten Einrichtungen wenden, wurde in einem ersten Schritt der Informationsstand der Patienten zum Zeitpunkt der Entlassung eruiert. Ausgehend von der so erfassten Qualität der Beratung und Vorbereitung Betroffener auf ein Leben mit einer Stomaanlage, wurde in einem nächsten Schritt die Qualität der ambulanten Versorgung genauer beleuchtet. Von zentraler Bedeutung für das Thema waren hier die Erfahrungen mit professionellen Leistungserbringern in der regulären Nachsorge und bei medizinischen Komplikationen. Hier wurden detaillierte Angaben zu den aufgetretenen Komplikationen, sowie der Form und Qualität der Hilfestellung durch die verschiedenen Akteure im Gesundheitssystem erhoben. Berufliche Schwierigkeiten und Probleme im sozialen Umfeld einschließlich ihrer Bewältigung stellten einen weiteren zu untersuchenden Bereich dar. Nicht zuletzt sind auch Gewohnheiten im Umgang mit Stomaartikeln und damit zusammen hängende Schwierigkeiten und deren Lösung thematisiert worden.
Zentrale Fragestellungen der Untersuchung
- Welche Qualität haben die Informations- und Beratungsleistungen der beteiligten Kliniken?
- Wie werden medizinische/ technische Probleme mit der Versorgung gelöst?
- Wie hoch ist die Zufriedenheit der Patient/innen mit der Hilfe bei Problemen?
Neben einer Bestandsaufnahme aus Sicht der Betroffenen sollte diese Untersuchung auch Anhaltspunkte dafür schaffen, wie die ambulante Versorgung von Stomaträger/innen verbessert werden kann.
Die Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer
Von den angeschriebenen 1163 Mitgliedern der Deutschen ILCO haben uns 938 dankenswerterweise ihren zugesandten Fragebogen ausgefüllt zurückgeschickt. Darunter waren 44% Frauen und 56% Männer. Die jüngste Teilnehmerin der Studie war 21 Jahre, während die beiden ältesten Personen bereits 91 Jahre zählten (das Durchschnittsalter lag bei 64 Jahren). Genau zwei Drittel der von uns Befragten befanden sich bereits im Ruhestand, nur 14% waren noch erwerbstätig. Krebs ist die häufigste Ursache für die Anlage eines Stomas. In fast zwei Drittel der Fälle handelt es sich um Darmkrebs, während knapp 12% der Befragten ihr Stoma aufgrund eines Harnblasenkrebses bekommen haben.
Ergebnisse
Informationsleistung in den Kliniken
Wir haben den Stomaträger/innen verschiedene Informationen vorgegeben und sie danach befragt, welche davon sie bekommen haben. Damit wollten wir einen Eindruck gewinnen, mit welchem Informationsstand die Patient/innen entlassen und auf ein Leben mit einem Stoma vorbereitet wurden.
Das Thema ‚Handhabung der Stomaversorgung’ hatte dabei die zentralste Bedeutung der von uns abgefragten Themen und wurde mit 91% fast allen Befragten nahe gebracht. Weiterhin wurden 84% der befragten Stomatragenden Ansprechpartner/innen genannt, an die sie sich bei Problemen mit der Handhabung ihrer Stomaversorgung wenden können. Nur noch drei Viertel der Befragten gaben dagegen an, über mögliche Ansprechpartner/innen bei medizinischen Problemen informiert worden zu sein.
Die Informationen über verschiedene Hersteller, Produkte und mögliche Bezugsquellen haben über 70% der Befragten erreicht (wobei meist nur über ein Produkt und eine Möglichkeit, dieses Produkt zu erwerben gesprochen wurde: die meisten Stomaträger/innen wissen gar nicht, dass sie sich ihre Stomaartikel auch selbständig besorgen können). 60% der schriftlich Befragten sind über die Existenz der ILCO informiert worden.
Nur etwas mehr als jeder zweite Befragte gibt dagegen an, während des Klinikaufenthaltes in den Genuss einer sozialrechtlichen Beratung zu den Themen Schwerbehinderung, Krankenversicherung, etc. gekommen zu sein. Betroffene, die sich nach der Operation zusätzlich in einer Reha-Maßnahme befunden haben, haben deutlich mehr Informationen erhalten, als diejenigen ohne Aufenthalt in einer Reha-Klinik.
