Neues Medikament zeigt hervorragenden Therapieerfolg
Stand: 05. Oktober 2022
Der 15-jährige Torben N. schiebt sein T-Shirt hoch, damit Professorin Dr. Anna-Maria Dittrich seine Lunge abhorchen kann. „Da ist kein Sekret mehr“, stellt die Pneumologin zufrieden fest. Der junge Patient berichtet, dass er keinen Husten mehr hat und sich insgesamt gut fühlt. Eine Dreifachtherapie hat die Symptome seiner Mukoviszidose-Erkrankung eindeutig verbessert. Den Effekt der neuen Medikamenten-Kombination belegt auch eine Studie des Deutschen Zentrums für Lungenforschung und der Charité Berlin. Daran beteiligt waren Wissenschaftler_innen der MHH-Kinderklinik. „Diese Therapie ist ein riesiger Fortschritt für viele Patientinnen und Patienten mit Mukoviszidose. Sie wird ihre Lebenserwartung möglicherweise um Jahrzehnte erhöhen“, sagt Professorin Dittrich, Oberärztin an der Klinik für Pädiatrische Pneumologie, Allergologie und Neonatologie und eine der Autorinnen der Studie. Einige der Ergebnisse der Studie wurden bereits hochrangig publiziert.
Bereits im Säuglingsalter wurde bei Torben Mukoviszidose diagnostiziert
Die Erkrankung, auch zystische Fibrose (CF) genannt, ist eine der häufigsten angeborenen Stoffwechselerkrankungen. Die Ursache liegt in einem Defekt des CFTR-Gens. Dieses dient als Bauplan für einen Transportkanal von Salz und Wasser an der Oberfläche vieler Körperzellen. Ist das CFTR-Gen defekt, funktioniert der Transportkanal nicht. Dadurch bildet sich zäher Schleim im Körper, der verschiedene Organe verstopfen und deren Funktion beeinträchtigen kann. Das betrifft beispielsweise die Lunge, die Bauchspeicheldrüse und den Darm. Durch den vielen Schleim in den Atemwegen können sich Mukoviszidose-Erkrankte schnell mit Keimen infizieren. Es kann zu lebensbedrohlichen Lungenentzündungen kommen.
Es sind weit über 1.000 Mutationen des CFTR-Gens bekannt. Bei 85 bis 90 Prozent aller Patientinnen und Patienten mit Mukoviszidose liegt aber ein und dieselbe Mutation vor. Sie wird F508del genannt. An ihr setzt das neue Medikament an, das in Deutschland seit August 2020 verschrieben werden kann. Es besteht aus einer Dreierkombination sogenannter „CFTR-Modulatoren“. Dies sind kleine Moleküle, die die Funktion des Transportkanals verbessern und dazu beitragen, dass weniger zäher Schleim gebildet wird.
"Ich kann freier atmen"
Die Studie zu diesem neuen Arzneimittel startete an der MHH ebenfalls im August 2020, 107 Patientinnen und Patienten an vier verschiedenen Zentren in Deutschland nahmen daran teil. In der MHH waren hauptsächlich Jugendliche ab zwölf Jahren eingebunden. „In der Arbeit konnten wir nachweisen, dass sich die Funktion des Kanals durch die Therapie von null auf 40 bis 50 Prozent steigert“, erklärt Professorin Dittrich. „Die Behandlungseffekte sind hervorragend, die Teilnehmenden haben eine deutlich bessere Lungenfunktion und MRT-Aufnahmen zeigen, dass in ihrem Lungengewebe viel weniger Sekret festsitzt.“ So ist es auch bei Torben N. Täglich drei Tabletten des neuen Medikaments namens Kaftrio/Kalydeco nimmt er zusätzlich zu seiner üblichen Therapie ein. Seine Atemwege sind dadurch widerstandsfähiger geworden. „Ich kann freier atmen, habe weniger Infekte und dadurch auch weniger Fehlzeiten in der Schule“, stellt Torben fest.
Die CFTR-Modulatoren sorgen für einen milderen Verlauf der Erkrankung. „Das lässt uns annehmen, dass auch die Lebenserwartung der Betroffenen deutlich steigt“, sagt Professorin Dittrich. Die durchschnittliche Lebenserwartung Mukoviszidose-Erkrankter liegt aktuell bei 52 Jahren. Jetzt könnte sie eventuell deutlich nach oben korrigiert werden. Die Wissenschaftlerin und ihre Kolleginnen und Kollegen werden die Wirkung der CFTR-Modulatoren und den Krankheitsverlauf bei den Patientinnen und Patienten in Langzeitstudien weiterverfolgen.
Autorin: Tina Götting