Seit Anfang dieses Jahres gibt es an der MHH einen Väterbeauftragten. Professor Dr. Jens Dingemann im Gespräch über seine neue Position
Stand: 25. September 2020
Herr Professor Dingemann, warum braucht die MHH einen Väterbeauftragten?
In der Medizin, insbesondere in großen Kliniken, orientiert man sich leider immer noch am klassischen Rollenbild: Der Mann arbeitet und die Frau kümmert sich um die Kinder. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass es Männer gibt, die sich im Beruf und gleichzeitig auch als Väter engagieren wollen. Es ist nun einmal so, dass die Lebensphase, in der man beruflich sehr leistungsfähig und karriereorientiert ist, meistens auch die Zeit der Familiengründung und des Elternseins ist. Familienfreundlichkeit heißt für mich, dass die Bedürfnisse beider Elternteile berücksichtigt werden. Die Väter werden in der Hinsicht zu wenig wahrgenommen. Ein Väterbeauftragter kann diese Gruppe der Beschäftigten und Studenten unterstützen.
Um welche Knackpunkte geht es vor allem?
Die zentralen Probleme drehen sich um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Zum Beispiel um die Elternzeit. Väter in Elternzeit sind immer noch die Ausnahme und viele Vorgesetzte sind nicht begeistert, wenn Mitarbeiter sich für eine begrenzte Zeit vor allem um ihre Familie kümmern wollen. Schwierig kann es auch bei der Rückkehr ins Berufsleben werden. Ein Mann in Teilzeit passt vielen Vorgesetzten nicht ins Konzept. Das gilt in der Krankenversorgung genauso wie in der Verwaltung und im technischen Bereich.
Was sind Ihre Aufgaben als Väterbeauftragter?
Das sind vor allem drei Dinge: Zum einen möchte ich die Väter insgesamt repräsentieren und für sie eine Öffentlichkeit an der Hochschule schaffen. Zum anderen, und das ist die Kernaufgabe, möchte ich sie bei der Planung der Karriere, der Elternzeit und dem Wiedereinstieg in den Beruf beraten und unterstützen. Die Beratung ist natürlich nicht rechtsverbindlich. Aber ich denke, ich kann einige wertvolle Tipps einbringen, auch aus meiner persönlichen Erfahrung. Das bezieht sich selbstverständlich auch auf studierende Väter an der MHH. Darüber hinaus habe ich mir vorgenommen, ein Netzwerk aufzubauen und Kontakte zu Väterbeauftragten an anderen Unis und Einrichtungen zu knüpfen.
Sie haben selbst drei Kinder und arbeiten in Vollzeit als Oberarzt in der Kinderchirurgie. Wie haben Sie ihr Familienleben organisiert?
Meine Frau Carmen und ich sind das typische „Dual-Career-Ehepaar“. Sie hat beruflich genauso viel erreicht wie ich und arbeitet ebenfalls in Vollzeit als Oberärztin in der Kinderchirurgie. Unsere Kinder sind jetzt neun, sechs und vier Jahre alt. Die Elternzeit haben wir uns bei allen drei Kindern jeweils zur Hälfte geteilt. Die Früchte ernten wir jetzt – wir sind bei der Betreuung unserer Kinder gleich „qualifiziert“ und jederzeit austauschbar. Sehr hilfreich sind für uns die MHH-Kita Campuskinder mit ihren flexiblen Öffnungszeiten und die Notfallkinderbetreuung der MHH. Unsere Älteste besucht inzwischen eine Ganztagsschule. So haben wir nachmittags nur noch eine Betreuungslücke von zwei Stunden zu schließen. Für diese Zeit haben wir eine sehr nette Ersatzoma gefunden, die auf die Kinder aufpasst. Insgesamt schaffen wir es damit recht gut, trotz der Kinder beide engagiert in unserem Beruf zu arbeiten.
War es für Sie kein Problem, als Vater in Elternzeit zu gehen?
Nein. Ich habe zum Glück einen Chef, der dafür offen ist. Wir haben vorher gemeinsam alles perspektivisch geplant und besprochen. Nicht nur, was die Elternzeit angeht, sondern auch, wie es in der Zeit danach weitergeht.
Andere Männer stoßen nicht auf das Wohlwollen der Vorgesetzten, obwohl sie einen rechtlichen Anspruch auf Elternzeit haben…
Es sollte dabei nicht nur darum gehen, was einem rechtlich zusteht. Entscheidend ist doch, dass beide Seiten mit gegenseitigem Verständnis und grundsätzlicher Kompromissbereitschaft aufeinander zugehen. Die Mitarbeiter sollten ihren Vorgesetzten klar machen, dass ihnen das aktive Vatersein wichtig ist. Genauso deutlich sollten sie aber auch sagen, dass sie nach der Elternzeit wieder bereit sein wollen für Verantwortung im Beruf. Wichtig dabei ist meiner Meinung nach der offene Austausch und der gemeinsam entwickelte feste Zukunftsplan, an den sich beide Seiten halten.
Wie wollen Sie konservative Chefs davon überzeugen?
Alle Vorgesetzten sollten eigentlich so modern sein, sich dem neuen Rollenverständnis und den Bedürfnissen ihrer Mitarbeiter nicht zu verschließen. Denn letztlich geht es doch auch darum, im Wettbewerb um Fachkräfte ein attraktiver Arbeitgeber zu sein und qualifizierte Beschäftigte zu halten. Familienfreundliches Handeln bringt für Väter, Abteilungsleiterinnen und -leiter und die gesamte MHH einen Gewinn. Und es ist ein positives Signal für potenzielle Bewerberinnen und Bewerber.
Was reizt Sie an den Aufgaben eines Väterbeauftragten?
Das Thema ist mir grundsätzlich wichtig. Ich finde zur Familienfreundlichkeit gehört neben der Frauenförderung unbedingt auch die Einbeziehung der Väter. Zwei Bedingungen hatte ich allerdings, bevor ich zugesagt habe: Zum einen sollte die Tätigkeit als Väterbeauftragter mein Engagement als Kinderchirurg nicht einschränken. Zum anderen wollte ich nicht, dass der Väterbeauftragte ein ‚Ehrenamt‘ ist, denn dann würde der Position nicht die Bedeutung zukommen, die sie verdient.
Interview: Tina Götting