Aus der MHH

Sechs ausgezeichnete MHH-Promotionen

Gesellschaft der Freunde der MHH (GdF) verleiht Preise für herausragende Doktorarbeiten

Die Promotionspreisträgerinnen und Promotionspreisträger (von links): Dr. rer. nat. Fangfang Chen, Dr. rer. nat. Alexander Bollenbach, Dr. med. Tammo Lambert Tergast, Dr. med. Nora Möhn, Dr. rer. nat. Anna Christina Dragon und Dr. rer. biol. hum. Rizky Indrameikha Sugianto stehen in einem Hörsaal, hinter ihnen die Sitzbänke.

Die Promotionspreisträgerinnen und Promotionspreisträger (von links): Dr. rer. nat. Fangfang Chen, Dr. rer. nat. Alexander Bollenbach, Dr. med. Tammo Lambert Tergast, Dr. med. Nora Möhn, Dr. rer. nat. Anna Christina Dragon und Dr. rer. biol. hum. Rizky Indrameikha Sugianto. Copyright: Karin Kaiser/MHH

Stand: 21. November 2022

Die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) hat wegen der Pandemie auch in diesem Jahr noch keine große Promotionsfeier für alle Doktorandinnen und Doktoranden ausgerichtet. Dafür holte die Hochschule am Freitag die Auszeichnung der herausragenden Doktorarbeiten aus dem Zeitraum Oktober 2019 bis Ende August 2022 nach. Die Gesellschaft der Freunde der MHH (GdF) verlieh sechs Promotionspreise. Ihr erster Vorsitzender Professor Dr. Siegfried Piepenbrock überreichte die Auszeichnungen während einer Feierstunde. MHH-Präsident Professor Dr. Michael Manns gratulierte ihnen und hob hervor: „Diese Promotionspreise demonstrieren erneut, auf welch hohem Niveau an der MHH auf verschiedenen Gebieten der theoretischen und klinischen Medizin geforscht wird.“ Die Preise sind jeweils mit jeweils 2.500 Euro dotiert. Ausgezeichnet wurden Dr. rer. nat. Alexander Bollenbach, Dr. med. Tammo Lambert Tergast, Dr. rer. nat. Fangfang Chen, Dr. med. Nora Möhn (31), Dr. rer. nat. Anna Christina Dragon und Dr. rer. biol. hum. Rizky Indrameikha Sugianto.

Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf der Spur

Dr. rer. nat. Alexander Bollenbach (32) promovierte im Dezember 2019 am Institut für Toxikologie, Betreuer Professor Dr. Dimitrios Tsikas, zum Thema „Massenspektrometrie-basierte in vitro und in vivo Studien zu posttranslationalen Modifikationen von Arginin und Bestimmung der Ganzkörper-Arginin-Dimethylierung am Menschen“. Weltweit stellen mit etwa 32 Prozent aller Todesfälle Herz-Kreislauf-Erkrankungen die mit Abstand häufigste Todesursache dar. Neben den traditionellen Risikofaktoren wie Alter, Bluthochdruck oder Rauchen sind erhöhte Konzentrationen der beiden Arginin-Derivate asymmetrisch und symmetrisch dimethyliertes Arginin, kurz ADMA und SDMA, im menschlichen Blut Risikofaktoren.

ADMA und SDMA werden durch den Abbau von methylierten Proteinen ins Blut freigesetzt. Die Identität, das Ausmaß und die biologische Bedeutung solcher methylierten Proteine näher zu beleuchten, war das Ziel dieser Doktorarbeit. Es wurden neue zuverlässige Gaschromatografie-Massenspektrometrie-Methoden zur Quantifizierung von ADMA und SDMA in biologischen Proben entwickelt, validiert und unter anderem in einer großen Nierentransplantations- und einer Ernährungsstudie angewandt. Die Ergebnisse lassen schlussfolgern, dass erhöhte Konzentrationen von ADMA und SDMA lediglich symptomatisch, nicht aber ursächlich für das erhöhte Risiko an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung sind. Diese Erkenntnisse erweitern das Verständnis für die molekularbiologischen Ursachen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und helfen bei der Entwicklung neuer Therapien.

