MHH-Forschende bringen lebendes menschliches Herzgewebe in eine Nährlösung und testen daran neue Medikamente und innovative Ansätze zur Bekämpfung der Herzinsuffizienz.
Bei der Entstehung von Krankheiten sind auch mikroRNAs (miRNAs) beteiligt. Diese kleinen RNA-Schnipsel gehören zu den sogenannten nicht kodierenden RNAs: Sie enthalten zwar keine genetische Information für die Herstellung eines Proteins, erfüllen aber eine wichtige Aufgabe bei der Steuerung grundlegender biologischer Prozesse in unseren Zellen. Somit bieten sie einen neuen Ansatzpunkt für Therapien. Professor Dr. Dr. Thomas Thum, Leiter des Instituts Molekulare und Translationale Therapiestrategien der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), forscht schon seit Jahren an miRNAs, die entzündliche und fibrotische Gene regulieren, welche eine Versteifung des Herzmuskelgewebes (Herzfibrose) und damit auch eine Herzschwäche auslösen. In früheren Untersuchungen an Zellkulturen und im Mausmodell konnte er bereits zeigen, dass die Hemmung der mikroRNA miR-21 einen positiven Effekt auf die Fibroseentwicklung hat und so die Herzfunktion verbessern könnte.
In einer aktuellen Studie haben er und sein Team diesen Effekt nun erstmals an menschlichem Herzgewebe nachgewiesen. Dafür nutzten sie die Methode der „lebenden Herzmuskelscheiben“ (living myocardial slices, LMS). Das Material dafür stammt aus der MHH-Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie und ist sozusagen Gewebeabfall aus kranken Herzen, die im Rahmen einer Transplantation entnommen wurden. In Nährlösung leben und schlagen diese Herzmuskelscheiben für viele Tage bis zu Wochen weiter. Die Ergebnisse dieser gemeinschaftlichen neuen Studie sind gerade in der renommierten Fachzeitschrift „European Heart Journal“ veröffentlicht worden.
mikroRNA-Blocker sorgt für Fibroserückgang
Die Transplantationen waren nötig, weil die Herzen aufgrund einer Herzschwäche – in der Medizin auch Herzinsuffizienz genannt – nicht mehr richtig arbeiten konnten. Dabei versucht das durch einen Herzinfarkt oder Bluthochdruck geschwächte Herz, seine verminderte Pumpleistung auszugleichen, indem es sein eigenes Volumen vergrößert: Das Herz wächst immer stärker und überfordert sich immer mehr. Hierbei findet sehr häufig eine Vermehrung von Bindegewebszellen (Fibroblasten) im Herzmuskel statt, die das Herz zunehmend versteifen lassen und zu einer Fibrose führen. „An dieser Entwicklung ist miR-21 entscheidend beteiligt“, sagt Professor Thum. Die Forschenden untersuchten, was passiert, wenn die schädliche Funktion von miR-21 ausgeschaltet wird. Dafür verwendeten sie ein sogenanntes Antisense-Molekül, das sich als Spiegelbild-Struktur passgenau an die mikroRNA anlagern und sie so blockieren kann. „Wir haben den Blocker in die Kultivierungskammern gegeben, in denen unsere LMS aus den explantierten, fibrosegeschädigten Herzen weiterlebten“, erklärt der Kardiologe. Die Forschenden konnten beobachten, dass sich die Fibrose in den Gewebeschnitten teilweise zurückbildete. Dadurch wurde das Gewebe elastischer, die Herzmuskelzellen konnten sich beim Schlagen wieder mehr entspannen und die ihre Lebensfähigkeit erhöhte sich.
LMS-Modell bewährt sich für präklinischen Nachweis der Wirksamkeit
„Nach unserer Kenntnis ist dies die erste Studie, in der die Auswirkungen von miR-21 direkt am lebenden menschlichen Herzgewebe untersucht wurde“, stellt Professor Thum fest. Das Modell der LMS habe sich bewährt, um den präklinischen Nachweis für die Wirksamkeit zu erbringen und soll zukünftig auch zur deutlichen Einsparung von Tierversuchen beitragen. „Die Tests in den Kultivierungskammern haben gezeigt, dass der miR-21-Blocker ein möglicher Medikamentenkandidat ist, um Fibroseentwicklung bei Herzinsuffizienz zu stoppen und sogar rückgängig zu machen.“
Da Fibrose auch andere Organe betreffen kann, könnte das Antisense-Molekül auch für die Behandlung der Leber- oder der Lungenfibrose infrage kommen. „Außerdem treten bei Herzinsuffizienz häufig Begleiterkrankungen in Organen wie Leber und Nieren auf, sodass die Unterdrückung von miR-21 vermutlich auch Vorteile bei geschädigter Leber- und Nierenfunktion haben könnte“, vermutet der Wissenschaftler. Als nächstes müssen die Forschenden nun klären, wie sich der Blocker sicher und genau ans gewünschte Ziel bringen lässt. Hier arbeiten die Forschenden bereits an einer Lösung, die es zukünftig möglich machen soll, RNA-Therapeutika zielgerichtet in verschiedene Organe bringen zu können.
Die Originalarbeit „miR-21 inhibition results in cardioprotective effects in human failing myocardium ex vivo“ finden Sie hier.
Text: Kirsten Pötzke