An der MHH war die Organtransplantation trotz COVID-19 auf dem Niveau des Vorjahrs.
Stand: 5. Juni 2020
„Für mich war eigentlich nur wichtig: leben oder sterben. Corona stand dabei völlig im Hintergrund.“ Das berichtet Marion L., die wegen einer schweren Leberzirrhose unbekannter Ursache im Januar 2020 für eine Transplantation gelistet wurde und Anfang Mai an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) transplantiert worden ist. „Mein Mann hatte eher Bedenken, dass ich mich im Krankenhaus infizieren könnte. Für mich war das nicht wichtig. Wichtig war für mich die Transplantation.“ Marion L. ging es zum Zeitpunkt der Transplantation sehr schlecht. Sie hatte Wasser im Bauch, Schlafstörungen und konnte sich kaum bewegen. Heute, nur vier Wochen später, geht es ihr hervorragend. „Von der Operation zwickt es noch ein wenig hier und da, ansonsten fühle ich mich super. Ich hätte nie gedacht, dass das so gut läuft!“
„Wir haben hier an der MHH und in Deutschland trotz der Corona-Pandemie weiter transplantiert. Nur die Lebendspende, als verschiebbaren Eingriff, haben wir bis Anfang Mai für alle Organe ausgesetzt“, sagt Professor Dr. Hans Heinrich Wedemeyer, Direktor der MHH-Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie. An der MHH wurden in den ersten fünf Monaten genauso viele Patienten transplantiert wie im gleichen Zeitraum 2019. Das Infektionsrisiko war unter Kontrolle. „Während der gesamten Corona-Pandemie gab es in der MHH keinen Fall, bei dem ein Patient durch einen Mitarbeiter oder umgekehrt ein Mitarbeiter durch einen Patienten infiziert worden ist, weder im ambulanten noch im stationären Bereich.“
Trotz COVID-19: Kein Rückgang bei Organspende und Transplantation
Am 16. März hat die MHH dem Aufruf der Bundesregierung folgend verschiebbare (elektive) Behandlungen im stationären und ambulanten Bereich abgesagt, um verstärkt COVID-19-Erkrankte behandeln zu können. Nur Notfälle wurden uneingeschränkt versorgt. Auch ein Besuchsverbot zum Schutze der Patientinnen und Patienten sowie der MHH-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter wurde ausgesprochen. Doch die Befürchtungen bestätigten sich nicht: Im April mussten in Deutschland sowie an der MHH weitaus weniger COVID-19-Patienten intensivmedizinisch behandelt werden. Organspende und Transplantation blieben fast konstant, wie die Statistiken der Deutsche Stiftung Organspende e. V. (DSO) und von Eurotransplant belegen.
Stufenplan für Transplantationsprogramme
Transplantationen sind keine elektiven, sondern überwiegend dringliche Eingriffe. Die Patientinnen und Patienten gehören nach der Transplantation wegen der Unterdrückung ihres Immunsystems und ihren Vorerkrankungen zur Hochrisikogruppe. Mitte März hatte das Transplantationszentrum vorausschauend einen Stufenplan und Empfehlungen beschlossen, wie Transplantationsprogramme bei maximalem Infektionsschutz an die COVID-19-Situationanzupassen seien. Die Transplantationsaktivitäten sollten entsprechend den Intensivkapazitäten in der MHH in drei Stufen reduziert werden. In der ersten Stufe wurde die Lebendspende zum Schutze des Spenders sowie des Empfängers eingestellt. In der zweiten Stufe wurden insbesondere hochdringlich gelistete Patient_innen transplantiert oder nach Einzelfallentscheidungen der Transplantationskonferenzen. Die Transplantationsprogramme bei Kindern wurden fortgeführt. In der dritten Stufe wären alle Transplantationsprogramme vollständig eingestellt worden, aber nur die Stufe 1 und 2 mussten aktiviert werden. Ab dem 17. April konnten die Transplantationsaktivitäten wieder ausgeweitet werden. Seit dem 5. Mai finden auch Lebendspenden wieder statt.