Bei Leberzirrhose erhöht Diabetes das Risiko

Dr. med. Tammo Lambert Tergast (27) promovierte im August 2020 in der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie, Betreuer Professor Dr. Markus Cornberg, mit dem Thema „Einflussfaktoren auf den klinischen Verlauf von Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose und Aszites“. Leberzirrhose ist das Endstadium einer chronischen Lebererkrankung und kann zu Bauchwasser führen. Sobald dies auftritt, haben die Betroffenen eine schlechte Gesamtprognose. Eine Heilung ist aktuell nur durch eine Organtransplantation möglich. Insbesondere Begleiterkrankungen und Begleitmedikation können Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf haben. Um potenzielle Einflussfaktoren zu untersuchen, wurde in der vorliegenden Doktorarbeit eine Patientenkohorte von mehr als 600 Patientinnen und Patienten mit Leberzirrhose und Bauchwasser untersucht. Eine häufige Begleiterkrankung von Menschen mit Leberzirrhose ist Diabetes mellitus. Tammo Lambert Tergast konnte zeigen, dass Diabetes zu einem häufigeren Auftreten von Infektionen des Bauchwassers, der spontanen bakteriellen Peritonitis (SBP), führt. Interessanterweise war ein erhöhter Langzeit-Blutzuckerwert (HbA1c) unmittelbar mit dem Infektionsrisiko assoziiert.

Zudem wurde der Einfluss von zwei häufig von Menschen mit Leberzirrhose eingenommenen Medikamentenklassen untersucht: Protonenpumpeninhibitoren (PPI) und nicht-selektive beta-Blocker (NSBB). Dabei stellte sich heraus, dass PPI, die die Magensäurebildung hemmen, den Verlauf einer SBP verändern und mit einem veränderten Keimspektrum verbunden sind. Patienten mit SBP und PPI-Einnahme hatten einen schwereren Infektionsverlauf, sodass die Therapie mit PPI bei Patienten mit Zirrhose immer kritisch hinterfragt und, falls nicht notwendig, beendet werden sollte. Hinsichtlich NSBB gab es eine kontroverse Studienlage. Der Nutzen einer NSBB-Therapie hängt direkt ab vom mittleren arteriellen Blutdruck. Patienten mit einem Druck über 65 mmHg profitieren von NSBB-Therapie, wohingegen die Therapie bei Patienten mit einem Druck unter 65 mmHg teilweise mit Nierenfunktionseinschränkung verbunden sein kann.

Neue Details zur Aktivierung von Makrophagen entschlüsselt

Dr. rer. nat. Fangfang Chen (30) promovierte im März 2022 im Twincore, Betreuer PD Dr. Frank Pessler, mit einer Arbeit zu „Differential effects of itaconic acid isomers on TCA cycle and inflammation”. Makrophagen sind Immunzellen, die eine wichtige Rolle bei entzündungsassoziierten Erkrankungen und Infektionen spielen. Ihr Stoffwechsel verändert sich als Reaktion auf eine Vielzahl von Reizen. Tricarbonsäurezyklus (TCA) hat sich als zentraler immunmetabolischer Knotenpunkt in Makrophagen herauskristallisiert. Während ihrer Aktivierung synthetisiert das Enzym cis-Aconitat-Decarboxylase (ACOD1) große Mengen Itaconsäure aus dem TCA-Zyklus-Zwischenprodukt cis-Aconitat. Itaconat hat starke immunmodulatorische, antioxidative und antimikrobielle Eigenschaften.

