RehAmpTT ist ein digitales Unterstützungsangebot für medizinisches Fachpersonal, Betroffene und Angehörige in ukrainischer und deutscher Sprache
Eine Amputation ist für die Betroffenen extrem belastend, sie verändert das Leben grundlegend. Das wird wohl nirgends so deutlich wie in Kriegsgebieten: In der Ukraine wurden seit Kriegsbeginn zigtausende Menschen verletzt, viele von ihnen verloren Gliedmaßen. Ob und wie gut Menschen nach einer Amputation wieder ins Leben zurückfinden, hängt stark von der Rehabilitation ab. Zur Unterstützung dieses Prozesses hat die Klinik für Rehabilitations- und Sportmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) das Lernmodul RehAmpTT (Rehabilitation after Amputation. Teaching Tool) entwickelt. Das Tool ist Teil eines vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) mit rund 120.000 Euro geförderten Projekts zur strukturellen Verbesserung der rehabilitativen Versorgung amputierter Menschen in der Ukraine.
Die Ergebnisse dieses Projekts wurden in einem Report zusammengefasst und dem BMG zur weiteren Nutzung zur Verfügung gestellt. Das zusätzlich entwickelte Lernmodul richtet sich an medizinisches Fachpersonal, Betroffene und Angehörige in der Ukraine. Genauso gut ist es aber auch im deutschsprachigen Raum zur Versorgung amputierter Menschen einsetzbar. Das Online-Lernmodul ist über die Lernplattform der MHH für alle Interessenten in ukrainischer und deutscher Sprache verfügbar.
Teilhabe am sozialen und beruflichen Leben
„Der Rehabilitationsprozess nach einer Amputation kann Monate, manchmal sogar Jahre dauern“, erklärt Dr. Christoph Egen, Klinikmanager an der Klinik für Rehabilitations- und Sportmedizin. „Das Ziel ist immer, dass die betroffenen Menschen bestmöglich am sozialen und beruflichen Leben teilhaben können.“ In die Rehabilitation sind viele Berufsgruppen und Behandlungsbereiche eingebunden. Je enger und besser sie zusammenarbeiten, desto erfolgreicher können die Patientinnen und Patienten versorgt werden. Dabei soll das Lernmodul RehAmpTT helfen. Ein interdisziplinäres Team aus Fachleuten der MHH sowie zweier orthopädietechnischer Unternehmen füllten dieses Tool in einem Zeitraum von acht Monaten mit Inhalt. „Es war sehr schön zu beobachten, wir schnell das Team zusammenfand. Sektoren- und berufsgruppenübergreifend wurde klar, dass hier ethische Werte dominierten und Partikularinteresse in den Hintergrund traten. Eine tolle Erfahrung mit großem Output“, stellt Dr. Egen fest.
Alle Schritte der Rehabilitation
Die Lernplattform führt schrittweise durch die Phasen der rehabilitativen Versorgung – vom Zeitpunkt direkt nach der Operation bis zur Langzeitversorgung – und stellt die Behandlungstechniken dar. Innerhalb jeder Phase finden die Nutzerinnen und Nutzer jeweils neun Unterkategorien zu Themen wie beispielsweise „Bewegung, Kraft und Mobilität“, „Hilfsmittel“, „Schmerz“ und „Stumpfpflege“. „Das Tool erfüllt sicher nicht den Anspruch einer allumfassenden Darstellung“, sagt Dr. Egen, „aber es beantwortet alle wichtigen Fragen rund um die Versorgung.“ Darüber hinaus gibt es auch praktische Tipps für die Betroffenen, beispielsweise Anleitungen zum Brotschneiden, Schuhe zubinden und BH-Anziehen mit nur einem Arm.
Thema mit neuer Dimension
Die MHH-Rehabilitationsmedizin war schon vor dem Krieg beratend in der Ukraine tätig. „Es gab dort selbstverständlich bereits vor dem Angriffskrieg durch Russland Erfahrungen mit der Rehabilitation nach Amputationen, aber durch die aktuellen Ereignisse hat das Thema natürlich eine ganz andere Dimension angenommen“, erklärt Dr. Egen. „Die Versorgung amputierter Menschen wird die Ukraine auch nach Kriegsende noch Jahrzehnte beschäftigen – alleine durch die großflächig verminten Gebiete.“
Tool ist auch im deutschsprachigen Raum nützlich
Zurzeit entstehen in der Ukraine zwar große Reha-Zentren, für viele Menschen sind diese aber weit vom Wohnort entfernt. „Mit dem Lernmodul möchten wir unser Fachwissen auf verständliche Art in die Fläche bringen“, erläutert Dr. Jörg Schiller, Mitglied des RehAmpTT-Teams. Das Lernmodul sei ein einfaches, gut handhabbares Instrument, dass nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Deutschland und den anderen deutschsprachigen Ländern wertvoll sein könne. Hierzulande gibt es rund 65.000 Menschen, denen aus unterschiedlichen Gründen ein Bein amputiert werden musste. Hinzu kommen zahlreiche Armamputierte. „Viele Hausärzte sind im Umgang mit amputierten Patientinnen und Patienten unsicher, weil sie nur wenig oder keine Erfahrung damit haben. Das kann ungewollt eine große Distanz schaffen“, stellt Dr. Schiller fest. Das Lernmodul kann dazu beitragen, diese Distanz abzubauen und die Rehabilitation zu verbessern.
RehAmpTT entstand in Kooperation mit der Klinik für Unfallchirurgie, dem eLearning-Team der MHH im Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik der TU-Braunschweig und der MHH (PLRI), den orthopädietechnischen Unternehmen Brandes und Diesing OHG sowie John + Bamberg GmbH& Co. KG.
Zugang zu RehAmpTT in ukrainischer und deutscher Sprache über: https://digitale-lehre-mhh.de
Text: Tina Götting