Aus der MHH

Im Rennen um Aufträge für die ethische Bewertung klinischer Studien

Dr. Susan Fischer-Huchzermeyer ist neue Geschäftsführerin der Niedersächsischen Landesethikkommission in Gründung

Portrait von Dr. Susan Fischer-Huchzermeyer

Geschäftsführerin der Landesethikkommission Niedersachsen in Gründung: Dr. Susan Fischer-Huchzermeyer. Copyright: Karin Kaiser/MHH

Bevor ein neues Medikament auf den Markt kommt, wird es in klinischen Studien am Menschen getestet. An diesen sind im multinationalen Europa oft zahlreiche Unikliniken und Forschungseinrichtungen mehrerer Länder beteiligt – mit jeweils eigenen Regelungen zu Gesetzen und Vorschriften für die Genehmigung, Überwachung und Bewertung der Studien. Um die klinische Forschung in Europa unbürokratischer und damit wieder attraktiver für Auftraggeber aus aller Welt zu machen, hat die Europäische Union zum 31. Januar 2022 eine neue Verordnung (EU-Vo 536/2014) in Kraft gesetzt. Diese „Clinical Trial Regulation“ will die gesetzlichen Anforderungen sowie Bewertungs- und Überwachungsverfahren für die Überprüfung von Arzneimitteln in der gesamten EU vereinheitlichen und wird dadurch die klinische Forschung in Europa grundlegend ändern. Eine Konsequenz aus der neuen Verordnung: Jede Studie wird in jedem Teilnehmerland einer zuständigen Ethikkommission zugewiesen. Sie prüft vorab, ob das Forschungsvorhaben ethisch unbedenklich ist und die beteiligten Studienzentren geeignet sind.

In Deutschland sind das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) für die Genehmigung von Arzneimitteln zuständig. Die ethische Einschätzung hat bislang eine federführende Ethikkommission in Absprache mit den zuständigen Ethikkommissionen aller an der Studie beteiligten Unikliniken und Forschungseinrichtungen vorgenommen – ein ungeheurer Aufwand für die Sponsoren genannten Auftraggeber, meist Pharmaunternehmen. Mit der neuen EU-Verordnung wird für nach dem 31. Januar 2023 eingereichte Arzneimittel-Studien nur noch eine aus dem Pool der dafür beim BfArM registrierten Ethikkommissionen beauftragt. Und nur diese Ethikkommission erhält dann vom Bundesinstitut Geld für ihre Arbeit. Aus Niedersachsen ist bislang noch keine Ethikkommission auf dieser Liste vertreten. Das möchten die drei niedersächsischen Unikliniken – die Medizinische Hochschule Hannover, die Universitätsmedizin Göttingen und die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg – jetzt ändern und sich gemeinsam als Landesethikkommission Niedersachsen registrieren.

Heilkammergesetz ändern

Zum Alltagsgeschäft der hochschuleigenen Ethikkommissionen gehören künftig weiterhin die Beurteilung von Studien zu Medizinprodukten wie etwa Implantate, Katheter oder Röntgengeräte oder sogenannte Studien, die nach der Berufsordnung für Ärzte beraten werden. Das sind alle anderen Studien, die mit Patientinnen, Patienten oder ihren Daten zu tun haben. An der MHH waren das im vergangenen Jahr etwa 500 Studien. Um weiterhin über die ethische Unbedenklichkeit von klinischen Arzneimittel-Studien mitbestimmen zu können, wollen die drei Unikliniken ihre Expertise aus den verschiedenen medizinischen Schwerpunkten zusammenführen. Bevor sie als standortübergreifende Landesethikkommission Niedersachsen antreten können, muss das Heilkammergesetz geändert werden. Denn das sieht bislang nur Ethikkommissionen an den einzelnen Hochschulen und der Ärztekammer Niedersachsen vor. Den Antrag dazu koordiniert Dr. Susan Fischer-Huchzermeyer, Geschäftsführerin der in Gründung befindlichen Landesethikkommission. „Derzeit bereiten wir einen Gesetzentwurf vor, den wir dann dem zuständigen niedersächsischen Sozialministerium vorlegen“, sagt sie. Außerdem muss die studierte Biochemikerin dafür sorgen, dass die drei beteiligten Ethikkommissionen ihre Abläufe harmonisieren und auch dasselbe Datenbanksystem nutzen, in dem die Unterlagen für die klinischen Studien bearbeitet und archiviert werden.

Fachlich breit aufgestellt

Dr. Fischer-Huchzermeyer, die zuvor schon als Strategieberaterin für Pharmaunternehmen gearbeitet hat und auch selbst an der Durchführung klinischer Studien beteiligt war, wechselt seit ihrem Antritt als Geschäftsführerin im April 2024 ständig zwischen den drei Standorten und nimmt an den Sitzungen der jeweiligen Ethikkommission teil. „Wir sind gut auf die bevorstehende Aufgabe vorbereitet, weil wir fachlich breit aufgestellt sind und über eine jahrelange Expertise verfügen“, betont sie. Nach der erfolgreichen Registrierung, so schätzt sie, könnte der neuen Landesethikkommission nach dem Geschäftsverteilungsplan des BfArM etwa alle ein bis zwei Wochen eine neue klinische Studie zugeteilt werden. Diese soll dann in regelmäßigem Wechsel an einem der drei Standorte geprüft werden. Ob es sich dabei um eine Studie mit niedersächsischer Beteiligung handelt oder nicht, bleibt jedoch dem Zufall überlassen.

Die Ethikkommission der MHH

Der Weltärztebund hat mit der Deklaration von Helsinki 1964 ethische Grundsätze für medizinische Forschung am Menschen formuliert. Auf dieser Basis wurden auch in Deutschland nach und nach Ethikkommissionen gegründet. An der MHH wurde sie 1982 eingerichtet, auf Betreiben von Professor Dr. Rudolf Pichlmayr, der auch ihr erster Vorsitzender war. Die MHH-Ethikkommission ist unabhängig und berät die Forschenden der MHH darüber, ob ein Forschungsvorhaben alle nötigen Voraussetzungen erfüllt – in Sachen Recht, Ethik und Datenschutz. Seit Juni 2021 hat Professor Dr. Bernhard Schmidt den Vorsitz inne.

Text: Kirsten Pötzke