Morbiditätskompression: Erklärungsansätze

 

Fortschritte in der medizinischen Diagnostik und den Behandlungsoptionen haben einen bedeutsamen Einfluss auf die Entwicklung von Morbidität und Mortalität in der Bevölkerung, aber auch psychosozialen und demografischen Faktoren kommt in diesem Zusammenhang zentrale Bedeutung zu. Ein weiteres Ziel der Forschungsaktivitäten besteht darin, die zeitlichen Trends in der subjektiven Gesundheit und spezifischer Erkrankungen aus dieser medizinsoziologischen Perspektive zu beleuchten.

 

Nach dem Rahmenmodell zur Erklärung sozial bedingter gesundheitlicher Ungleichheit (Moor et al. 2018) lassen sich drei unterschiedliche Verursachungszusammenhänge für die Manifestation von sozialen Unterschieden in den Gesundheitschancen und Krankheitsrisiken benennen. Es handelt sich hierbei um

  • die materielle bzw. strukturelle Verursachung, die unterschiedliche Lebensbedingungen (wie Wohn- und Arbeitsbedingungen) fokussiert,
  • die psychosoziale Verursachung, die soziale Unterschiede hinsichtlich gesundheitsrelevanter  Ressourcen und Belastungen (wie soziale Unterstützung und Kontrolle) in den Mittelpunkt stellt sowie
  • die verhaltensbezogene Verursachung, die gesundheitsrelevante Lebensstilgewohnheiten (wie Rauchen und körperliche Bewegung) thematisiert.

 

Im Rahmen der Analysen wird dieser konzeptuelle Rahmen für die Erklärung gesundheitlicher Trends herangezogen. Dabei wird zunächst analysiert, wie sich die relevanten sozialen Determinanten, z.B. die Arbeits- und Lebensbedingungen, das Ausmaß von sozialen Belastungen und Ressourcen sowie der gesundheitsrelevante Lebensstil über die Zeit, d.h. in den letzten 10 bis 20 Jahren, entwickelt haben. Darauf aufbauend wird untersucht, welche relative Bedeutung diese Faktoren für positive bzw. negative Trends in der subjektiven Gesundheit und Morbidität einnehmen und welche direkten und indirekten Effekte von ihnen ausgehen. Schließlich werden anhand von theoriegestützten Hypothesen spezifische Wechselwirkungen und Kausalannahmen zwischen den sozialen Determinanten überprüft, um der Komplexität sozialer Einflussfaktoren auf die dynamische Entwicklung der Gesundheit Rechnung zu tragen. Zum Einsatz kommen dabei sowohl populationsbezogene Analysestrategien (GEE) als auch Multilevel- und Mixed-Modell-Ansätze, die longitudinale intraindividuelle Verläufe mit zeitlichen Trends auf Bevölkerungsebene kombinieren.

 

Die Analysen sollen Aufschluss darüber geben, welche gesundheitlichen Konsequenzen mit den sozialen, wirtschaftlichen und demografischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte verbunden sind. Ein besonderes Augenmerk wird darauf gerichtet, wie sich die Gesundheitschancen in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen entwickelt haben und in welchem Ausmaß dies auf die oben genannten Verursachungszusammenhänge zurückgeführt werden kann. Die Informationen können zur Bilanzierung bisherige Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung beitragen und zukünftige Entscheidungen über prioritäre Präventionsfelder für die Zielsetzung der Verringerung gesundheitlicher Ungleichheit fundieren.

 

Referenzen:

 

Moor I, Spallek J, Richter M. Explaining socioeconomic inequalitities in self-rates health: a systematic review of the relative contribution of material, psychosocial and behavioural factors.  J Epidemiol Community Health 2017;71:565–575.