Gesundheit

"Jedes Kind ist anders, hat seine Bedürfnisse – Carlo auch"

Charlotte Bonecke ist MHH-Kollegin und hat einen Sohn mit Down-Syndrom. Ein Gespräch über das normale Leben mit Besonderheiten und Umwegen. Die medizinischen Zusammenhänge erläutert Professor Dr. med. Philipp Beerbaum, Direktor unserer Klinik für Pädiatrische Kardiologie und Pädiatrische Intensivmedizin.

Charlotte Bonecke hält ihren Sohn im Arm.

„Natürlich ist das Down-Syndrom präsent. (...) Aber das alles ist nicht so dominant, wir müssen bestimmte Dinge einfach nur anders machen", sagt Charlotte. Copyright: Charlotte Bonecke/MHH

Stand: 21. März 2023

Charlotte, wann und wie hast Du erfahren, dass Dein Kind das Down-Syndrom hat?

Charlotte: Das war direkt nach der Geburt. Die Ärzte hatten gleich einen Verdacht, haben mir aber noch nicht sofort was gesagt, weil sie erst noch Tests machen wollten. Im Nachhinein verstehe ich das, da man die Eltern ja nicht gleich verunsichern will. Als sie mit Carlo wiederkamen, meinten sie, dass aufgrund verschiedener äußerlicher Merkmale vieles für das Down-Syndrom spräche. Also zum Beispiel die schräg sitzenden Augen, eine einzelne Falte, die über die gesamte Innenseite der Hand verläuft und auch sogenannte Sandalen-Zehen. Dabei ist zwischen großem Zeh und dem nachfolgenden eine größere Lücke. Es wurde dann aber noch ein Bluttest gemacht, um sich die Chromosomen anzusehen. Und das Ergebnis war dann positiv auf Trisomie 21.
Carlo musste nach der Geburt auf die Intensivstation, weil er nicht genug Sauerstoff im Blut hatte. Dabei wurden auch gleich mehrere Untersuchungen wie Ultraschall von Kopf und Bauch gemacht, um zu klären, ob das Down-Syndrom noch mit anderen körperlichen Problemen einhergeht wie z. B. Herzfehler und Verdauungsprobleme. Bei Carlo wurde tatsächlich ein kleines Loch im Herzen festgestellt, das aber zum Glück mittlerweile von selbst zugewachsen ist. Er hat sich auch relativ schnell stabilisiert, war aber insgesamt zwei Wochen in der MHH, bevor wir ihn nach Hause nehmen konnten.


Wie bist Du mit der Tatsache Down-Syndrom im ersten Moment umgegangen?

Charlotte: Das war zunächst ein richtiger Schock. Ich und Carlos Vater wussten ungefähr, was das Down-Syndrom ist, aber überhaupt nicht, was auf uns zukommt und was wir jetzt machen sollten. Wenn man nicht selbst in der Situation steckt, kann man sich das gar nicht vorstellen. Wir haben dann die psychologische Hilfe in der MHH in Anspruch genommen, was in diesen ersten Tagen auch wirklich gut geholfen hat. Dann wurde es besser. Während der Schwangerschaft war eine mögliche Behinderung oder Down-Syndrom auch gar kein Thema für mich. Ich hatte bereits einen gesunden Sohn zur Welt gebracht, war damals erst 30 Jahre alt, es gibt keine familiäre Vorbelastung, ich passte so gar nicht ins Risikoschema.

Was ist Carlo für ein Kind?

Charlotte: Er ist jetzt 6 Jahre alt und sehr aufgeweckt, läuft und klettert viel herum. Es hat sich alles später entwickelt, aber körperlich ist er eigentlich nahezu auf dem Stand gleichaltriger Kinder ohne Down-Syndrom. Geistig ist die Entwicklung noch nicht so weit, also er spricht zum Beispiel wenig und noch undeutlich. Er braucht auch eine Brille und hat eine Hörschädigung. Auf dem einen Ohr hört er weniger und auf dem anderen gar nichts, dort hat er im Deutschen Hörzentrum der MHH ein Cochlea-Implantat eingesetzt bekommen (Anm. d. Red.: elektronische Hörprothese, die bei defekten Haarzellen im Innenohr den intakt gebliebenen Hörnerven direkt elektrisch reizt.). Wir wissen nur leider noch nicht, wie gut das funktioniert, weil er nicht äußern kann, ob und was er über das Cochlea-Implantat hört. Wir machen viel mit Gebärdensprache. Es gibt sogar eine vereinfachte Form für Kinder mit Down-Syndrom. Das macht er schon richtig gut. Und obwohl er nicht so gut hört, liebt er es Musik zu hören, singt auch viel und tanzt dabei.

Welche Rolle spielt das Down-Syndrom in Eurem Familien-Alltag?

Charlotte: Wir versuchen, Carlo ganz normal und genauso zu behandeln wie seinen Bruder. Mit ihm genauso zu schimpfen, wenn er was angestellt hat. Jedes Kind ist anders und hat spezielle Bedürfnisse und so ist es auch mit Carlo. Natürlich ist das Down-Syndrom präsent. Ich muss etwa ständig an die verschiedenen Arzttermine denken. Sein Blutbild muss regelmäßig geprüft werden. Dazu gehören Tests beim Endokrinologen auf Glutenunverträglichkeit. Wichtig sind auch die Therapien. Seit er drei Monate ist, hat Carlo Physiotherapie und jetzt noch mindestens einmal pro Woche Ergotherapie und Logopädie. Aber das alles ist nicht so dominant, wir müssen bestimmte Dinge einfach nur anders machen.

