Gesundheit

Schmerz lass nach! Was eine Schmerztherapie leisten kann

Millionen Deutsche leiden unter chronischen Schmerzen - viele suchen keine medizinische Hilfe. Dabei kann eine gezielte Schmerztherapie Erstaunliches bewirken. Unser Experte Dr. Dusch klärt auf.

Dr. Martin Dusch mit Schmerz-Patientin Dagmar Huth. Copyright: Karin Kaiser/MHH

Stand: 28. Juli 2021

Wenn die einfache Schmerztablette nicht mehr hilft und der Schmerz zur Dauerbelastung wird, führt das oft zu Einschränkungen in Alltag und Lebensqualität. Soziale Abgrenzung und depressive Verstimmung können die Folge sein. Das kann den Schmerz noch verstärken. Für die Zahl der Betroffenen gibt es keine Statistiken. Die Deutsche Schmerzliga schätzt, dass bis zu 15 Millionen Deutsche an länger andauernden oder wiederkehrenden Schmerzen leiden. Vier bis fünf Millionen davon sind stark eingeschränkt. Viele von ihnen wissen gar nicht, dass ihnen geholfen werden kann. Dr. Martin Dusch, Leiter der MHH-Schmerzmedizin, erklärt die modernen Behandlungsmöglichkeiten.

Frage: Wann brauche ich eine Schmerztherapie?

Dr. Dusch: Schmerz ist nicht gleich Schmerz. Bei Akutschmerzen, wobei die Ursache klar ist, sind die Patient_innen schon mit der Regelbehandlung meistens gut versorgt. Allerdings gibt es auch Akutschmerz-Erkrankte, bei denen die Ursache ihrer Schmerzen - zum Beispiel eine Operation oder eine Grunderkrankung - ein hohes Risiko birgt, dass die Schmerzen chronisch werden. Da sollte schon früh eine gezielte Schmerztherapie eingeleitet werden, um dieser sogenannten Chronifizierung vorzubeugen. Bei chronischen Schmerzen gibt es oft ein hohes Maß an Einschränkungen in der Lebensqualität, körperliche Behinderungen, die Privat- und Berufsleben immer stärker beeinträchtigen. Auch hier sollte deshalb so früh wie möglich eine spezielle Schmerztherapie begonnen werden.

Frage: Was heißt "früh" im Fall von chronischen Schmerzen?

Dr. Dusch: Als chronische Schmerzen werden Schmerzen bezeichnet, die seit etwa sechs Monaten fast immer vorhanden sind oder häufig wiederkehren. Das heißt ab diesem Zeitraum ist eine Therapie geboten.

Frage: Warum sollte man gezielt zu einem Schmerztherapeuten gehen und nicht zu anderen Fachärzt_innen?

Dr. Dusch: Bei chronischen Schmerzen ist die sogenannte multimodale Behandlung der Schlüssel zum Erfolg. Der speziell ausgebildete Schmerztherapeut kann diese Art der Behandlung am besten initiieren. Multimodal bedeutet, dass die Behandlung verschiedene Bausteine hat, die kombiniert werden. Die Behandlung besteht aus der Gabe von Medikamenten, aus physikalischen Elementen wie zum Beispiel Massagen, Ergotherapie und anaerobes Ausdauertraining, und aus psychologischen Elementen wie Entspannungstechniken und Verfahren zur Schmerzbewältigung. Die Summe all dieser Elemente hat einen wesentlich größeren Effekt, um den Schmerz nachhaltig zu behandeln, als jedes Element für sich allein. Der Schmerztherapeut hat die Aufgabe, diese Verfahren richtig zu kombinieren.

Frage: Mit welchen Arten von Schmerzen kommen Patient_innen zu Ihnen?

Dr. Dusch: An der MHH haben wir unter dem Fachbereich Schmerzmedizin zwei Teilbereiche: den Schmerzdienst und die Schmerzambulanz. Der Schmerzdienst unter der Leitung von Prof. Dr. Andreas Leffler steht allen Patienten der MHH zur Verfügung. Wir behandeln Patient_innen jeden Alters und aus allen Fachdisziplinen. Eine große Rolle spielt hier die Akutschmerztherapie bei Menschen, die nach Operationen Schmerzen haben. Eine der modernsten Therapieverfahren sind die sogenannten Schmerzkatheter. Dabei bringen wir mit speziellen Kathetern lokal betäubende Medikamente in unmittelbare Nähe der Nerven ein, die für die Weiterleitung von Schmerzreizen verantwortlichen sind. Die Patient_innen werden von unserem Schmerzdienst vom Tag der Aufnahme in der Klinik bis hin zu den Tagen und Wochen nach der Behandlung begleitet. Dafür entwickeln wir mit den Kliniken im Vorfeld tragfähige Konzepte, um eine optimale Versorgung zu gewährleisten. Wir schulen außerdem das medizinische Personal, um deren Kenntnisse über die Schmerztherapie zu erhöhen.

