Das chronische Fatigue-Syndrom ist eine schwere Belastung. Das Projekt „EXTINCT post COVID“ untersucht die Wirksamkeit einer Apheresetherapie und sucht Teilnehmende für eine Studie.
Stand: 4. Juli 2023
Die Corona-Pandemie scheint überwunden, Maskenpflicht und andere Einschränkungen sind weitgehend abgeschafft. Doch etwa jeder Zehnte leidet länger an den Folgen einer Corona-Infektion: anhaltende Müdigkeit, Erschöpfung, Herzprobleme, Konzentrationsschwäche und Luftnot. In Deutschland betrifft das nach Schätzungen der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) etwa zwei Millionen Menschen. Dauern die Beschwerden länger als zwölf Wochen nach Beginn der SARS-CoV-2-Infektion an und können andere Ursachen ausgeschlossen werden, spricht man vom Post-COVID-Syndrom. Vor allem die schwere Erschöpfung, das chronische Fatigue-Syndrom (CFS), stellt für die Patientinnen und Patienten und das Gesundheitssystem eine große Herausforderung dar. Die Ursache ist noch nicht eindeutig geklärt. „Es gibt aber Hinweise darauf, dass eine fehlregulierte Immunantwort an der Entstehung beteiligt sein könnte“, sagt Dr. Vega Gödecke, Oberärztin an der Klinik für Nieren- und Hochdruckerkrankungen der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).
Eine Therapiemöglichkeit ist daher, die Antikörper durch sogenannte Immunadsorption aus dem Blut zu entfernen. In einigen Einzelfällen wurde über eine Verbesserung der Fatigue-Symptomatik nach der Blutwäsche berichtet. Ein wissenschaftlicher Nachweis fehlt jedoch bislang. Die MHH-Klinik will das jetzt nachholen. In Kooperation mit weiteren internen Fachabteilungen und der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover untersucht sie die therapeutische Wirksamkeit einer Immunadsorption bei Post-COVID-Betroffenen. Die Studie „EXTINCT post COVID“ wird vom Land Niedersachsen im Rahmen des COVID-19 Forschungsnetzwerks Niedersachsen (COFONI) für zwei Jahre mit rund 800.000 Euro gefördert.
Betroffene mit mittelschwerer bis schwerer Symptomatik gesucht
Die DGfN fordert schon seit geraumer Zeit kontrollierte Studien über den Nutzen der Therapie. „Im Gegensatz zu bisherigen Fallstudien entspricht unser Ansatz genau diesem Anspruch und erfüllt damit die wissenschaftlichen Anforderungen für einen Wirknachweis“, betont Klinikdirektor Professor Dr. Kai Schmidt-Ott. „Dafür werden wir im ersten Schritt die Teilnehmenden ausführlich befragen und Vorbefunde erheben und auswerten. Dabei werden auch die Konzentrationen von im Blut zirkulierenden Antikörpern bestimmt, die laut früherer Untersuchungen möglicherweise mit der Entstehung des Post-COVID-Syndroms in Verbindung stehen. So wollen die Forschenden die Ausgangslage objektiv und wissenschaftlich auswertbar erfassen. “ In die Studie eingeschlossen werden nur Menschen mit mittelschwerer bis schwerer CFS. Diese sind insbesondere durch die Fatigue-Symptomatik, aber auch durch Konzentrationsstörungen und weitere Symptome in ihrem Alltag schwer eingeschränkt. Dies stellt nicht nur für die Erkrankten, sondern auch für die Sozialgemeinschaft eine große Belastung dar, da die Betroffenen durch die Erkrankung oft aus dem Erwerbsleben herausgerissen werden.
In einem zweiten Schritt erhalten alle Probandinnen und Probanden dieser gut charakterisierten Kohorte eine sogenannte Apherese auf Station 10 der Klinik, unter Beteiligung des Akutdialyse-Teams. Diese umgangssprachlich auch Blutwäsche genannte Methode ist in der Nierenheilkunde gut etabliert und wird etwa bei schweren Autoimmunerkrankungen der Niere oder anderer Organe angewendet. Dabei werden aus dem Blutplasma gezielt Antikörper entfernt. Das Blutreinigungsverfahren funktioniert ähnlich wie eine Dialyse und erfolgt extrakorporal, also außerhalb des Körpers mittels spezieller Apheresemaschinen. Das gereinigte Blut wird im Anschluss wieder in den Körper zurückgegeben.
Placebo-Effekte erkennen
„Wir entfernen allerdings nur bei einem Teil der Teilnehmenden tatsächlich die Antikörper durch Immunadsorption aus dem Blut“, sagt Dr. Gödecke. Die Kontrollgruppe durchläuft zwar scheinbar dasselbe maschinelle Verfahren, hier wird das Blut jedoch unverändert in den Körper zurückgeführt. Die Teilnehmenden der beiden Gruppen werden zufällig ausgewählt und wissen selbst nicht, ob sie in der Immunadsorptions- oder in der Kontrollgruppe behandelt werden. „Dadurch können wir mögliche Placebo-Effekte erkennen“, erklärt die Nephrologin. Die Studie soll aber nicht nur den wissenschaftlichen Nachweis erbringen, ob die Immunadsorption tatsächlich die Fatigue-Symptomatik verbessern kann. Die Forschenden wollen auch grundlegende Einblicke in die genauen Krankheitsabläufe des Post-COVID-Syndroms gewinnen. „Im Moment gibt es noch keine Laborwerte, die eine Diagnose über eine Blutanalyse ermöglichen“, sagt Dr. Gödecke. Die Forschenden suchen nach Biomarkern und wollen herausfinden, welche Antikörper mit den Symptomen bei CFS nach COVID in Verbindung stehen.
Sollte die Studie beweisen, dass eine Immunadsorption die Fatigue-Symptomatik verbessert, könnte die Behandlung in Zukunft auch in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen werden. Der Leidensdruck ist hoch. „Momentan gibt es noch immer viele Betroffene, die aus Verzweiflung die kostenintensiven Behandlungen aus eigener Tasche zahlen, ohne zu wissen, ob sie ihnen überhaupt nützen“, stellt Professor Schmidt-Ott fest. „Unser Ziel ist es, belastbare Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit der Immunadsorption bei diesen Patientinnen und Patienten zu erheben. Dies wird den Betroffenen und ihren behandelnden Ärztinnen und Ärzten in Zukunft bei der Entscheidung über den Einsatz solcher Verfahren helfen. “
Teilnehmende gesucht
Die Klinik für Nieren- und Hochdruckerkrankungen bietet noch Plätze zur Teilnahme an der Studie „EXTINCT post COVID“ an. Gesucht werden Patient:innen mit dem Post-COVID-Syndrom, die unter dem chronischen Fatigue-Syndrom leiden. Weitere Informationen über die Studie und Teilnahmebedingungen erhalten Interessierte über die E-Mail-Adresse zse-kontaktformular@mh-hannover.de
► Über den aktuellen Wissensstand zum Thema Long- und Post-COVID klärt auch das MHH-Infoportal auf.
Text: Kirsten Pötzke