Gesundheit

Sportwissenschaftlerinnen bringen Dialyse-Kinder in Bewegung

Individuelles Sportprogramm während der Dialyse in der Klinik und zu Hause soll Belastbarkeit im Alltag verbessern.

Die Patientin Jasmine sitzt im Bett und streckt sich nach Luftballons aus, Therapeutin Johanna Boyen schaut zu.

Mit Luftballons fördert Johanna Boyen die Koordination und Beweglichkeit von Jasmine. Copyright: Karin Kaiser/MHH

Stand: 11. November 2022

„Stell dir vor, du ziehst dich an einem Seil hoch“, fordert Sportwissenschaftlerin Johanna Boyen Jasmine auf. Das zierliche Mädchen sitzt in T-Shirt und Leggings auf dem Bett und streckt mit greifenden Bewegungen die Arme nach oben. „Das machst du super“, lobt Johanna Boyen. Direkt neben dem Bett der Elfjährigen steht ein Dialysegerät. Die Schläuche zur Blutreinigung führen vom Gerät zu einer Stelle unterhalb des Schlüsselbeins des Mädchens. Dort sorgt ein Dialysekatheter für einen dauerhaften Zugang zu Jasmines Blutgefäßsystem. Jasmine leidet an chronischem Nierenversagen. Seit über zwei Jahren kommt sie dreimal pro Woche zur Dialyse ins KfH-Nierenzentrum für Kinder und Jugendliche. Vier bis fünf Stunden dauert die Blutwäsche jedes Mal. Johanna Boyen nutzt einen Teil der Zeit, um mit ihr und anderen Mädchen und Jungen an der Dialyse Sport zu machen.

"Für sportliche Aktivitäten bleibt kaum Zeit"

Die dialysepflichtigen Kinder und Jugendlichen verbringen nicht nur sehr viel Zeit an den Dialysegeräten, sie haben oft auch extrem lange Anfahrtswege nach Hannover – Jasmine kommt beispielsweise aus Magdeburg. „Da sind die Tage sehr gut ausgefüllt, für sportliche Aktivitäten bleibt kaum noch Zeit“, sagt Johanna Boyen. Doch es ist nicht nur die Zeit, die den jungen Patientinnen und Patienten für körperliche Aktivität fehlt. „Die Dialyse ist anstrengend und schlaucht, das senkt die Motivation“, erklärt die Sportwissenschaftlerin. Um die Mädchen und Jungen trotzdem mit Sport zu unterstützen, führen Johanna Boyen und ihre Kollegin Jannicke Reifenrath gemeinsam das Sportprojekt für Dialyse-Kinder durch. Dabei sollen die Betroffenen mit einem individuellen Sportprogramm während der Dialyse in der Klinik und zu Hause zu mehr Sport und Bewegung motiviert werden.

Durch regelmäßige Bewegung verbessert sich die Belastbarkeit im Alltag

Gleichzeitig wollen die Sportwissenschaftlerinnen untersuchen, ob sich durch das erhöhte Bewegungspensum die körperliche Gesundheit und die Leistungsfähigkeit der Teilnehmenden verbessern. Bei nierentransplantierten Kindern und Jugendlichen haben sie damit bereits gute Erfahrungen gemacht und die Studienlage ist ziemlich eindeutig. Durch regelmäßige Bewegung verbesserte sich die Belastbarkeit im Alltag, die Nebenwirkungen der Medikamente nahmen ab, das transplantierte Organ überlebte länger, die soziale und schulische Teilhabe verbesserte sich und die Lebensqualität und das Wohlbefinden stiegen. Jetzt wollen die Mitarbeiterinnen des Instituts für Sportmedizin gemeinsam mit anderen Kolleginnen und Kollegen herausfinden, ob sich diese positiven Effekte der körperlichen Betätigung auch bei dialysepflichtigen Kindern einstellen.

In dem zwölfwöchigen „Sportprogramm für Dialysekinder“ sollen sowohl Ausdauer und Kraft als auch Koordination und Beweglichkeit verbessert werden – dafür erstellen die Sportwissenschaftlerinnen für jedes Kind einen individuellen Trainingsplan. Nach einer umfassenden Eingangsuntersuchung in der Sportmedizin geht es los. Die Übungseinheiten erfolgen unter Anleitung während der Dialyse und in Eigenregie zu Hause. „Gemacht wird, was die Kinder können und woran sie Spaß haben“, erklärt Johanna Boyen. Wenn sie mit den Mädchen und Jungen im Dialysezentrum trainiert, kommen auch Bälle, Hanteln oder Therabänder zum Einsatz.

Zur Erfassung der körperlichen Aktivitäten und zur Unterstützung für Zuhause bekommen die Teilnehmenden ein sogenanntes Wearable fürs Handgelenk, um alle Sport- und Alltagsaktivitäten erfassen zu können. Zusätzlich kann über eine App der Heimtrainingsplan abgerufen und damit trainiert werden. Nach zwölf Wochen erfolgt eine Abschlussuntersuchung, um zu sehen, welchen Einfluss das Sportprogramm auf die Kinder und Jugendlichen hatte. Eines kann Jasmine jetzt schon sagen: „Durch die Übungen mit Johanna fühle ich mich schon auf der Fahrt nach Hause besser“.

Autorin: Tina Götting