Aus der MHH

In memoriam Tobias Welte

Dieser Nachruf wurde für die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin sowie die Medizinische Hochschule Hannover geschrieben.

Portrait von Prof. Dr. Tobias Welte

Copyright: Karin Kaiser / MHH

Im Jahr 1990 stellte sich bei Professor Helmut Fabel, dem damaligen Direktor der Klinik für Pneumologie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), ein junger Kollege vor, der 1985 als Zivildienst leistender Arzt in der Inneren Medizin des Kreiskrankenhauses Lehrte angefangen und die ersten fünf Jahre seiner Weiterbildung dort verbracht hatte und der sich nun entschlossen hatte, Internist, Lungenfacharzt und Intensivmediziner zu werden. Dieser junge Kollege hieß Tobias Welte und erfüllte rein äußerlich durchaus das Bild eines Zivildienstleistenden der späten 1980er Jahre. Helmut Fabel, immer offen auch gegenüber unkonventionellen Menschen, zeigte sich nach dem Vorstellungsgespräch beeindruckt, und Tobias Welte wechselte kurze Zeit später an die MHH beziehungsweise eigentlich an das Oststadtkrankenhaus, da dort seinerzeit der Schwerpunkt der Klinik für Pneumologie angesiedelt war.

Tobias Welte hat von seiner breiten internistischen Grundausbildung während seiner gesamten beruflichen Laufbahn profitiert. Er blieb zeitlebens ein Generalist, aber 1990 hätte wohl niemand vorausgesehen, dass dieser junge Arzt später die gesamte Pneumologie, Intensivmedizin und Infektiologie auf Weltniveau repräsentieren würde: in Breite und Tiefe. Einer der Herausgeber des European Respiratory Journals bezeichnete ihn später als einen Omnivoren, dem man Manuskripte aus sämtlichen Nischen des Fachgebietes zur Begutachtung geben konnte.

Dass Tobias Welte ein exzellenter Arzt war, wurde schnell allen klar. Eine wissenschaftliche Laufbahn war jedoch nicht vorgezeichnet. Umso überraschender kam dann 1991 seine erste Publikation, ein Fallbericht zu einer Alveolitis ausgelöst durch Mesalazin, veröffentlicht im Lancet. Und er machte weiter, wurde in Hannover Pneumologe und Intensivmediziner und baute dann von 1994 bis 2004 als Oberarzt bei Professor Helmut Klein die Pneumologie und Intensivmedizin an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg auf. 2004 kehrte er an die MHH zurück, nun als neu berufener W3-Professor und Klinikdirektor. Der Rest ist Geschichte.

Anfangs besonders getragen durch das Lungentransplantationsprogramm wuchs die Pneumologie an der MHH, wurde bettenführende Klinik, etablierte zahlreiche Spezialambulanzen und begann auf nationaler und internationaler Ebene sichtbar zu werden. Die interdisziplinäre Intensivstation 14, über all die Jahre in freundschaftlicher Kooperation durch die Kliniken für Pneumologie, Nephrologie und Gastroenterologie/Hepatologie/Endokrinologie geleitet, wurde zur Anlaufstelle für die Versorgung kritisch kranker Patientinnen und Patienten aus ganz Deutschland.

Der Infektiologie gehörte seine besondere Leidenschaft, unterstrichen durch die Einrichtung von Professuren für experimentelle Pneumologie (Professor Ulrich Maus), molekulare Pneumologie (Professorin Sabina Janciauskiene-Wallmark) und klinische Infektiologie (Professorin Hortense Slevogt). Bereits 2001 war Tobias Welte einer der Mitbegründer von CAPNETZ, mittlerweile einem der weltweit größten Forschungsnetzwerke für ambulant erworbene Pneumonien. Insgesamt hat er während seiner Zeit in Hannover mehr als 100 Millionen Euro Drittmittel eingeworben. Einer seiner größten Coups war es, Hannover zu einem Standort des Deutschen Zentrums für Lungenforschung (DZL) zu machen. Für die Errungenschaften des DZL wurde ihm 2019 gemeinsam mit Professor Werner Seeger (Gießen), Professorin Erika Mutius (München) und Professor Klaus Rabe (Großhansdorf) der renommierte Balzan-Preis verliehen.