Zu Beginn der Studien wurde die Kristallstruktur dieses Enzyms gelöst und genetische Varianten identifiziert, die die Aktivität des menschlichen ACOD1-Enzyms modulieren. Es wurde getestet, ob die natürlich vorkommenden Isomere Mesaconat und Citraconat die vorteilhaften Eigenschaften von Itaconat teilen. Dazu wurde ein empfindliches massenspektrometrischen Assay zur Quantifizierung der drei Isomere und ausgewählter TCA-Zwischenprodukte etabliert und validiert. Unter Verwendung dieses Assays stellte Dr. Chen fest, dass Mesaconat während der Makrophagen-Aktivierung von Itaconat abgeleitet wird, während Citraconat einen unabhängigen Ursprung hat. Sie fand heraus, dass alle drei Isomere die Replikation des Influenza-A-Virus IAV hemmen und Interferonreaktionen und oxidativen Stress reduzieren. Eine erhöhte ACOD1-Aktivität wurde mit einer Immunsuppression und einem protumorigenen Zustand in Verbindung gebracht, was auf klinische Anwendungen der pharmakologischen Hemmung von ACOD1 hindeutet. Durch die Kombination von Enzymassays mit 3D-Drug-Target-Modellierung identifizierte Dr. Chen Citraconat als den weltweit ersten direkt wirkenden ACOD1-Hemmer. Damit hat dieses Projekt den Grundstein für zukünftige Studien gelegt, die darauf abzielen, die Auswirkungen von Varianten der ACOD1-Funktion auf das Krankheitsrisiko beim Menschen, die Entwicklung von Itaconat und seinen Isomeren als Biomarker für menschliche Krankheiten besser zu verstehen.

 

Wichtige Erkenntnisse zur Gallengangatresie

Dr. med. Nora Möhn (31) promovierte im Januar 2020 in der Arbeitsgruppe des Forschungslabors der Klinik für Kinderchirurgie, Prof. Dr. Claus Petersen, mit ihrer Arbeit „Effekte synthetischer Retinoid-Rezeptor-Liganden auf IL-17 produzierende γδ T-Zellen in der experimentellen Gallengangatresie“. Die Gallengangatresie ist eine seltene Lebererkrankung des Neugeborenen, von der in Deutschland pro Jahr etwa 35 bis 38 Kinder betroffen sind. Sie äußert sich primär mit einer Entfärbung des Stuhls und dunklem Urin. Zur Ursache und Entstehung der Gallengangatresie ist bis heute sehr wenig bekannt. Eine der gängigsten Theorien zur Krankheitsentstehung ist die, dass die Zellen der Gallengänge durch eine Virusinfektion geschädigt werden und sich in der Folge eine überschießende Immunreaktion entwickelt, welche in einer fortschreitenden Zerstörung und Verschluss der Gallengänge endet. Die Tatsache, dass nur Neugeborene von der Erkrankung betroffen sind, legt den Schluss nahe, dass eine Besonderheit des neonatalen Immunsystems eine Rolle spielt.

In Vorarbeiten zum Tiermodell der Gallengangatresie konnte Dr. Möhn zeigen, dass eine antikörpervermittelte Blockade des Entzündungsstoffs Interleukin 17 den Erkrankungsverlauf verbessern kann. Gleichzeitig wurden die sogenannten γδ T-Zellen, eine Untergruppe von Immunzellen, die Eigenschaften des angeborenen und des erworbenen Immunsystems in sich vereinen, als Hauptproduzenten von Interleukin 17 in der Gallengangatresie identifiziert. In Zellkulturexperimenten konnte Dr. Möhn nachweisen, dass der Einsatz des synthetischen Retinoids mit dem Handelsnamen Tamibarotene (AM80) zu einer dosisabhängigen Suppression der Interleukin 17-Produktion von γδ T-Zellen führt. Die Ergebnisse legen nahe, dass synthetisches Retinoid potenziell zur Therapie Interleukin 17-vermittelter Erkrankungen eingesetzt werden kann.

Spezifische CAR-T-Zellen als mögliche neue Therapie gegen PTLD

Dr. rer. nat. Anna Christina Dragon (28) promovierte im Juli 2021 im Institut für Transfusionsmedizin und Transplantat Engineering, Betreuerin: Professorin Dr. Britta Eiz-Vesper, mit dem Thema „Genetically-engineered T cells for adoptive T-cell therapy: From CARs to TRUCKs and beyond”. Der adoptive Transfer von genetisch modifizierten Immunzellen (T-Zellen) ist ein hocheffektiver Ansatz zur Immuntherapie bösartiger Tumorerkrankungen. Durch die Ausstattung von T-Zellen des Patienten mit einem tumorspezifischen chimären Antigenrezeptor (CAR) können maligne Zellen erkannt und effektiv eliminiert werden. Bei der Entwicklung von CAR-T-Zellen gegen Krebszellen ist die Auswahl einer geeigneten Zielstruktur auf den Tumorzellen eine der größten Herausforderungen.