Der andere Bereich ist die Schmerzambulanz unter der Leitung von Prof. Dr. Matthias Karst. Hier geht es um die chronisch schmerzkranken Patienten. Mit Blick auf die Diagnosen haben wir es mit der ganzen Bandbreite zu tun: von Kopf- und Kreuzschmerzen bis hin zu spezielleren Fällen wie Nervenschmerzerkrankungen.

Frage: Gibt es auch Überschneidungen zwischen den beiden Abteilungen Schmerzmedizin und Schmerzambulanz?

Dr. Dusch: Auf jeden Fall, wir arbeiten ganz eng als Team zusammen. Das wird auch zunehmend wichtiger. Denn der Aufenthalt im Krankenhaus wird für Patient_innen immer kürzer. Nicht wenige müssen dann zur Weiterbehandlung regelmäßig wiederkommen, zum Beispiel bei chronischen Tumorerkrankungen wegen der Chemotherapie. Die Patient_innen werden dann für ein bis zwei Tage wieder stationär aufgenommen. Da ist die enge Verknüpfung zwischen Schmerzdienst und Schmerzambulanz essentiell: In der Schmerzambulanz betreuen wir diese Menschen zwischen den Klinikaufenthalten. Und mit demselben Team im Rahmen des Schmerzdienstes, wenn sie wieder stationär da sind. Den Patient_innen bietet das ein hohes Maß an Sicherheit, weil sie dieselben Gesichter sehen und dieselben Ansprechpartner_innen haben. Außerdem wird die Therapie so nahtlos umgesetzt, es kommt zu keinen Brüchen, die sich unter Umständen negativ auf die Schmerzintensität auswirken können.

Frage: Wie läuft die Behandlung konkret ab?

Dr. Dusch: An erster Stelle steht eine gute Schmerzdiagnostik. Wir nehmen uns bei der Erstvorstellung der Betroffenen viel Zeit, etwa eine Stunde lang dauert die ausführliche klinische Untersuchung. Wenn möglich, wird im Anschluss gleich die Diagnose gestellt und das ist dann der Startschuss für die Behandlung. Wenn noch keine Diagnose möglich ist, werden weitere Untersuchungen vorgenommen. Das ist etwas, was die Patient_innen trotz teilweise zahlreicher Arztbesuche über Jahre hinweg meistens noch gar nicht haben: eine Diagnose. 

Frage: Wie kann es sein, dass Betroffene so lange warten?

Dr. Dusch: Das kann viele Gründe haben. Zum einen können es seltene Schmerzerkrankungen sein, die schwierig zu diagnostizieren sind. Zum anderen können die Leiden in der allgemeinen medizinischen Versorgung auch schlichtweg durchs Raster fallen, weil das Wissen um die Schmerztherapie nicht weit verbreitet ist. Schmerztherapeut ist keine eigene Facharzt-Richtung, sondern eine spezielle Zusatzausbildung, die Ärzt_innen und Therapeut_innen machen können. Aber nur eine Minderheit tut das bislang. Daher haben wir eine großen Mangel und zugleich eine große Nachfrage. Andererseits wissen aber viele Betroffene auch gar nicht, dass sie zu einem Schmerztherapeuten oder einer Schmerztherapeutin gehen können.

Ein grundsätzliches Problem bei der Diagnose ist die Unterscheidung zwischen Strukturschäden und Funktionsstörungen. Der Kreuzschmerz ist ein gutes Beispiel. Viele Menschen mittleren Alters mit diesem Leiden haben Veränderungen im Wirbelsäulen-Bereich. Die Frage ist, sind diese Veränderungen tatsächlich ursächlich für die Schmerzen oder sind sie nur ein Nebenbefund. Sind sie ursächlich, dann ist das ein Strukturschaden, wobei die entsprechende Behandlung dann gut hilft. Das ist so bei einem Bandscheibenvorfall, wenn dieser auf die Nervenwurzel drückt. Die Schmerzursache können aber auch Funktionsstörungen sein. Das sind muskulöse Dysbalancen, also Muskelverkürzungen, die entstehen, wenn man etwa durch Schmerzen eine Fehlhaltung einnimmt, die dann zu Muskelabbau führt, der den Schmerz noch verstärkt. Hier muss man bei der Diagnose genau unterscheiden, um die richtige Therapie zu wählen. Die Operation eines Bandscheibenvorfalls wird nicht viel bringen, wenn das nur der Nebenbefund ist und die Schmerzen eine andere Ursache haben.