Testung von Organspender und -empfänger
Priorität hatte immer die größtmögliche Sicherheit der Transplantationspatient_innen. So testet die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) alle Organspender auf Corona. „Wir transplantieren nur Organe, für die ein negativer Test vorliegt“, berichtet Dr. Nicolas Richter, Oberarzt in der MHH-Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie. „An der MHH gehen wir noch einen Schritt weiter und testen alle unsere Empfänger.“ Das Institut für Virologie führt dazu rund um die Uhr entsprechende Tests durch. „Unsere Erfahrung zeigt – und Marion L. ist dafür ein gutes Beispiel–, dass man sich in Corona-Zeiten bei uns sicher transplantieren lassen kann.“
Große Erfahrung mit strengen Hygienemaßnahmen bietet Sicherheit
Auf Station und in den Operationssälen haben sich die Hygienemaßnahmen indes kaum geändert. „Das liegt nicht daran, dass wir das Corona-Virus auf die leichte Schulter nehmen würden, sondern daran, dass wir uns seit Jahrzehnten Gedanken dazu gemacht haben, wie wir Patientinnen und Patienten im Allgemeinen – und immungeschwächte Patient_innen im Besonderen – vor Infektionen mit Viren, Bakterien und Pilzen schützen können“, erklärt Dr. Richter. „Wir haben aber einige Maßnahmen noch einmal verschärft. So achten wir besonders auf den Abstand. Und ich ganz persönlich habe früher gerne Patientinnen und Patienten die Hände geschüttelt. Das habe ich mir – auch wenn es schwerfällt – abgewöhnt.“
Optimierte Abläufe in der Ambulanz minimieren Infektionsrisiko
Lebertransplantierte werden ein Leben lang in der Ambulanz betreut. „Aufgrund der Corona-Pandemie haben wir gewisse Abläufe optimiert. So wird vermehrt darauf geachtet, dass Abstandsregeln eingehalten werden und dass nicht zu viele Patient_innen in einem Wartebereich sitzen, um das Infektionsrisiko zu minimieren“, sagt Professor Wedemeyer.
Nach mehr als drei Monaten Erfahrung mit dem Corona-Virus hat Professor Wedemeyer eine gute Nachricht für Transplantierte: „Zwar wird uns das Corona-Virus die kommenden 12 bis 18 Monate noch begleiten, aber aus meiner Sicht brauchen die Transplantationspatient_innen keine Angst vor Corona zu haben. Sie müssen natürlich vorsichtig sein, aber das müssen sie aufgrund der Medikamente, die die körpereigene Immunantwort unterdrücken sowieso.“ Zudem gäbe es spannende Entwicklungen Medikamente betreffend, die das Restrisiko zeitnah mindern könnten.“
„Transplantationspatientinnen und -patienten sind hier in der MHH in den besten Händen“, ergänzt Professor Michael Manns, Präsident der MHH. „Das liegt daran, dass ein Team aus erfahrenen Chirurgen und Internisten mit der Pflege Hand in Hand arbeitet, unterstützt von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Patientenaufnahme, dem Sozialdienst, der Verwaltung, den Reinigungskräfte bis hin zum Transportdienst, die die Patienten zu Untersuchungen fahren.“ Das sei in der MHH ein Gesamtwerk, das zuverlässig und gut läuft.
- Die MHH hat von Anfang Januar bis Ende Mai 2020 zehn Herzen, 36 Lebern, 63 Nieren, 37 Lungen und zwei Bauchspeicheldrüsen transplantiert. Im Jahr 2019 waren es im gleichen Zeitraum zehn Herzen, 26 Lebern, 67 Nieren, 43 Lungen und zwei Bauchspeicheldrüsen.
- Deutschlandweit wurden in den ersten fünf Monaten des Jahres 2020 145 Herzen, 336 Lebern, 639 Nieren, 141 Lungen und 41 Bauchspeicheldrüsen transplantiert. Im Jahr 2019 waren es im gleichen Zeitraum 129 Herzen, 289 Lebern, 660 Nieren, 140 Lungen und 47 Bauchspeicheldrüsen.