Borreliose: Wann Zecken gefährlich werden

Wenn Zecken stechen, verbreiten sie bei ihren menschlichen Opfern schnell Panik - meistens unbegründet. Allerdings gibt es bestimmte Symptome, auf die Sie achten sollten - das erklärt Dr. Frank Dressler.

Dr. Frank Dressler. Copyright: Klinik für Pädiatrische Pneumologie, Allergologie und Neonatologie/MHH

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Stand: 14. August 2020

Frage: Zecken gelten gemeinhin als Plage, Blutsauger und Minivampire. Haben Sie selbst Angst vor Zecken?

Dr. Dressler: Nein. Denn das, was wir hier in Niedersachsen von Zecken an Erkrankungen übertragen bekommen können, können wir gut erkennen und behandeln. Ich finde Zecken mittlerweile auch sehr spannend, weil ich mich mit ihnen viel beschäftigt habe. Ekelig sind sie in meinen Augen  nicht. Das geht vielen Menschen ja anders. In unsere Notaufnahme kommen zum Beispiel nicht selten Eltern, die sich nicht trauen, eine Zecke bei ihrem Kind zu entfernen. Das kann man wirklich nicht empfehlen, denn durch das häufig lange Warten bis zum Besuch in der Notaufnahme verlieren sie viel wichtige Zeit.

Frage: Wann werden Zecken gefährlich für den Menschen?

Dr. Dressler: Es gibt weltweit Hunderte Arten von Zecken. Für uns gefährlich werden nur die, die man im Deutschen Holzbock nennt. Diese können die Bakterien der Art Borrelia burgdorferi (Borrelien) übertragen und Viren, die FSME, also Frühsommer-Meningoenzephalitis, auslösen. Uns muss besonders die von Borrelien verursachte Borreliose beschäftigen, denn bislang gab es außerhalb des Emslands in Niedersachsen noch keine nachgewiesene Übertragung von FSME. In Deutschland kann man in jedem Landkreis Borreliose bekommen, einschließlich der Inseln, wohin Zecken nämlich mit Vögeln gelangen. Der Mensch ist aber gar nicht der bevorzugte Wirt für Zecken. Der Holzbock im Kindes- und Jugendalter will eigentlich am liebsten von Mäusen oder Wühlmäusen "essen" und als Erwachsener von einem Reh. Das sind die Lieblingswirte.

Frage: Also sind wir Menschen eigentlich nur ein Zufallsopfer der Zecke?

Dr. Dressler: Ja. Der Mensch läuft leider auch mal da lang, wo Mäuse oder Rehe zu finden sind. Allerdings ist bei Weitem nicht jeder Stich des Holzbocks gefährlich. Nur jeder 50. bis 100. Stich führt zu einer Infektion. Entscheidend ist dabei auch das Alter der Zecke. Von den Zecken-Larven, die weniger als einen Millimeter groß und damit kaum zu erkennen sind, aber trotzdem schon stechen können, sind nur weniger als ein Prozent mit Borrelien infiziert. 15 bis 20 Prozent der jugendlichen Zecken, Nymphen genannt, sind infiziert, bei den Erwachsenen sind es etwa 30 Prozent. Die größte Gefahr müsste also von den erwachsenen Zecken ausgehen. Die sind aber so groß, dass sie schnell entdeckt werden. Also geht für Menschen von den unauffälligeren Nymphen das höchste Risiko für eine Ansteckung mit Borrelien aus.
Wichtig für die Übertragung ist dann noch die Dauer des Stiches: Erst nach zwölf Stunden werden die Bakterien übertragen. Diese sitzen nämlich hinten im Darm der Zecke und brauchen diese Zeit, um in den Speichel zu gelangen. Wenn die Zecke also zügig entfernt wird, ist das Risiko extrem gering.

Frage: Borreliose und FSME: Was sind das genau für Krankheiten?

Dr. Dressler: :Die Borreliose - oder auch Lyme-Borreliose genannt - ist eine bakterielle Krankheit, ausgelöst von den erwähnten Borrelien. Deshalb ist sie sehr gut mit Antibiotika zu behandeln. Sie betrifft überwiegend die Haut, aber auch das Nervensystem, die Gelenke und das Herz. FSME ist dagegen eine von Viren ausgelöste Entzündung des Gehirns und der Hirnhäute. Für die FSME gibt es keine ursächliche Therapie. Das macht FSME zu der deutlich ernsteren Erkrankung, gegen die man sich jedoch impfen lassen kann. Gegen Borrelien wiederum gibt es noch keinen wirksamen Impfstoff. Es gibt zwar vorläufige Ergebnisse. Vermutlich wird es aber noch mindestens fünf Jahre dauern, bis so ein Impfstoff vorliegt.