Tobias Welte war vieles: Mitglied, Vorstand, Vorsitzender zahlreicher Fachgesellschaften, Präsident der European Respiratory Society, über viele Jahre Mitherausgeber des European Respiratory Journal, gefragter Gutachter zahlloser medizinischer Fachzeitschriften, darunter The Lancet und das New England Journal of Medicine. Seine Publikationsliste umfasste zum Zeitpunkt seines Todes mehr als 1100 Einträge mit mehr als 50.000 Zitierungen. Es gab zahlreiche Ehrungen, unter anderem 2023 den Sadoul Lecture Award der European Respiratory Society für sein Lebenswerk, die Mitgliedschaft in der Leopoldina und 2022 die Entsendung in die 17. Bundesversammlung.

Er war ein begnadeter Redner, mitreißend und überzeugend. Er war spontan, und er blieb unkonventionell. Eine gewisse Diskordanz zwischen seinen Folien und Gesagtem war nicht unüblich. Oft setzten ihn die Programmgestalter ans Ende, weil dann niemand vorher ging. Gab es Evaluationen, stellte sich meist nur die Frage, wer Platz 2 hinter Tobias Welte erzielen würde. Und wer außer ihm hat schon stehende Ovationen nach wissenschaftlichen Vorträgen bekommen?

In der heißen Phase der Covid-Pandemie wurde die MHH durch eine klinische Einsatzleitung gesteuert. Er war während dieser Zeit Vizepräsident und Vorstand Krankenversorgung. Seine Einschätzung war prägend, sein profundes Wissen und seine ausgewogene Einstellung machten ihn während der Pandemie mehr denn je zum gefragten Ratgeber von Kolleginnen und Kollegen sowie Politikerinnen und Politikern.

Aber Tobias Welte hatte auch andere Facetten. So war er während seines Studiums nebenbei Gasthörer bei den Kunsthistorikern, und er hat seine Leidenschaft für dieses Thema nie abgelegt. 2021 hat er zusammen mit Oliver Gauert, Kurator des Roemer- und Pelizaeus Museums in Hildesheim, eine brilliante Ausstellung zum Thema Seuchen – Fluch der Vergangenheit, Bedrohung der Zukunft – gestaltet. Oliver Gauert wurde einer seiner liebsten und wichtigsten Weggefährten. Ein gemeinsames Buch zur Geschichte der Infektionskrankheiten ist nahezu fertig, und die beiden hatten, so Gauert, „bereits Projekte in Planung, die für die nächsten 20 Jahre gereicht hätten“.

Daraus und aus so vielem anderen sollte nichts mehr werden. Tobias Welte wurde krank, viele sahen es, er zunächst nicht. Dann ging alles sehr schnell. Anfang 2024 kam die Diagnose einer fortgeschrittenen interstitiellen Lungenerkrankung, dazu ein weiterer Befund, eine unvermeidliche Operation und dann die fast ebenso unvermeidlichen Probleme, die trotz aller ärztlichen Bemühungen in einer raschen und letztlich unaufhaltsamen Abwärtsspirale mündeten.

Tobias Welte ist am 10. März 2024 viel zu früh von uns gegangen. Er starb friedlich und in Würde auf „seiner“ Station 14, also fast ein bisschen zu Hause. Seine Familie war bei ihm, viele Freunde und Weggefährten konnten sich noch verabschieden. Die Nachricht von seinem Tod ging wie ein Lauffeuer um die Welt. Trauer und Bestürzung waren kaum in Worte zu fassen. Alle großen Nachrichtenportale brachten Nachrufe, darunter der NDR, die FAZ und die Süddeutsche Zeitung, ebenso wie die vielen Fachgesellschaften, in denen er involviert war, sowie zahlreiche Fachzeitschriften, allen voran der Lancet, mit dem alles begann.

All dies ist nun Vergangenheit. Die Trauer bleibt, doch begleitet wird sie von Demut und Dankbarkeit gegenüber einem ganz besonderen Arzt, Kollegen, Chef, Wissenschaftler, Lehrer, Mentor, Berater und Freund, der er für so viele war. Hervorgehoben werden sein Wissen, seine Leistungen, mehr aber noch sein Humor, seine Menschlichkeit, seine Nahbarkeit, seine immer offene Tür, seine Herzlichkeit und Wärme. Nirgendwo wird dies deutlicher als in den vielen Kondolenzen, die nach seinem Tod aus aller Welt eingetroffen sind und während einer akademischen Feierstunde an der MHH in Form eines gebundenen Buches an seine Familie überreicht wird. Ein bewegendes, ein würdiges, ein bleibendes Andenken an einen besonderen Menschen.

Text: Marius M. Hoeper & Jessica Rademacher