Forschung

Lebensdauer und Lebensqualität bei Leukämie erhöhen

MHH-Kooperationsprojekt PRETTY entwickelt Vorhersagemodell für individuelles Risiko von Nebenwirkungen nach Stammzelltransplantation

Eine Pipette tropft Flüssigkeit in eine Flasche.

Copyright: Karin Kaiser/Photoshop-KI generiert

Bei bestimmten Krebsarten wie Leukämie wird meist eine hoch dosierte Chemotherapie eingesetzt, welche die blutbildenden (hämatopoetischen) Stammzellen im Knochenmark vollständig oder weitgehend zerstört. Die Übertragung von gesunden Spenderstammzellen stellt dann für Betroffene die einzige Überlebenschance dar. Doch eine solche allogene hämatopoetische Stammzelltransplantation bringt auch Nebenwirkungen mit sich und kann etwa schwere Nierenschäden verursachen. Welches konkrete Risiko für einzelne Patientinnen und Patienten tatsächlich besteht, lässt sich jedoch nicht vorhersagen. Das Projekt PRETTY (Personalized Prediction of Transplant Toxicity) soll hier Abhilfe schaffen. Unter der Leitung von Professor Dr. Steffen Oeltze-Jafra, Informatiker am Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik (PLRI) der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), wollen Forschende ein Vorhersagemodell entwickeln, mit dem sich die Gefahr eines schwerwiegenden Nierenschadens nach einer Stammzelltherapie individuell bestimmen lässt. Ziel ist es, die Risikofaktoren zu verringern und dadurch Lebensdauer und Lebensqualität der Betroffenen zu erhöhen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt das Vorhaben über zunächst zwei Jahre mit insgesamt 1,4 Millionen Euro.

Digitales Tool für alle Standorte

„Wir konzentrieren uns auf drei bestimmte Leukämieformen“, sagt Professor Oeltze-Jafra, Leiter des Bereichs Informationssysteme und -management am PLRI in Hannover. Dazu gehören die akute myeloische Leukämie (AML), die akute lymphatische Leukämie (ALL) und das myelodysplastische Syndrom (MDS). Weil für ein Vorhersagemodell möglichst viele Patientendaten genutzt werden müssen, diese aus Datenschutzgründen aber nicht aus mehreren Kliniken zentral zusammengeführt werden dürfen, gehen die Forschenden einen anderen Weg. Sie nutzen ein in Vorarbeiten entwickeltes visuelles Tool, das mithilfe maschinellen Lernens komplexe Daten eines Standorts zu einem Vorhersagemodell verarbeitet. Das digitale Tool wird zunächst für das dezentrale Lernen aus Daten mehrerer Standorte erweitert und den an PRETTY beteiligten Universitätskliniken Halle (Saale), Göttingen, Leipzig und Jena zur Verfügung gestellt. Jede Kooperationspartnerin integriert das Tool in ihre IT-Infrastruktur, pflegt die eigenen Daten ein und trainiert ein standortspezifisches Vorhersagemodell. Spezielles Informatikwissen sei dafür nicht nötig, betont der Experte für Datenvisualisierung. In einem nächsten Schritt sollen die vier lokalen Modelle dann in einem gemeinsamen Vorhersagemodell zusammengefasst werden.

Maschinelles Lernen berücksichtigt auch den Menschen

Föderiertes Lernen heißt diese Methode des maschinellen Lernens, mit deren Hilfe sich eine umfangreiche und vielfältige Datengrundlage dezentral auswerten lässt, ohne dass die Daten selbst ihren Standort verlassen. Der föderative Ansatz sei zudem hybrid, weil er nicht allein auf Daten setze, betont Professor Oeltze-Jafra. „Wir berücksichtigen auch die menschliche Komponente, also die ärztliche Expertise am jeweiligen Standort sowie die lokale Perspektive der Patientinnen und Patienten, sprich ihre Erfahrung mit der Therapie und deren Auswirkungen.“ Dank der Kombination von Daten und menschlichen Faktoren soll das Vorhersagemodell dann in der Lage sein, für zukünftige Leukämie-Patienten bereits vor der Stammzelltransplantation individuelle Risikofaktoren für schwerwiegende Nebenwirkungen zu finden und so Lebensqualität und Überlebenschancen zu verbessern. Der Vorteil für das Gesundheitssystem: Krankenhausaufenthalte verringern sich, und die daraus entstehenden Kosten sinken.

Anwendung bei anderen Krebsarten langfristig möglich

Funktioniert das Vorhersagemodell, könnten sich weitere Standorte dem PRETTY-Projekt anschließen. „Je mehr, desto besser“, sagt Professor Oeltze-Jafra, denn das Ganze sei schließlich eine fortwährende Entwicklung, weil das Tool mit immer mehr Daten auch immer weiter lernen könne. Langfristig lasse es sich auch für personalisierte Prognosen bei anderen Krebsarten einsetzen. „Während das gelernte Modell krankheitsspezifisch ist, sind weite Teile des Ansatzes im Projekt nicht auf eine bestimmte Krankheit zugeschnitten.“

Das Projekt PRETTY erfolgt in Kooperation mit dem PLRI an der Technischen Universität Braunschweig, der Universitätsmedizin Göttingen, der Universitätsmedizin Halle (Saale), dem Universitätsklinikum Jena, dem Universitätsklinikum Leipzig und der niederländischen Universität Twente.

Text: Kirsten Pötzke