Viele Kliniken setzen den Adsorber bei der Blutreinigung Schwerkranker ein, um den lebensbedrohlichen Zytokinsturm zu verhindern.
Stand: 13. Juli 2023
Viele Kliniken setzen den Adsorber bei der Blutreinigung Schwerkranker ein, um Entzündungsstoffe abzufangen und den lebensbedrohlichen Zytokinsturm zu verhindern. MHH-Forschende fanden jetzt in einer Meta-Studie heraus, dass die Behandlung die Sterblichkeit nicht verringert und sogar schaden kann.
Bei einer Vielzahl von Erkrankungen wie etwa Nierenversagen oder schweren Infektionen werden Verfahren zur Blutreinigung eingesetzt. Die bekannteste Form der Blutreinigung ist die Hämodialyse bei Nierenversagen. Darüber hinaus gibt es auch verschiedene als therapeutische Apherese bezeichnete Behandlungen, die dafür sorgen, dass etwa Krankheitserreger oder auch schädliche Stoffwechselprodukte aus dem Blut entfernt werden. Bei diesen meist mehrstündigen Verfahren wird das Blut durch eine Maschine geleitet, um Krankheitserreger oder schädliche Stoffwechselprodukte mit Hilfe sogenannter Adsorber-Systeme zu entfernen. Die gesunden Anteile erhalten die Patientinnen und Patienten anschließend als Infusion zurück. Aber auch bei lebensgefährlichen überschießenden Immunreaktionen durch Sepsis oder COVID-19 wendet die Intensivmedizin Blutreinigungsverfahren an, die entzündungsfördernde Zytokine aus dem Blut entfernen sollen. Diese Proteine steuern eigentlich die Abwehr von Krankheitserregern. Unkontrolliert freigesetzt, lösen sie jedoch eine lebensgefährliche Überreaktion des Immunsystems aus. Um das zu verhindern, setzen viele Kliniken auf das Adsorber-System CytoSorb®. Zusätzlich zur Hämodialyse oder auch alleine eingesetzt soll die Kartusche die problematischen Botenstoffe abfangen und dafür sorgen, dass Betroffene den gefürchteten „Zytokinsturm“ überleben.
Jetzt haben Forschende der Klinik für Nieren- und Hochdruckerkrankungen der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) die Wirksamkeit des Adsorbers erstmals genauer untersucht. Sie analysierten Daten aus 34 Studien, in denen etwa 1.300 mit CytoSorb® behandelte Patientinnen und Patienten mit rund 1.300 Kontrollpersonen verglichen wurden. Das Resultat: „Wir konnten keine messbare Verringerung der Sterblichkeit durch die CytoSorb®-Behandlung feststellen“, sagt Professor Dr. Bernhard Schmidt, Oberarzt an der Klinik. Die Verwendung der mehr rund 1.100 Euro teuren Kartusche kann sogar negative Folgen haben. Denn der Adsorber entfernt nicht nur die entzündungsfördernden Zytokine, sondern auch andere Bestandteile des Blutplasmas wie entzündungshemmende Gewebshormone, Gerinnungsfaktoren und Antibiotika. „Daher können wir den Einsatz von CytoSorb® in der Intensivmedizin nicht empfehlen“, stellt der Nephrologe fest. Die Ergebnisse der Meta-Analyse sind in der Fachzeitschrift Critical Care veröffentlicht.
Einsatz steigt von Jahr zu Jahr
Der Adsorber wird in den USA hergestellt und seit elf Jahren in deutschen Kliniken als Zusatz bei der Blutreinigung verwendet. Die Zahl der Einsätze stieg dabei von Jahr zu Jahr und lag 2020 bei etwa 6.500. Auch die Anzahl der Studien zur Anwendung von CytoSorb® ist beträchtlich. 410 Treffer ergab die Suche der MHH-Forschenden in der medizinischen Datenbank PubMed, etwa 800 waren es in der CytoSorb®-eigenen Datenbank. Doch längst nicht alle Studien waren überhaupt dafür geeignet, in die Meta-Studie einbezogen zu werden. „Die meisten waren hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Qualität völlig ungenügend, hatten zu kleine Kohorten, haben die Daten derselben Patienten mehrfach verwendet und völlig verschiedene Krankheitsverläufe miteinander verglichen“, erklärt Professor Schmidt. 34 Studien blieben schließlich übrig, die der Nephrologe und sein Team überprüften. Von diesen waren lediglich zwölf randomisiert, hatten also ihre Teilnehmenden per Zufall unterschiedlichen Gruppen zugeordnet, so dass nicht vorhersehbar war, wer die Blutreinigung mit Adsorber erhält und wer zur Kontrollgruppe gehört.
Geeignete Studien fehlen
Gleichwohl schließe die Meta-Studie nicht aus, dass CytoSorb® unter bestimmten Umständen nicht doch einen positiven Effekt haben könnte, betont Professor Schmidt. „Bei bestimmten Erkrankten in der sehr frühen Phase einer Sepsis könnte der Adsorber möglicherweise helfen“, sagt er. „Aber das sind Einzelfallentscheidungen.“ Um die Wirksamkeit eindeutig nachzuweisen, fehlten randomisierte, kontrollierte Studien an geeigneten Patientinnen und Patienten in vergleichbaren Krankheitszuständen. Dafür müsse jedoch Vorarbeit geleistet werden, um Patienten zu finden, die vermutlich auf die Behandlung ansprechen und um für jede Erkrankung den optimalen Zeitpunkt für die Therapie zu bestimmen. Immerhin ist die Meta-Studie jetzt Teil der CytoSorb®-Datenbank. Ob sich der Einsatz des Adsorbers in deutschen Kliniken aufgrund seiner Veröffentlichung verringern wird, darüber möchte der Nephrologe nicht spekulieren. An der MHH werde die Kartusche jedoch schon seit geraumer Zeit weniger häufig eingesetzt.
Autorin: Kirsten Pötzke