Forschungsteam macht Altern auf Zellebene mit KI-basiertem Computermodell erstmals sichtbar.

Mit zunehmendem Alter verändert sich die Aktivität unserer Gene. Forschende haben jetzt eine „Aging Clock“ entwickelt, um diesen Prozess in Immunzellen bestimmen zu können. Copyright: Karin Kaiser/MHH/KI generiert
Mit dem Alter verändert sich nicht nur unser Körper, sondern auch unser Immunsystem. Wie genau Immunzellen altern und welchen Einfluss Infektionen und Impfungen dabei haben können, das zeigt eine aktuelle Studie, die federführend am Zentrum für Individualisierte Infektionsmedizin (Centre for Individualised Infection Medicine, CiiM) entstanden ist, einer gemeinsamen Einrichtung der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und des Helmholtz Zentrums für Infektionsforschung (HZI). Ein Forschungsteam um Wissenschaftlerin Yang Li, MHH-Professorin für Bioinformatik, hat ein Computermodell entwickelt, mit dem sich Alterungsprozesse innerhalb einzelner Immunzellen bestimmen lassen. Die innovative „Alterungsuhr“ stellen die Forschenden für die weitere wissenschaftliche Arbeit frei zur Verfügung. Sie hoffen, dass sie als nützliches Werkzeug dienen wird, um Alterungsprozesse des Immunsystems, insbesondere auch im Zusammenhang mit Infektionskrankheiten und Immunerkrankungen, besser zu verstehen. Die Studie ist im Fachmagazin „Nature Aging“ erschienen.
Markergene für Alterungsprozess
Wenn wir altern, werden wir anfälliger für Infektionen, Impfungen schlagen nicht mehr so gut an und das Risiko für Störungen wie Autoimmunerkrankungen steigt. „Um besser zu verstehen, wie und wo genau sich das Immunsystem mit dem Alter ändert, welche Faktoren Alterungsprozesse auslösen oder beschleunigen, müssen wir den Blick auf die Player unseres Immunsystems richten – die Immunzellen“, sagt Professorin Li, Direktorin des CiiM und Leiterin der Abteilung „Bioinformatik der Individualisierten Medizin“. Die Forschenden gingen daher der Frage nach, wie der Alterungsprozess innerhalb unterschiedlicher Immunzelltypen aussieht. Für ihre Studie nutzten sie tausende Transkriptom-Datensätze für fünf unterschiedliche Immunzelltypen aus frei zugänglichen Daten- und Literaturquellen. Das sogenannte Transkriptom bildet die Gesamtheit aller zu einem bestimmten Zeitpunkt aktiven Gene innerhalb einer Zelle ab. Insgesamt standen Datensätze von über zwei Millionen Immunzellen aus Blutproben von rund 1000 gesunden Menschen im Alter zwischen 18 und 97 Jahren zur Verfügung. Daraus erstellten sie mithilfe von maschinellem Lernen ein Computermodell. Dieses Modell bezeichnen sie als „Single-Cell Immune Aging Clock“.
„Wir konnten für jeden Immunzelltyp bestimmte Gene ausfindig machen, die in wichtige immunologische Prozesse involviert sind und deren Aktivität sich während des Alterungsprozesses verändert. Diese nehmen für den jeweiligen Immunzelltyp die Rolle als Marker-Gene ein und dienen in der späteren Anwendung des Modells als Referenz“, erklärt Professorin Yang Li. Die identifizierten Gene spielen eine entscheidende Rolle für die Entwicklung von Entzündungsprozessen. Dass Alterungsprozesse insbesondere mit Entzündungsprozessen einhergehen, ließ sich mit der Studie auch noch einmal bestätigen.
COVID-19-Fälle und Tuberkulose-Geimpfte verglichen
Das Forschungsteam wandte die Alterungsuhr dann an um herauszufinden, wie sich eine COVID-19-Infektion und eine Tuberkulose-Impfung jeweils auf die Alterungsprozesse innerhalb der verschiedenen Immunzelltypen auswirkt. In den Daten der COVID-19-Fälle zeigten sich Alterungsprozesse nur in einem einzigen Typ von Immunzellen, den sogenannten Monozyten. Bei Personen mit mildem Krankheitsverlauf war die Alterung aber deutlich weniger stark ausgeprägt. Überdies scheinen diese Veränderungen umkehrbar zu sein, denn nach etwa drei Wochen der Genesung kehrten die Monozyten allmählich zu ihrem ursprünglichen Altersprofil zurück. Eine Tuberkulose-Impfung betrachtete das Forschungsteam die sogenannten CD8-T-Zellen. Hier war die Alterung abhängig davon, wie viele Entzündungsprozesse gerade im Körper abliefen. Bei hohen Entzündungswerten wirkte sich die Impfung verjüngend auf die Immunzellen aus. Mit Hilfe der Alterungsuhr, so ist Professorin Li überzeugt, könnten künftig Einflüsse von Infektionen und Impfungen besser verstanden und neue Ansatzpunkte für Therapien und Präventionsmaßnahmen entwickelt werden könnten, die ein gesundes Altern fördern.
Die „Single-Cell Immune Aging Clock“ steht Forschenden für weitere Projekte frei zur Verfügung. Weitere Informationen finden Sie hier.
Text: Stabsstelle Kommunikation