Zufriedenheit mit Information und Beratung
Die Zufriedenheit mit der Beratungsleistung ist generell hoch: in der Akut-Klinik sind gut 60% zufrieden bis sehr zufrieden, während die Zufriedenheit mit der Reha-Klinik deutlich höher ist (knapp 70% sind zufrieden bis sehr zufrieden).
Trotz der hohen Zufriedenheit mit der Information und Beratung in den Kliniken scheint der Bedarf damit nicht gedeckt zu sein. Fast 93% aller Befragten geben an, dass sie sich auch ohne akute Probleme nach der Entlassung selbständig um weitere Informationen bemühen - und zwar bei der ILCO, den ambulant tätigen Stomatherapeut/innen oder durch eine selbständige Recherche nach Büchern, Broschüren oder den Besuch von Vorträgen.
Technische Schwierigkeiten und Materialprobleme
Auch für diese Frage waren verschiedene Antwortmöglichkeiten vorgegeben. Insgesamt haben 72% der Stomatragenden im ersten Jahr mindestens einmal Schwierigkeiten mit ihrer Versorgung gehabt.
Die am häufigsten genannten Probleme beziehen sich auf die mangelnde Haftung der Versorgung. Mehr als die Hälfte der Befragten hatte im ersten Jahr ein Problem mit Undichtigkeiten durch Unterwanderung. An zweiter und dritter Stelle wurden Ablösungserscheinungen durch Körperfalten oder Narben am Stoma bzw. Feuchtigkeit (z.B. Schweiß) genannt.
Unproblematisch sind dagegen die Produkte bzw. die Materialien an sich: defekte Schweißnähte oder Klebeflächen spielen kaum eine Rolle; und nur 5% geben an, dass ihnen die Handhabung ihrer Versorgung umständlich erschien.
Hilfestellung bei tech. Schwierigkeiten/ Materialproblemen
Es wurde deutlich, dass stomatragende Frauen und Männer in der Lage sind, sich bei eher Material bedingten Problemen selbst zu helfen. „Das muss man sich selber austüfteln.“ (Zitat Herr M.). Es gibt keine allgemeingültigen Tipps zur Bewältigung dieser Schwierigkeiten. Genau so, wie jede/r für sich selbst heraus finden muss, welches Produkt von welcher Firma für ihn oder sie das beste ist, so muss jede/r selbst heraus finden, wie sich praktische Probleme mit der Versorgung am besten lösen lassen. An zweiter Stelle werden die Stomatherapeut/innen genannt. Speziell bei Fragen der Undichtigkeit und unzureichenden Haftung des Versorgungssystems werden sie um alternative Produktvorschläge gebeten.
Allgemeine Belastung direkt nach der Operation
Die Anlage eines Stomas ist ein tiefer Einschnitt in das Leben der Betroffenen. Mehr als die Hälfte der Stomaträger/innen fühlte sich direkt nach der Operation durch die Stomaanlage „stark“ bis „sehr stark“ belastet. Weitere 28% gaben eine „mittlere“ Belastung an und nur 4% fühlten sich „gar nicht“ belastet.
Auf die verschiedenen Grunderkrankungen bezogen lässt sich festhalten, dass Patient/innen mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung (Morbus Crohn/ Colitis Ulcerosa) sich direkt nach der Operation weniger stark durch die Stomaanlage belastet fühlten als Krebspatienten. Zu erklären ist dies einerseits dadurch, dass Krebspatienten zusätzlich die Diagnose Krebs verarbeiten müssen. Eine weitere Begründung liegt darin, dass Crohn/ Colitis-Patienten längerfristig darauf vorbereitet sind, dass sie irgendwann im Leben möglicherweise eine Stomaanlage benötigen.
Zudem stellt ein Stoma für eben diese Patienten in vielen Fällen eine Verbesserung der Lebensqualität dar: „Habe die letzten zehn Jahre keinen Strandspaziergang mehr gemacht, weil ich Angst hatte, es nicht halten zu können. [...] Bin zwei Wochen nach der OP durch den Wald gelaufen und hab mich einfach nur gefreut, dass es mir egal ist, wo die nächste Toilette ist!(Zitat Frau R).
