Studie untersucht Erfolgsfaktoren für Nutzung internetbasierter Psychotherapie
Stand: 16. März 2021
Depressive Störungen gehören zu den häufigsten Erkrankungen. Etwa 16 bis 20 von 100 Menschen leiden nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums mindestens einmal im Leben an einer Depression oder einer chronisch depressiven Verstimmung. Die seelischen Störungen sind zwar gut mit Medikamenten und einer psychotherapeutischen Behandlung in den Griff zu bekommen. Doch wer professionelle Hilfe benötigt, muss mitunter lange auf einen Termin in einer Praxis oder Klinik warten. Eine wirksame Alternative stellen evidenzbasierte Online-Behandlungen dar. Aber obwohl inzwischen vier solcher wissenschaftlich überprüften Programme in Deutschland zur Verfügung stehen, werden sie nur von weniger als einem Prozent der Betroffenen in Anspruch genommen. Warum das so ist und wie die Angebote verbessert werden können, soll jetzt eine Studie unter der Leitung von Professor Dr. Kai G. Kahl, geschäftsführender Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), klären. Die Studie wird vom Land Niedersachsen und der VolkswagenStiftung mit einer halben Million Euro aus dem „Niedersächsischen Vorab“ unterstützt.
Genauso wirksam wie konventionelle Psychotherapie
„Depressive Erkrankungen sind nicht nur eine seelische und psychosomatische Belastung für Patientinnen und Patienten und ihre Angehörigen, sondern wegen krankheitsbedingter Arbeitslosigkeit oder Frühverrentung auch ein ökonomisches Problem für die Betroffenen und die Gesellschaft“, sagt Professor Kahl. Nur etwa ein Viertel der Erkrankten nimmt überhaupt an einer Therapie teil. Das liegt unter anderem an den Wartezeiten. Weil es mehr therapiewillige Patienten als verfügbare Termine gibt, dauert es im Durchschnitt drei Monate bis zu einem Erstgespräch und weitere drei bis sechs Monate bis zum Beginn der eigentlichen Therapie. Online-Behandlungen könnten die Versorgungslücke schließen. Ihre Wirksamkeit sei nachgewiesen, betont er. „Internetbasierte kognitive Verhaltenstherapien führen den Nutzer Schritt für Schritt durch einen strukturierten Prozess und wirken oft vergleichbar wie eine konventionelle Psychotherapie von Angesicht zu Angesicht.“ Gleichwohl sei die Akzeptanz dieser kostenfreien Angebote gering.
Welche Gründe dafür eine Rolle spielen, ob etwa zu wenige Hausärztinnen und Hausärzte ihre Patienten auf die Online-Möglichkeiten hinweisen oder ob die Anwendung selbst zu wenig benutzerfreundlich oder zu wenig attraktiv für Nutzerinnen und Nutzer ist, soll nun die Studie zeigen. Um die kritischen Erfolgsfaktoren herauszufinden, werden auf Grundlage eines wissenschaftlich basierten Technologieakzeptanzmodells Betroffene, Ärztinnen und Ärzte sowie Entwicklerinnen und Entwickler von Online-Behandlungen qualitativ befragt. In einem zweiten Schritt werden die gewonnenen Erkenntnisse an 5.000 Menschen mit depressiven Erkrankungen quantitativ überprüft. Ziel ist, künftige Programme den Bedürfnissen der Patienten anzupassen und gleichzeitig das medizinische Umfeld für die digitalen Therapieverfahren zu sensibilisieren. „Wir sind glücklich über das Vertrauen der Förderer und wollen einen wichtigen Beitrag zur Digitalisierungsoffensive in der Medizin leisten“, sagt Professor Kahl.
Das Projekt ist eine Kooperation zwischen der MHH, der Leibniz Universität Hannover (Professor Dr. Michael H. Breitner, Professorin Dr. Annika Herr, PD Dr. Jan Zeidler), der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften (Professorin Dr. Daniela Eidt-Koch) und der AOK (Dr. Jona Stahmeyer).
SERVICE:
Weitere Informationen erhalten Sie bei Professor Dr. Kai G. Kahl, kahl.kai@mh-hannover.de, Telefon (0511) 532-2495.