Die Posttransplantations-Lymphoproliferative Erkrankung (PTLD), ein Epstein-Barr-Virus (EBV)-assoziierter Tumor, ist eine häufige Komplikation bei immunsupprimierten Patienten nach Transplantation. Dr. Anna Christina Dragon hat als mögliche neue Therapie in diesem Projekt CAR-T-Zellen mit Spezifität für eine extrazelluläre EBV-spezifische Targetstruktur entwickelt. Es wurden sogenannte „T cells redirected for universal cytokine-mediated killing“ (TRUCKs) generiert, die sich als noch effektiver erwiesen und durch die Ausschüttung von Botenstoffen weitere Immunzellen zur Bekämpfung in den Tumor anlocken konnten.

Solche TRUCKs konnten auch gegen das Neuroblastom-spezifische Antigen GD2 entwickelt werden. Das Neuroblastom ist eine schwerwiegende Krebserkrankung des Nervensystems, die hauptsächlich Kleinkinder bis zum sechsten Lebensjahr betrifft. Mithilfe von GD2-spezifischen TRUCKs konnte eine hoch-spezifische Eliminierung von Neuroblastom-Zellen erzielt werden. Außerdem konnte gezeigt werden, dass diese auch in einem klinischen Maßstab herstellbar sind, so dass ihre Anwendung für eine Immuntherapie des Neuroblastoms neue Chancen eröffnet.

Behandelbare Risikofaktoren bei nierentransplantierten Kindern besser verstehen

Dr. rer. biol. hum. Rizky Indrameikha Sugianto (38) promovierte im März 2021 in der Klinik für Pädiatrische Nieren-, Leber- und Stoffwechselerkrankungen, Betreuerin: Professorin Dr. Dr. Anette Melk, mit dem Thema „The Course of Cardiovascular Burden in Children with Kidney Transplantation: Findings from Longitudinal Data Analyses“. Kinder mit einer chronischen Nierenerkrankung weisen insbesondere unter einer Nierenersatztherapie eine deutlich erhöhte Sterblichkeit auf, Mädchen sind häufiger betroffen als Jungen. Kardiovaskuläre Komplikationen stellen die häufigste Todesursache dar. Die Analysen von kardiovaskulären Risikofaktoren wie beispielsweise erhöhter Blutdruck sowie anderen Parametern, die als Surrogat für eine erhöhte kardiovaskuläre Sterblichkeit dienen können, sind daher von großem Interesse, um kardiovaskuläre Ereignisse in dieser Population besser zu verstehen. Dr. Sugianto konnte mit ihren Arbeiten bei Kindern nach Nierentransplantation bzw. unter Dialyse die Entwicklung kardiovaskulärer Risikofaktoren und deren Bedeutung für den Verlauf verschiedener Surrogat-Parameter untersuchen. Hierfür hat sie anhand von drei Längsschnittstudien mittels komplexer Modellrechnungen neue geschlechts- und altersspezifische Effekte herausgearbeitet. Ihre Ergebnisse zeigen, dass kleinere Kinder nach Transplantation häufiger einen erhöhten Blutdruck aufzeigen. Außerdem geht bei Mädchen im Vergleich zu Jungen der Verlust der Nierenfunktion mit einer stärkeren Zunahme der Gefäßsteifigkeit einher. Mädchen reagieren zudem auf höhere Spiegel eines häufig verwendeten Immunsuppressivums mit höherem Blutdruck. Insgesamt haben die Daten dieser Doktorarbeit zu einem besseren Verständnis von behandelbaren Risikofaktoren beigetragen. Mädchen mit einer chronischen Nierenerkrankung würden von einem schnelleren Zugang zur Nierentransplantation profitieren.