Beeinträchtigung im Alltag
Am wenigsten Probleme bereitete den Befragten das Aufrechterhalten des Kontakts zu Freunden und Bekannten auch mit einer Stomaanlage. Auch das Selbstbewusstsein und damit zusammen hängend die positive Sicht auf den eigenen, nackten Körper hat vergleichsweise wenig gelitten. Größere Probleme bereitete dagegen die Verrichtung praktischer Aufgaben und das Ausüben verschiedener Hobbies - bis hin zu gravierenden Problemen am Arbeitsplatz (sofern noch vorhanden).
Die größte Beeinträchtigung zeigt sich jedoch in der sexuellen Beziehung zum Partner oder der Partnerin. Frau Z beschreibt die anfängliche Unsicherheit sehr plastisch: „Man muss sich dran gewöhnen. In der ersten Zeit, wenn mein Mann mich gestreichelt hat und dabei in die Nähe des Beutels kam, dachte ich immer: ‚Ooops, was passiert jetzt hier?! Aber das ist nur eine kurze Zeit [...]!“
Hat sich Ihre Körperwahrnehmung / Ihr Selbstbild verändert?
Auf dieses Thema haben die persönlich Befragten auf sehr unterschiedliche Weise geantwortet. Teilweise wurde diese Frage nach den Veränderungen im Selbstbild mit Humor und erfrischendem Sarkasmus kommentiert: „Mein Wahlspruch: Ist der Körper erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert!“ (Zitat Frau X).
Probleme im sozialen Umfeld
Nur 7% (N=66) der schriftlich Befragten geben an, dass sie in ihrem sozialen Umfeld infolge des Stomas Schwierigkeiten bekommen hätten. Fast alle Probleme lassen sich als eine Form der Distanzierung beschreiben: in fast einem Viertel der Fälle brechen Bekannte den Kontakt ab, an zweiter Stelle folgen Freunde, die sich zurückgezogen haben oder verständnislose Familienangehörige.
Ein häufiges Problem sind die unkontrollierbaren Blähungen und Darmgeräusche. Doch niemandem ist in diesem Zusammenhang eine wirklich unangenehme Situation in Erinnerung geblieben. Eine beliebte Strategie für das Wartezimmer oder den Fahrstuhl: Eine unbeteiligte Miene aufsetzen und sich suchend nach dem Schuldigen umschauen...
"Wer hat Ihnen geholfen mit der neuen Situation umzugehen?"
In den meisten Fällen wird an dieser Stelle die Familie genannt. In erster Linie die (Ehe-) Partner oder Partnerinnen. Die Ehefrau eines befragten Stomaträgers beschreibt ihre Art der Unterstützung mit folgenden Worten: „Er hatte keinen Hunger und ich hab ihn gelockt, ich habe Eis mitgebracht - und Kuchen!“
Einige Frauen haben sich auf besondere Weise mit ihrem Stoma angefreundet und stehen in ständigem Dialog: „Mein Stoma hat einen Namen: Mein kleines Scheißerchen! Und ich sag ihm immer: Du kannst tun was du willst, aber erst, wenn ich wieder zu Hause bin. Man muss Freundschaft schließen!“ Zitat Frau Y). Frau X wählte sogar unterschiedliche Namen, je nach Zufriedenheit mit der Anlage: „Hugo hat mein Leben estimmt [...]. Hugo war der Boss, der hat mir gesagt, was ich zu tun habe. Paula macht keinen Ärger. Ich sage dann: „Paula braucht ein neues Kleidchen!“ Man macht sich ein bisschen Spaß damit!“
Alte und neue Bundesländer
Ein eindeutiges Ergebnis zeigte die Analyse nach Unterschieden zwischen Ost- und Westdeutschland: es sind keine vorhanden. Weder in der Beratungsleistung, noch in der ambulanten Versorgung und Hilfestellung bei Problemen unterscheidet sich das Angebot in den alten und neuen Bundesländern. Die Zufriedenheit mit der Betreuung ist gleich und auch das Empfinden von Belastungen ist einheitlich.