Ein EU-Konsortium mit Beteiligung der MHH entwickelt ein Instrument, mit dem sich das Risiko für Leberfibrose und Leberkrebs bestimmen lässt.
Leberzirrhose ist eine der häufigsten Todesursachen weltweit. Allein in Deutschland sind etwa eine Million Menschen von der Erkrankung betroffen. Ursache ist ein chronischer Entzündungsprozess, ausgelöst häufig durch eine Fettleber oder durch Infektionen mit Hepatitisviren. Dadurch sammeln sich Bindegewebszellen an. Schreitet die Leberfibrose fort, vernarbt das Gewebe, eine Zirrhose entsteht, und die Leber büßt ihre Funktion ein. In einer europäischen Studie haben Forschende nun einen Index entwickelt, mit dem sich das Risiko für eine Zirrhose oder eine andere schwere Lebererkrankung vorherbestimmen lässt. Die Studie entstand im Rahmen des Projekts „LiverScreen“, das von der Europäischen Union mit sechs Millionen Euro unterstützt wird. Die deutschen Teilprojekte erforschen die Einführung des Verfahrens in die Versorgungspraxis und werden von Professor Dr. Frank Lammert geleitet, Vizepräsident der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und einer der Autoren der Studie, die gerade in The Lancet veröffentlicht wurde, einer weltweit führenden medizinischen Fachzeitschrift.
Frühe Risikoeinschätzung möglich
Zwar ist die durch Hepatitis-Viren verursachte Zirrhose der Leber rückläufig – dank neuer Behandlungsverfahren, die in den letzten Jahrzehnten federführend auch an der MHH entwickelt wurden. Aber gleichzeitig nimmt die Häufigkeit von Fettlebererkrankungen infolge von Diabetes, Übergewicht und Alkoholkonsum zu. „Die Zirrhose entwickelt sich schleichend und bleibt zunächst häufig unentdeckt“, warnt Professor Lammert. Zum Zeitpunkt der Diagnose befindet sie sich daher oft in einem fortgeschrittenen Stadium und die Behandlungsmöglichkeiten sind begrenzt. Es bestehe Bedarf an einfachen, auf klinischen oder Laborparametern basierenden Instrumenten, um Risikopatienten frühzeitig zu identifizieren, betont der Mediziner. Das ermöglicht künftig der neu entwickelte „LiverRisk Score“. Er errechnet sich aus Alter, Geschlecht und sechs Standardwerten wie Blutzucker, Cholesterin, Anzahl der Blutplättchen und Leberwerten, die in jedem Labor einfach bestimmt werden können. Auch das Risiko für spätere Komplikationen lässt sich mit dem Index abschätzen. „So können wir vorhersehen, ob ein Mensch an einer Zirrhose erkrankt und schließlich Leberkrebs entwickelt und an der Krankheit stirbt“, sagt Professor Dr. Michael Manns, MHH-Präsident und Koautor der Studie. „Mit Hilfe der frühen Berechnung des Risikos können Präventionsmaßnahmen wie Bewegung und gesunde Ernährung dazu beitragen, die Entwicklung der Zirrhose und Krankenhausaufenthalte zu verhindern", erläutert Professor Lammert weiter.
Ähnlich aussagekräftig wie Risikovorhersage für Herzinfarkt
Für die Entwicklung des LiverRisk Score verwendeten die Forschenden Daten von 6.400 Personen, bei denen keine Lebererkrankung bekannt war. Wie viele von ihnen tatsächlich bereits eine Leberfibrose hatten, ergab ein sogenannter Leberelastographie-Test, mit dem die Steifigkeit der Leber bestimmt werden kann. Der Risikoindex wurde anschließend bei mehr als 8.000 Menschen überprüft, und der Vorhersagewert schließlich an einer Kohorte in Großbritannien mit mehr als 416.000 Teilnehmenden ohne Lebererkrankung und einer Nachbeobachtungszeit von zwölf Jahren berechnet. „Die Aussagekraft des LiverRisk Score ist ähnlich wie bei den kardiovaskulären Risikofaktoren, mit denen sich bereits seit vielen Jahren vorhersagen lässt, ob ein Mensch ein Herzinfarktrisiko hat“, betont Leberexperte Professor Manns. Langfristig soll der Risikoindex helfen, die Zahl der Zirrhose-Fälle zu senken. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Betroffenen ist zehn bis 20 Jahre niedriger als die der Gesamtbevölkerung.
Das LiverScreen-Projekt
Das LiverScreen-Projekt wird von der Universitätsklinik Barcelona geleitet. Es baut auf der SEAL-Studie auf, die mit Förderung des Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses in deutschen Hausarztpraxen lief und im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde. Ziel ist es, das Potenzial einer nicht-invasiven Technik, der Leberelastographie, für das Screening auf chronische Lebererkrankungen in der Allgemeinbevölkerung zu bewerten. An diesem Projekt sind 43 Kliniken und Forschungszentren in Spanien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Kroatien, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich beteiligt. Daran arbeitet ein multiprofessionelles Team mit Mitarbeitenden aus allen Gesundheitsberufen sowie Expertinnen und Experten aus den Bereichen Statistik, Ökonomie und Qualitätsmanagement sowie Patientenselbsthilfegruppen. Professor Dr. Frank Lammert koordiniert in dem europäischen Konsortium die Projekte, welche die Einführung des Verfahrens in Klinik und Praxis erforschen.
Autorin: Kirsten Pötzke