Mit acht Millionen Euro gefördert: Die MHH leitet den Forschungsverbund RESOLVE, der dem „Gold-Standard“ in der AML- und CLL-Behandlung auf der Spur ist.
Die akute myeloische Leukämie (AML) und die chronische lymphatische Leukämie (CLL) gehören zu den häufigsten Blutkrebsformen im Erwachsenenalter. Je nach Krankheitsstadium erhalten Betroffene eine Chemotherapie, Immuntherapie oder eine Stammzelltransplantation. Ob die Leukämie sehr gut auf die Therapie anspricht, lässt sich schon früh im Behandlungsverlauf mit Hilfe der sogenannten messbaren Resterkrankung (Measurable residual disease, MRD) bestimmen. Sie liegt vor, wenn sehr empfindliche Messverfahren wie die Durchflusszytometrie im Körper noch Leukämiezellen nachweisen, die mit dem Lichtmikroskop nicht erfasst werden können. Obwohl eine MRD einen hohen Vorhersagewert für die weitere Behandlung hat, ist sie noch nicht ausreichend wissenschaftlich überprüft worden, um als verbindlicher Richtwert für eine individuelle Therapieempfehlung zu dienen. Das soll jetzt der Forschungsverbund RESOLVE unter der Leitung von Professor Dr. Michael Heuser, Leitender Oberarzt der Klinik für Hämatologie, Hämostaseologie, Onkologie und Stammzelltransplantation der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), klären.
Der Zusammenschluss aus 21 Einrichtungen in acht europäischen Ländern will für die Studie mehrere bestehende Expertennetzwerke und Partnerschaften mit Patientenbeteiligung nutzen. „Wenn wir die MRD als behandlungsleitenden Biomarker bestätigen, kann sie in Zukunft europaweit zur Steuerung der Behandlung von AML und CLL eingesetzt werden“, sagt Professor Heuser. So könnten intensivere Therapien wie die Stammzelltransplantation verzichtbar werden oder kürzere Behandlungszeiten ausreichend sein. Dies kann die Lebensqualität für Patientinnen und Patienten verbessern und gleichzeitig die Therapiekosten senken. Die Europäische Union fördert das Projekt über fünf Jahre mit insgesamt acht Millionen Euro. Davon gehen 2,2 Millionen Euro an die MHH.
Gleiche Heilungschancen bei weniger Nebenwirkungen
Bei der Durchflusszytometrie können im Hochdurchsatzverfahren mehrere hunderttausend Zellen innerhalb kurzer Zeit gleichzeitig untersucht und so einzelne Leukämiezellen inmitten der gesunden Blutzellen aufgespürt werden. „Das ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen oder nach einer einzelnen roten Kugel in einem Becken mit lauter weißen Kugeln“, erklärt Professor Heuser. Therapieziel ist sozusagen, dass keine rote Kugel mehr zu finden ist, sich also keine Blutkrebszellen mehr im Körper befinden. „Darauf aufbauend prüfen wir, ob weniger Medikamente oder eine kürzere Behandlung bei MRD-negativen Patientinnen und Patienten die gleichen Heilungschancen bietet – mit weniger Nebenwirkungen.“ In einigen Ländern wird die MRD-Messung bereits genutzt, um das Risiko eines Rückfalls nach erfolgreicher Krebsbehandlung individuell abzuschätzen und die weitere Therapie daraufhin personalisiert genau anzupassen. Die Forschenden wollen das Messverfahren nun in einer großen klinischen Studie mit 60 beteiligten Kliniken genau überprüfen und verbindliche Standards entwickeln, dass künftig überall nach derselben Methode gearbeitet wird. „So wollen wir die klinischen, persönlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer MRD-gesteuerten Therapie belegen“, betont der Hämatologe.
MRD-Bewertung als „Gold-Standard“ etablieren
Die MRD-Bewertung auf Basis der Durchflusszytometrie-Untersuchung soll dann möglichst rasch europaweit als „Gold-Standard“ zur individuellen Steuerung der Leukämiebehandlung eingeführt werden. Dafür nutzen die Forschenden bereits vorhandene Infrastrukturen für Labore und Kliniken sowie die Expertise aus den europäischen Forschungsnetzwerken für CLL „ERIC“ und für AML „ELN-DAVID“, dessen Vorsitzender Professor Heuser ist. Außerdem werden Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Patientenverbänden, Pflege, Sozialwissenschaften und Gesundheitsökonomie einbezogen. „Wir wollen eine Plattform für die klinische Routine schaffen, die dem medizinischen Personal hilft, das individuelle Rückfallrisiko für AML- und CLL-Betroffene zu ermitteln und Übertherapie zu vermeiden“, betont der Projektleiter. Damit sollen alle Patientinnen und Patienten in ganz Europa Zugang zu diesem Test in den nationalen Gesundheitssystemen erhalten.
Das Projekt RESOLVE (Residual disease assessment in hematologic malignancies to improve patient-relevant outcomes across Europe) ist Teil der Förderlinie „EU Mission on Cancer”, mit der die Europäische Union Projekte unterstützt, die das Leben von mehr als drei Millionen Menschen mit Krebs bis 2030 verbessern sollen. Neben der Klinik für Hämatologie, Hämostaseologie, Onkologie und Stammzelltransplantation, dem Comprehensive Cancer Center (CCC) und dem Zentrum für Klinische Studien (ZKS) der MHH, das den gesetzlich verantwortlichen Sponsorvertreter stellt und für Initiierung, Management und Qualitätssicherung verantwortlich zeichnet, sind 20 weitere Einrichtungen und 60 Krankenhäuser aus Deutschland, Frankreich, Griechenland, Israel, Italien, den Niederlanden, Polen und Spanien beteiligt.
►Informationen zum Projekt RESOLVE finden Sie hier.
Text: Kirsten Pötzke