Internationales Forschungsteam entwickelt neue Gentherapie für Einsatz in Augenarztpraxen
Stand: 23. Februar 2021
Fünf Millionen Menschen weltweit leiden an angeborenen Erkrankungen, die zur Blindheit führen können. Ausgelöst werden diese sogenannten Netzhautdystrophien durch Fehler in bestimmten Genen, die für Teile des Sehprozesses zuständig sind. Dabei können bereits kleine Veränderungen im Erbmaterial etwa die Funktion der lichtaufnehmenden Sinneszellen (Fotorezeptoren) oder auch der Pigmentepithelzellen der Netzhaut zerstören, die das überschüssige Licht aufnehmen. Rund 150 verschiedene solcher Gen-Defekte sind inzwischen bekannt. Behandelt werden sie mit Gentherapie mit Hilfe spezieller Genfähren (Vektoren). Mit diesen umgebauten, für den Menschen harmlosen Viren ist es möglich, intakte Kopien des fehlerhaften Gens in die betroffenen Zellen der Netzhaut zu schleusen. Dort sollen sie die Produktion der fehlenden Proteine auslösen und so die Sehkraft zumindest in Teilen wiederherstellen. Einem internationalen Forschungsteam ist es jetzt gelungen, die Vektoren in Experimenten so zu verbessern, dass sie viel einfacher anzuwenden sind. Die Studie unter der Leitung von Professorin Dr. Hildegard Büning, stellvertretende Direktorin des Instituts für Experimentelle Hämatologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und Professor Dr. Stylianos Michalakis, Experte für die Gentherapie von Augenerkrankungen an der Augenklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München, ist in der Fachzeitschrift EMBO Molecular Medicine veröffentlicht worden.
Neue Vektoren lassen sich einfacher verabreichen
Das Grundgerüst dieser Genfähren leitet sich von Adeno-assoziierter Viren (AAV) ab. Die entsprechenden Vektoren werden bereits in präklinischen Studien für diverse Anwendung erprobt, und es gibt bereits erste Marktzulassungen mit AAV-Vektoren als Genfähren. Auch für die Behandlung der Netzhautdystrophie werden diese Vektoren bereits eingesetzt. Allerdings mussten sie bislang direkt unter die Netzhaut injiziert werden. Solche Eingriffe können nur Expertinnen und Experten in spezialisierten Zentren durchführen. Außerdem besteht das Risiko, dass dabei die fragile Netzhaut geschädigt wird. Und schließlich lässt sich mit einer solchen Injektion jeweils nur ein kleiner Teil der Netzhaut behandeln. Jetzt ist es dem Forschungsteam gelungen, die Vektoren in Experimenten so zu optimieren, dass sie einfacher zu verabreichen sind. „Wir haben die äußere Hülle, das sogenannte Kapsid, der Vektoren so verändert, dass sie ihr Ziel besser finden“, sagt Professorin Büning. Die Genfähren hätten so eine Art molekularbiologisches Navigationssystem erhalten, das sie sicher zur Netzhaut leite, erklärt die Molekularbiologin.
In Experimenten am Tiermodell und an Kulturen menschlicher Netzhautzellen konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigen, dass die intakten Genkopien mit Hilfe der verbesserten Genfähren die Sinneszellen auf der Netzhaut auch erreichen, wenn sie direkt in den Glaskörper des Auges gespritzt werden. Eine solch risikoarme Injektionstechnik ist mittlerweile klinischer Standard – etwa bei der Behandlung der Makuladegeneration – und kann in einer Augenarztpraxis vorgenommen werden. Zwei verschiedene Vektor-Varianten haben die Wissenschaftler erfolgreich getestet. Jetzt sind weitere klinische Studien erforderlich, bevor die Therapie in der Praxis eingesetzt werden kann.
SERVICE:
Weitere Informationen erhalten Sie bei Professorin Dr. Hildegard Büning, buening.hildegard@mh-hannover.de, Telefon (0511) 532-5106.
Die Originalarbeit „Novel AAV capsids for intravitreal gene therapy of photoreceptor disorders” finden Sie hier.