Frage: Ihr Fachgebiet ist die Borreliose, auch Lyme-Borreliose genannt. Auf welche Symptome sollte ich nach einem Zeckenstich achten?

Dr. Dressler: Zunächst kann man selbst das Risiko einschätzen, indem man überprüft - am besten mit einer Lupe - wie groß die Zecke ist. Wenn es die winzig kleine Baby-Zecke ist, die statt den bei Erwachsenen üblichen acht Beinen nur sechs hat, kann man schon mal entspannt werden. Denn dann ist das Risiko einer Übertragung extrem gering. Typisches Symptom ist die sogenannte Wanderröte, eine Rötung der Haut, die sich auch erste mehrere Wochen nach dem Stich zeigen kann und größer wird. Wenn diese Rötung größer als ein Zwei-Euro-Stück wird, sollte man zum Arzt gehen. Aber auch erst ab dieser Größe. Denn es kann sein, dass die Haut auch einfach empfindlich auf den Stich an sich bzw. auf Stoffe im Speichel der Zecke reagiert.

Frage: Gibt es noch andere Anzeichen einer Borreliose?

Dr. Dressler: Ja. Diese Wanderröte tritt bei 85 Prozent der Fälle auf. Bei einem kleinen Teil entwickeln sich stattdessen neurologische Symptome, bei Kindern am häufigsten eine Hirnnervenlähmung und insbesondere Gesichtsnervenlähmung. Zum Beispiel hängt dann der Mundwinkel oder das Auge kann nicht zugekniffen werden. Bei Erwachsenen sind es meist vom Rumpf ausgehende Schmerzen, also starke Rückenschmerzen, die bis in die Seiten ziehen. Die Symptome sind aber ganz vielfältig und variabel. In Einzelfällen kann es bei einer Neuroborreliose von einer leichten Hirnhautentzündung bis zur Demenz gehen.
Nicht selten ist auch Arthritis, also eine Gelenkentzündung, die dann vor allem das Kniegelenk betrifft. Das tritt dann erst Monate bis sogar Jahre nach dem Zeckenstich auf. 

Frage: Wie wird die Borreliose vom Arzt festgestellt?

Dr. Dressler: Bei einer klassischen Wanderröte muss gar nicht weiteruntersucht werden, das ist dann eindeutig, dann wird sofort behandelt. Bei neurologischen Symptomen und auch später auftretenden Symptomen oder Erkrankungen wie Arthritis muss mehr untersucht werden. Dann wird das Blut und bei der Neuroborreliose auch der Liquor auf Antikörper gegen Borrelien getestet. Wenn der Test positiv ist, heißt das aber nicht automatisch, dass eine Borreliose die Ursache ist. Es heißt, dass der Patient Kontakt mit den Bakterien gehabt hat. Bis heute gibt es leider keinen guten aussagekräftigen Test, der auf eine aktive Erkrankung hinweist. Beim Antikörper-Test ist noch wichtig, dass er nicht unmittelbar nach dem Stich gemacht wird. Das ist zu früh. Damit sich Antiköper bilden, braucht es vier bis sechs Wochen.

Frage: Wie kann die Borreliose therapiert werden?

Dr. Dressler: Die Borreliose ist mit Antibiotika in der Regel gut behandelbar und dazu gibt es auch keine vernünftige Alternative. Je nach Art der Beschwerden wird das Antibiotikum zwischen 10 und bis zu 30 Tage eingesetzt. Einen Stich an sich würde ich aber nicht sofort behandeln, erst wenn es Beschwerden gibt. Denn ein Stich bedeutet nicht gleich eine Infektion. Und Antibiotika können auch unangenehme Nebenwirkungen gerade im Magen-Darm-Bereich hervorrufen.

Frage: Wie schützt man sich am besten?

Dr. Dressler: Lange Kleidung, am besten die Hose noch in die Strümpfe stecken, ist sinnvoll. Aber wenn ich ehrlich bin, halte ich mich selbst nicht ganz konsequent daran. Denn sehr modisch ist das ja nicht (lacht). Man kann auch bestimmte Mittel auf die Kleidung auftragen, zum Beispiel wirkt Permethrin sehr gut. Aber das muss dann auch wirklich immer jeden Tag neu aufgetragen werden. Das finde ich sehr aufwendig. Angesichts des niedrigen Ansteckungsrisikos nehme ich da lieber den einen oder anderen Zeckenstich in Kauf. Wichtig ist, seinen Körper und den seiner Kinder regelmäßig nach Zecken abzusuchen und diese dann schnell zu entfernen. Besonders wohl fühlen sie sich an warmen und feuchten Stellen wie in den Leisten, unter den Achseln sowie in den Kniekehlen und bei Kindern am Kopf und im Haaransatz.

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Interview: Vanessa Meyer/MHH

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