MHH-Spezialist PD. Dr. Martin Klietz aus der Klinik für Neurologie mit Klinischer Neurophysiologie berichtet über Clusterkopfschmerzen.
Clusterkopfschmerzen kommen deutlich seltener vor als etwa Spannungskopfschmerzen oder Migräne. Doch die schubweise auftretenden Schmerzen sind zum Teil so heftig, dass sie bei einigen Patient:innen zu starken Beeinträchtigungen in der Lebensqualität führen. Es gibt jedoch vielversprechende Behandlungsmethoden: Von der akuten Therapie bis hin zu einer Prophylaxe. Wir haben mit dem MHH-Spezialisten PD Dr. Martin Klietz von der Klinik für Neurologie mit Klinischer Neurophysiologie über diese besondere Form der Kopfschmerzen gesprochen.
Dr. Klietz, können Sie kurz erklären, was bei Clusterkopfschmerzen im Kopf passiert?
Klietz: Die Pathophysiologie von Clusterkopfschmerzen ist bisher sehr wenig verstanden. Es gibt verschiedene Hypothesen, welche aktuell untersucht werden. Die akzeptierteste Hypothese ist, dass im Hypothalamus (Region des Gehirns, die für die Hormonsteuerung zuständig ist) sowohl der Schmerz als auch die zusätzlichen einseitigen Symptome (s.u.) generiert werden. Diese werden über den sensiblen Gesichtsnerv (Nervus trigeminus) weitervermittelt. Wie auch bei der Migräne scheint das CGRP (calcitonin-gene related peptide) Transmittersystem – genauer gesagt Neurotransmitter, also die Botenstoffe mit denen Nervenzellen untereinander kommunizieren und Informationen austauschen – in der Erkrankung eine Rolle zu spielen.
Welche Symptome sind typisch?
Klietz: Die Patient:innen leiden an einem sehr starken strikt einseitigen Schmerz, welcher in der Region um das Auge und die Schläfe lokalisiert sein kann. Der Schmerz hat eine hohe Intensität und fühlt sich scharf und stechend an. Manche Frauen berichten, dass die Cluster schmerzhafter seien als die Geburt eines Kindes. Typisch für diese Schmerzepisoden ist die psychomotorische Komponente. Die Patient:innen sind rastlos und getrieben. Teilweise sind die Patient:innen auch agitiert (unruhig) in der Attacke. Dieses steht im krassen Gegensatz zu Patient:innen mit Migräne, welche sich in der Attacke am liebsten hinlegen wollen, Dunkelheit und Ruhe suchen.
Zusätzlich zu dieser Schmerzsymptomatik treten während der Attacken auch Symptome des vegetativen Nervensystems wie ein hängendes Augenlid, Verengung der Pupille, Augentränen, Augenrötung und Nasenlaufen auf. Auch diese Symptome treten strikt einseitig und auf der gleichen Seite wie der Kopfschmerz auf. Obgleich sie nicht bei allen Patient:innen auftreten, können sie ein wichtiger Hinweis auf den Clusterkopfschmerz sein.
Wie lang dauert eine Attacke und wie lang dauert eine Episode in der Regel?
Klietz: Attacken eines Clusterkopfschmerzes können 15 Minuten bis drei Stunden dauern. Insbesondere im Frühling und Herbst treten Attacken vermehrt auf, an einem Tag kann das bis zu acht Mal vorkommen, etwas vermehrt in der Nacht. Clusterkopfschmerz kommt meistens episodisch vor. Das bedeutet, dass circa 80 bis 90% der Patient:innen wiederkehrende Attacken über einen Zeitraum von sieben Tagen bis zu zwölf Monaten erleiden, insbesondere wenn keine Behandlung eingeleitet wird. Anschließend endet ein Cluster und somit auch die Kopfschmerzen, es kann im Verlauf zu erneuten Clustern kommen. Beim chronischen Clusterkopfschmerz bestehen für mindestens zwölf Monate Schmerzattacken.
Welche Ursachen oder Trigger sind bekannt?
Klietz: Es scheint einen Zusammenhang mit Nikotinkonsum zu bestehen, so dass Nikotinkarenz absolut empfohlen wird. Weitere Trigger sind nicht bekannt.
Und welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Klietz: Die Behandlung des Clusterkopfschmerzes besteht aus zwei Säulen, die Behandlung der akuten Kopfschmerzattacke und eine Attackenprophylaxe.
Die Akutbehandlung zielt darauf ab, schnell weniger Schmerzen zu haben und somit die Attacke zu durchbrechen. Hier gibt es einige Medikamente, welche einen Effekt haben können. Die wichtigsten in dieser Kategorie sind Inhalation von reinem hochdosiertem Sauerstoff (12l/min über eine Maske) und Triptane (unter die Haut gespritztes Sumatriptan, oder intranasales Sumatriptan oder Zomitriptan). Die Prophylaxe zielt auf eine Reduktion der Schmerzattacken ab. Hierbei kommt insbesondere das Medikament Verapamil und Kortison zum Einsatz.
