Forschung

Trotz Pandemie: Gute medizinische Versorgung und stabile Lebensqualität

In Krisenzeiten ist es von Vorteil, wenn Menschen mit seltenen Erkrankungen in hochspezialisierten Zentren versorgt werden. Das unterstreicht eine MHH-Studie. Sie zeigt, dass die dort betreuten Menschen mit den Autoimmunerkrankungen NMOSD und MOGAD gut durch die COVID-19-Pandemie gekommen sind.

Franziska Bütow, Dr. Hümmert und Professorin Trebst, alle drei in weißem Kittel, stehen vor einer großen Aufnahme des Gehirns.

Im Rahmen einer Studie befragten Franziska Bütow, Dr. Hümmert und Professorin Trebst (von links) Menschen mit seltenen Autoimmunerkrankungen; Copyright: Karin Kaiser / MHH.

Stand: 14. März 2023

Für Menschen mit chronischen Erkrankungen war die COVID-19-Pandemie eine besondere Herausforderung: Viele waren besorgt und unsicher hinsichtlich des Infektionsrisikos, der Impfung und der Fortführung ihrer (immunsuppressiven) Therapie. Ein Team der Klinik für Neurologie mit Klinischer Neurophysiologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) wollte wissen, wie Patientinnen und Patienten mit den seltenen chronischen Autoimmunerkrankungen Neuromyelitis optica Spektrumerkrankung (NMOSD) und Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein-Antikörper-assoziierte Erkrankung (MOGAD) durch die Pandemie gekommen sind. Deshalb führten sie die Studie „Effects of the COVID-19 Pandemic on Patients with NMO Spectrum Disorders and MOG-Antibody-Associated Diseases” – kurz COPANMO(G)-Studie – durch. Das Ergebnis: Während der Corona-Pandemiezeit waren sowohl die medizinische Versorgung und die Versorgungszufriedenheit als auch die gesundheitsbezogene Lebensqualität stabil. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift „Neurology: Neuroimmunology & Neuroinflammation“ veröffentlicht.

Schwere körperliche Einschränkungen

Die NMOSD und die MOGAD sind seltene Autoimmunkrankheiten, die ähnlich wie die Multiple Sklerose (MS) in der Regel schubförmige Entzündungen des zentralen Nervensystems (ZNS) verursachen. Die Betroffenen leiden unter zum Teil schweren körperlichen Einschränkungen wie Sehstörungen, Lähmungen, Inkontinenz und Schmerzen. In Deutschland gibt es schätzungsweise 4.000 Menschen mit den Erkrankungen. „In dieser an 19 deutschen und österreichischen Zentren durchgeführten Studie haben wir detailliert die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Erkrankte mit NMOSD und MOGAD untersucht“, erklärt Dr. Martin Hümmert von der MHH-Klinik für Neurologie. Er leitete die Untersuchung zusammen mit Professorin Dr. Corinna Trebst, stellvertretende Direktorin der Klinik. Gemeinsam mit Doktorandin Franziska Bütow wollten sie einerseits Erkenntnisse über die medizinische Versorgung und die Lebensqualität der Betroffenen gewinnen, andererseits interessierten sie die Verläufe von SARS-CoV-2-Infektionen sowie nach Impfungen gegen SARS-CoV-2 und die damit möglicherweise verbundenen Effekte auf die Grunderkrankung.

Therapien wurden fortgesetzt

An der Fragebogen-Studie nahmen 187 Patientinnen und Patienten teil, die in einem spezialisierten Behandlungszentrum der Neuromyelitis optica Studiengruppe (NEMOS, www.nemos-net.de) betreut werden. „Zusammenfassend können wir feststellen, dass es für Patientinnen und Patienten mit einer seltenen Erkrankung wie NMOSD oder MOGAD ein großer Vorteil ist, in Pandemie-Zeiten an ein spezialisiertes Zentrum angeschlossen zu sein“, sagt Professorin Dr. Trebst. So gaben 91 Prozent der Befragten an, mit der medizinischen Versorgung insgesamt zufrieden gewesen zu sein. Eine Mehrheit von 89 Prozent hatte ihre Arzttermine wie gewohnt wahrgenommen; die Therapien wie Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie wurden ebenfalls überwiegend unverändert fortgesetzt. Auch die Immuntherapien blieben trotz Pandemie bei 88 Prozent der Patientinnen und Patienten unverändert.

Hohe Impfbereitschaft

Zwei Drittel der an der Studie Teilnehmenden schätzten ihr Infektionsrisiko als gering bis moderat ein. „Das heißt nicht, dass ihr Infektionsrisiko tatsächlich niedrig ist, es zeigt eher, dass sie sich wahrscheinlich besonders vorsichtig verhalten haben“, erklärt Franziska Bütow. Nur zwölf Prozent berichteten von einer durchgemachten SARS-CoV-2-Infektion, die meist mild verlief. Die Impfquote der Patientinnen und Patienten war sehr hoch: 89 Prozent waren vollständig gegen SARS-CoV-2 geimpft. Die hohe Impfbereitschaft führen die Autorinnen und Autoren der Studie unter anderem auf ausführliche Beratungen in den spezialisierten Behandlungszentren zurück. Der häufigste Grund für eine Zurückhaltung bei der Impfung war die Angst vor Nebenwirkungen und negativem Einfluss auf die Erkrankungen. In vier Fällen bestand ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Impfung und der Erstmanifestation einer Erkrankung oder einem Krankheitsschub. „Hier bedarf es sicher weiterer Untersuchungen, um zu klären, ob die Impfung wirklich in einem kausalen Zusammenhang steht“, sagt Professorin Trebst. Bisher lasse sich dieser Zusammenhang nicht herstellen. „Die Ergebnisse einer großen britischen Studie zeigen, dass nach einer SARS-CoV-2-Impfung eher kein erhöhtes Risiko für das Auftreten neurologischer Autoimmunerkrankungen besteht, wohl aber nach einer Infektion mit SARS-CoV-2“, ergänzt Dr. Hümmert.

Keine Verschlechterung gegenüber der Zeit vor Corona

In puncto Lebensqualität gab mehr als die Hälfte der befragten Patientinnen und Patienten leichte bis extreme Probleme in folgenden Punkten an: Mobilität, übliche Aktivitäten, Angst/Depression, Schmerzen/körperliche Beschwerden. Dennoch sind die auf die Corona-Pandemiezeit bezogenen Werte insgesamt nicht schlechter als vor der Pandemie. Die gesundheitsbezogene Lebensqualität war stabil oder verbesserte sich sogar.

Die Klinik für Neurologie mit Klinischer Neurophysiologie der MHH ist Teil der Neuromyelitis optica Studiengruppe (NEMOS, www.nemos-net.de). In dem Netzwerk sind mehr als 60 NEMOS-Zentren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz vereint. Dort werden gemeinsame klinische und wissenschaftliche Aktivitäten rund um die Erkrankungen NMOSD und MOGAD koordiniert. Außerdem führt NEMOS eine große Datenbank von Erkrankungsfällen und sammelt Biomaterial von Betroffenen für wissenschaftliche Untersuchungen.

 

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