Frage: Wie geht es nach der Diagnose konkret weiter?

Dr. Dusch: Für die multimodale Behandlung haben wir an der MHH zwei Kliniken als Partner. Das sind die Klinik für Rehabilitationsmedizin und die Klinik für Psychosomatik. Wir in der Schmerzmedizin übernehmen die medikamentöse Behandlung, die Behandlung von Nervenblockaden oder auch zum Beispiel die Akupunktur. Für die anderen Therapiebereiche überweisen wir zu den Partnerkliniken oder auch zu Einrichtungen vor Ort. Denn unser Einzugsgebiet ist sehr groß. Neben Niedersachsen umfasst es auch Bremen, Nordhessen und Thüringen. Daher ist sinnvoll, etwa für regelmäßige Krankengymnastik die Patient_innen vor Ort behandeln zu lassen.

Frage: Gibt es auch Fälle, bei denen Sie an Grenzen stoßen und lange nach Ursache und erfolgreicher Therapie suchen?

Dr. Dusch: Solche komplexen Fälle haben wir immer wieder. Diesen Menschen geben wir dann die Möglichkeit, sich in der speziellen Schmerz-Konferenz - persönlich - mit ihren Problemen vorzustellen. Diese Konferenz findet einmal im Monat statt und daran nehmen Ärzt_innen unterschiedlichster Fachrichtungen teil – das sind unter anderem Reha-Mediziner_innen, Pharmakolog_inne, Neurolog_innen, Allgemeinmediziner_innen und Anästhesist_innen. So wird der jeweilige Fall von verschiedenen Seiten gleichzeitig betrachtet und dabei kommen oft Aspekte zutage, die die Therapie weiterbringen. Dieses Verfahren ist auch nahezu einzigartig in der Schmerzmedizin.

Dabei erinnere ich mich an einen Fall, bei dem die Schmerz-Konferenz einen echten Durchbruch erzielt hat. Das war ein Patient mit Herz-Rhythmus-Störungen, bei dem mit Kälte das betroffene Areal im Herzen verödet worden war. Er hatte nach dem Eingriff starke Nervenschmerzen im Oberkörper bekommen, diese konnten aber nicht zugeordnet werden. Bei der Schmerz-Konferenz war dann der Leiter des medizinischen Einkaufs dabei und diesem fiel ein, dass damals zu der Behandlung Temperatur-Sonden für die Speiseröhre bestellt wurden, mit dem man die Temperatur hinter dem Herzen messen kann. Dieser Hinweis hat mich dazu gebracht, in diese Richtung weiter zu recherchieren. Am Ende kam heraus, dass bei dem Eingriff mit der Kälte auch ein Teil des Nervengewebes der Speiseröhre geschädigt worden war, was die Schmerzen hervorgerufen hatte. Eine Komplikation, die bei jeder Operation leider auftreten kann – die so aber nicht sofort ersichtlich war.

Frage: Welche Ziele für eine Therapie sind realistisch? Was kann sich der Betroffene erhoffen?

Dr. Dusch: Das hängt natürlich von der Grunderkrankung ab. Es gibt durchaus chronische Schmerzerkrankungen, bei denen der Betroffene auf vollständige Heilung hoffen kann. Bei vielen Fällen hat die zugrunde liegende Störung allerdings bleibenden Charakter. Diabetiker_innen zum Beispiel klagen oft über brennende Füße, weil die Nervenfasern geschädigt sind. Das lässt sich nicht rückgängig machen. Diese Patient_innen können wir dann nur symptomatisch bestmöglich behandeln, damit die Schmerzen auf ein erträgliches Maß gelindert werden.

Wichtig für den Therapieerfolg ist die Eigenmotivation. Nur wenn der Betroffene aktiv mitmacht, können langfristige Verbesserungen erzielt werden. Beim chronischen Schmerzen nimmt der Anteil der medikamentösen Behandlung stetig ab, und der eigenverantwortliche, rehabilitative Umgang des Erkrankten mit seinen Schmerzen und seiner Grunderkrankung zu. Dementsprechend brauchen die Betroffenen viel Geduld und dürfen keine Effekte über Nacht erwarten.

Die Fragen stellte: Vanessa Meyer

„Die Schmerzen hatten mich zermürbt“ – Eine Schmerzpatientin berichtet

 Porträtbild von Patientin Dagmar Huth. Copyright: privat
Dagmar Huth. Copyright: privat

Die heute 70-jährige Dagmar Huth ist schon einige Jahre lang Patientin in der MHH-Schmerzambulanz – und ein Beispiel dafür, dass man die Hoffnung nie aufgeben sollte. Im Jahr 2011 ist bei ihr Brustkrebs festgestellt worden. Sie bekam eine umfangreiche Chemotherapie, die Folgen hatte.