Kann man vorbeugen?
Klietz: Da es sich um eine seltene Kopfschmerzerkrankung handelt, gibt es keine spezifischen prophylaktischen Maßnahmen außer einer allgemeinen gesunden Lebensführung. Hierzu zählt eine abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährung, regelmäßige sportliche Betätigung, Verzicht auf Nikotin und ein gemäßigter Alkoholkonsum.
Wie viele Menschen sind von Clusterkopfschmerzen betroffen?
Klietz: Clusterkopfschmerzen sind eine seltene Kopfschmerzform. Oft werden diese Kopfschmerzen jedoch nicht erkannt oder falsch zugeordnet, so dass die genaue Häufigkeit nicht exakt angegeben werden kann. Man geht davon aus, dass circa 0,1% der Bevölkerung betroffen sein könnten. In Deutschland würde das etwa 82.000 Menschen entsprechen. Es wird davon ausgegangen, dass Frauen weniger häufig betroffen sind als Männer (etwa 1:3-4).
Gibt es Personen, bei denen keine Medikamente anschlagen und wenn ja, was raten Sie denen?
Klietz: Ja. Dann würde ich eine Vorstellung beim Spezialisten empfehlen. Es gibt dabei verschiedene Aspekte, welche von Expert:innen abgeklärt werden sollten. Wurde die richtige Diagnose gestellt? Adäquate Behandlung passend zu der individuellen Patientin bzw. dem Patienten? Gibt es andere Faktoren, die einem Therapieansprechen im Wege stehen? Möglicherweise müssen multimodale Therapieansätze bzw. invasive Verfahren verwendet werden, um die Erkrankung zu kontrollieren.
Wenn jemand den Verdacht hat, unter Clusterkopfschmerzen zu leiden – sollte das unbedingt ärztlich abgeklärt werden?
Klietz: Ja, eine genaue Diagnose der Kopfschmerzen ist wichtig. Dieses hat zum einen den Grund, dass andere Ursachen der Kopfschmerzen durch einen damit vertrauten Arzt ausgeschlossen werden sollten. Manchmal steckt auch eine schwerwiegende Erkrankung hinter den Beschwerden, so dass eine ärztliche Untersuchung und eine Bildgebung des Kopfes erfolgen sollten. Zum anderen ist es wichtig, eine spezifische Therapie zu erhalten. Dieses kann die Lebensqualität der Betroffenen deutlich steigern und depressive Symptome verhindern. Auch sozialmedizinische Aspekte können hier eine Rolle spielen.
Muss man zum Neurologen oder kann auch ein Hausarzt diese Form der Kopfschmerzen sicher diagnostizieren und therapieren?
Klietz: Allgemeinmediziner leisten extrem viel in unserem Gesundheitssystem und koordinieren die Versorgung der Patient:innen. Bei seltenen Kopfschmerzerkrankungen könnten Hausärzte durch die komplexen Therapien an ihre Grenzen stoßen. Wir erleben häufig, dass bei Kopfschmerzen die Überweisung zum Facharzt zu selten oder zu spät erfolgt. Das kann zur Folge haben, dass Patient:innen spezielle hochwirksame Therapien nicht verschrieben bekommen. Viele Schmerzen sind behandelbar und somit können eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität erreicht, depressive Symptome verhindert und krankheitsbedingte Fehltage vermieden werden.
Prinzipiell sollte bei länger bestehenden Kopfschmerzen eine Neurologin oder ein Neurologe kontaktiert werden. Dort können die etablierten Therapien verordnet und der Erfolg dieser überwacht werden. Sollte es dort nicht zu einem ausreichenden Therapieerfolg kommen, sollte eine Vorstellung bei Kopfschmerzexpert:innen erfolgen. Hier können ggf. Eskalationstherapie und invasive Therapieverfahren eingeleitet werden.
Gibt es aktuell Forschung zu den Kopfschmerzen oder neue Therapieansätze?
Klietz: Es laufen aktuell einige Studien zum Clusterkopfschmerz. Die spannendsten hiervon versuchen die Erfolge der neuen krankheitsspezifischen Migränemedikamente auf den Clusterkopfschmerz zu übertragen. Wir verstehen die Ursachen der verschiedenen Kopfschmerzerkrankungen immer besser und mit diesem Wissen wird es in Zukunft auch gelingen noch spezifischere Therapie zu entwickeln.
Die Fragen stellte: Janna Zurheiden