Carlo geht in eine inklusive Grundschule in Hannover. In seiner Klasse sind hauptsächlich Kinder ohne Behinderung. Da fühlt er sich sehr wohl und wird ganz individuell betreut und gefördert.

Down-Syndrom kurz erklärt

Professor Beerbaum: Sind Carlos körperliche und geistige Einschränkungen typisch für das Down-Syndrom?

Prof. Beerbaum: Ja, das sind sie. Ein Herzfehler wie Carlo ihn hatte, steht bei den möglichen organischen Erkrankungen im Vordergrund. 40 bis 60 Prozent der betroffenen Kinder haben Herzfehler, meist sind diese allerdings schwerer ausgeprägt. Häufig liegt ein sogenannter AV-Kanal-Defekt vor. Dabei sind die Trennwände zwischen den Herzvorhöfen und Herzkammern defekt und die Kammereinlassklappe ist verändert. Das kann Atemnot, Wachstumsstörungen und gehäufte Infekte der Atemwege begünstigen. Folge des Down-Syndroms können auch Fehlbildungen im Magen-Darm-Trakt sein, beispielsweise Verengungen oder Verschlüsse im Bereich des Dünndarms.Ein großes Problem besonders in jungen Jahren ist zudem die mangelnde Muskelspannung, Muskelhypotonie genannt. Zu allen möglichen Folgen muss man aber auch sagen, dass die Bandbreite der individuellen Ausprägung sehr groß ist. Das gilt auch für die geistige Entwicklung. Das Spektrum der Beeinträchtigung reicht von nur leichter bis schwerer Behinderung.

Stichwort Frühförderung: Carlo hat von klein auf u. a. Physiotherapien bekommen. Warum ist das so wichtig?   

Prof. Beerbaum: Weil man damit den motorischen Entwicklungsverzögerungen gut entgegenwirken kann. All diese Maßnahmen - zu denen auch Logopädie und Ergotherapie gehören - erfordern viel Zeit. Aber wenn diese nicht investiert wird, haben die Kinder klare Nachteile. Zur intensiven Förderung gehören auch heilpädagogische Kindergärten oder inklusive Schulen, in denen auf die besonderen Bedarfe der Kinder Rücksicht genommen werden kann.

Welche Fälle behandeln wir häufig an der MHH?

Prof. Beerbaum: Das sind Kinder mit Herzfehler, die wir in der Regel noch im ersten Jahr oder bei weniger schwerer Ausprägung im Vorschulalter durch Operation behandeln. In den allermeisten Fällen können wir damit die Lebensqualität und Lebensdauer erheblich verbessern. Gelegentlich ist es auch eine Herzkatheteruntersuchung nötig, zum Beispiel um mit einem kleinen Ballon verengte Gefäße zu weiten. Wir sehen bei diesen Herzpatienten auch gelegentlich einen Lungenhochdruck, den wir in unserer Spezialsprechstunde mit verschiedenen Medikamenten therapieren. Wegen möglicher Darmverschlüsse ist es wichtig, gleich nach der Geburt eine gezielte Diagnostik durchzuführen. Mit Down-Syndrom geborene Kinder haben allgemein zudem ein erhöhtes Risiko, an einer Leukämie zu erkranken, also eine bösartige Erkrankung der weißen Blutkörperchen. In diesen Fällen ist eine Chemotherapie mit einer begleitenden Therapie zur Behandlung der Nebenwirkungen der wichtigste Bestandteil der Behandlung. Die Prognosen sind aber mittlerweile recht gut, denn die Therapiemöglichkeiten haben sich hier deutlich verbessert.

Charlotte, was wünscht Du Dir für Carlos Zukunft?

Charlotte: Erst mal soll er sich natürlich weiterentwickeln und ein fröhlicher Junge bleiben. Für später wünsche ich mir, dass er ein selbstständigeres Leben führen kann. Es gibt ja Menschen mit Down-Syndrom, die für sich in einer eigenen Wohnung leben oder in Wohngruppen und WGs mit Betreuung. So etwas wäre sehr schön. Ich kenne viele Menschen mit Down-Syndrom, und kenne keinen, der darunter leidet, da es keine Krankheit ist. Sie sind sich der Einschränkungen wohl bewusst und dass sie manche Dinge nicht können oder anders machen müssen. Aber für sie es ist keine Belastung, so wie nicht betroffene Menschen vielleicht häufig glauben. Deshalb wünsche ich mir allgemein, dass sich dieser Blick der Gesellschaft auf Menschen mit Down-Syndrom ändert. Dass man keine Hemmungen hat, auf sie zuzugehen, sie ganz normal zu behandeln. Wenn man offen auf Menschen zugeht, sind diese meist auch offen, egal ob mit oder ohne Behinderung.

Interview: Vanessa Niedzella

Kurz erklärt