Frau Huth, wie erging es Ihnen während der Chemotherapie?

Frau Huth: Ich entwickelte zunächst Sensibilitätsstörungen und ein Brennen in beiden Füßen, was sich im Verlauf verschlechterte und zu motorischen Störungen führte. Ich konnte nicht mehr ohne Schmerzen gehen und bin häufig gestürzt, meist über meine eigenen Füße, wenn ich nicht bewusst und zu schnell ging. In den Sprunggelenken wurde dann auch eine ausgeprägte Arthrose festgestellt. Wenn ich zur Ruhe gekommen bin, zeigte sich dann das Restless-Leg-Syndrom, also eine quälende Unruhe und Spannung in den Beinen und Füßen. Auch die Hände sind in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Fingerkuppen sind relativ taub. Bei einem Sturz ist mein eines Handgelenk gebrochen.

Wie sind Sie zur MHH gekommen?

Frau Huth: Irgendwann hörte ich von der Schmerzambulanz der MHH und stellte mich dort 2015 bei Dr. Dusch vor. Bei meinem ersten Termin kam Dr. Dusch ins Untersuchungszimmer und sagte zu mir: ‚Mal vorab gesagt, Frau Huth, wir können Ihnen helfen!‘  Daraufhin brach ich in Tränen aus und das zeigte mir, wie viel Druck sich innerlich aufgebaut hatte und wie mich die Schmerzen zermürbt hatten.

Wie wurden Sie dann behandelt?

Frau Huth: Erst mal musste ich – wie seither in regelmäßigen Abständen – meinen Allgemein- und insbesondere Schmerz-Zustand – dokumentieren. Dann bekam ich mit Gabapentin und Duloxetin zwei Medikamente, die mir damals schon sehr halfen.

Bestand die Therapie noch aus weiteren Bausteinen?

Frau Huth: Ja. Dr. Dusch hat mich dann auch mit dem Rehabilitationsmediziner Dr. Schiller bekannt gemacht, der mir zusätzlich Krankengymnastik am Gerät sowie Spezialschuhe mit diabetiker-adaptierten Einbettungen verordnete. Die Schuhe waren eine sehr große Erleichterung. Mittlerweile habe ich einige Wechselschuhe und auch die Einlagen verändern sich natürlich mit der Zeit.

Die Krankengymnastik am Gerät kann ich nur schwer durchführen, da ich bei etlichen Geräten natürlich auch die Hände benutzen muss und durch die Kraftlosigkeit dann große Schwierigkeiten habe.

Ich habe nun auf meinen Wunsch hin Funktionstraining verschrieben bekommen und werde auch nach Ablauf des Rezeptes weiterhin das Training auf eigene Kosten betreiben.

Wie geht es Ihnen heute mit dieser Behandlung?

Frau Huth: Es fällt mir schwer, eine Treppe hochzugehen. Das Runtergehen fällt mir allerdings fast noch schwerer, weil ich den einzelnen Schritt nicht mehr richtig abfedern kann. Im Haushalt fallen mir viele Dinge schwer. Ich steige nicht mehr auf Leitern, weil ich meinen Füßen nicht traue. Ich muss alle Arbeiten langsam verrichten – auch durch die Kraftlosigkeit in den Händen. Ich kann keine freie Gehstrecke ohne Hilfsmittel gehen und benutze seit meinem Handgelenksbruch einen Stock und teilweise auch einen Rollator.

Die Medikamentengabe wurde bei mir immer wieder angepasst und in der Dosis verändert. Heute nehme ich vier verschiedene Präparate. Seit dem Sommer ist Dronabinol dazugekommen. Die Tropfen helfen mir sehr gut. Die neuropathischen Schmerzen sind sehr gut zurückgegangen. Allerdings darf ich keine Medikamentengabe vergessen. Das kann ich dann nicht mehr aufholen und weiß, dass ich an diesem Tag Schmerzen haben werde.

Geheilt sind Sie also nicht?

Frau Huth: Nein, aber es geht mir deutlich besser. Ich bin jetzt so gut eingestellt, dass ich in der Tat schmerzfreie Zeiten in Laufe eines Tages habe. Die Schmerzen kann ich meistens nicht einordnen. Ich weiß nicht, ob sie durch Wärme oder Kälte beeinflusst werden oder durch vermeintliche Überbelastung der Füße.

Dr. Dusch hat mir auch noch eine ambulante Psychotherapie verordnet. Diese habe ich 2018 absolviert, was mir sehr geholfen hat, mit meiner Situation umzugehen.