Ein gespendetes Organ bleibt für den Körper immer fremd und wird vom Immunsystem bekämpft. Um eine Abstoßung zu verhindern, muss die komplette Immunabwehr ein Leben lang unterdrückt werden. Ein MHH-Forschungsteam setzt nun genetisch veränderte Killerzellen gegen genau jene Immunzellen an, die das Transplantat zerstören wollen.
Wenn ein Organ unheilbar erkrankt ist und versagt, bleibt als letzte Behandlungsmöglichkeit nur eine Transplantation. Allerdings erkennt das Immunsystem der Empfängerin oder des Empfängers das Spenderorgan anhand von Gewebemerkmalen als fremd und greift es an. Um eine Abstoßung zu verhindern oder zumindest zu verzögern, muss das Immunsystem unterdrückt werden – und zwar lebenslang. Diese immunsuppressiven Therapien funktionieren häufig so, dass sie die Aktivität der Abwehrzellen einschränken und so die Bildung von Antikörpern und die Aktivierung von Immunzellen verhindern. Dieser Mechanismus schützt zwar das Spenderorgan, aber erleichtert gleichzeitig auch Infektionen durch Viren, Pilze und Bakterien.
Um die Organfunktion zu erhalten ohne gleichzeitig die komplette Immunabwehr auszuschalten, entwickelt ein Forschungsteam um Dr. Anna Christina Dragon vom Institut für Transfusionsmedizin und Transplant Engineering der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) nun eine neuartige Zelltherapie: Anstatt wie bislang üblich die Immunreaktion komplett zu unterbinden, möchte die Biomedizinerin ganz gezielt nur diejenigen Antikörper-produzierenden Immunzellen eliminieren, die eine Organabstoßung verursachen. Das Projekt wird von der Else-Kröner-Fresenius-Stiftung über 36 Monate mit rund 280.000 Euro gefördert.
B-Zellen bilden Antikörper gegen das Transplantat
„Verantwortlich für die Abstoßung ist zu einem ganz maßgeblichen Teil die humorale Immunantwort durch bestimmte B-Zellen, die das Transplantat als fremd erkennen“, erklärt die Nachwuchswissenschaftlerin. Entscheidend dafür sind Strukturen auf der Oberfläche der Körperzellen, die sogenannten humanen Leukozyten-Antigene (HLA). Anhand dieser Gewebemerkmale kann unser Immunsystem zwischen eigenem und fremdem Gewebe unterscheiden. Je ähnlicher sich die HLA-Merkmale von Organspender und -empfänger sind, desto geringer ist die Gefahr einer Abstoßung. Identische HLA-Merkmale finden sich aber fast ausschließlich bei einigen Geschwistern. Werden die fremden HLA-Merkmale des Transplantats von B-Zellen mit einer Anti-Spender-HLA-Spezifität erkannt, bilden sie Antikörper. Diese binden sich an die Zellen des gespendeten Organs und leiten deren Zerstörung ein.
CORA-T-Zellen sollen Überleben des Organs sichern
„Um diese Antikörper-produzierenden B-Zellen zu eliminieren, bevor sie einen Schaden anrichten können, nutzen wir andere Immunzellen des Patienten – die sogenannten T-Zellen –, die wir durch eine gentechnische Modifikation so in Killerzellen umwandeln, dass sie passgenau exakt die verantwortlichen B-Zellen eliminieren, die ansonsten Antikörper gegen das Transplantat bilden würden“, erklärt Dr. Dragon. Zu diesem Zweck rüstet sie die T-Zellen mit einem künstlichen Rezeptor aus. Dieser besteht aus einem äußeren HLA-Molekül, das sich passgenau an die Anti-HLA-Struktur der B-Zellen heftet, sowie aus einer inneren Signaleinheit. Dieser Rezeptor leitet die T-Killerzelle dann wie ein Navigationsgerät zu den B-Zellen. CORA-T-Zellen (T cells overcoming rejection by antibodies) nennt die Wissenschaftlerin diese Helfer gegen eine Organabstoßung. „Der Ansatz ist sehr innovativ und hat das Potenzial, das langfristige Überleben des gespendeten Organs nach einer Transplantation wirksam zu verbessern“, betont Professorin Dr. Britta Eiz-Vesper, Immunologin am Institut und Expertin für Immuntherapien.
Therapeutisches Potenzial nicht nur für Transplantationsmedizin
In Vorarbeiten konnte Dr. Dragon bereits in der Zellkultur nachweisen, dass das Prinzip funktioniert. Sie stattete T-Zellen mit einem Rezeptor aus dem häufigsten HLA-Merkmal aus (HLA-A2) und konnte beobachten, dass diese CORA-T-Zellen tatsächlich genau die B-Zellen aufspürten und zerstörten, die über die passgenauen Antikörper gegen HLA verfügten. Das führte dann zu einer deutlich verringerten Ausschüttung der schädlichen Antikörper. Ebenfalls in der Zellkultur vorhandene B-Zellen mit einer anderen Spezifität wurden dagegen komplett verschont. Aktuell werden zwei weitere HLA-Rezeptoren gebaut und getestet. „Es gibt mehrere Gene im HLA-System, die zudem in ganz vielen Varianten vorliegen“, stellt die Nachwuchsforscherin fest. „Ich konzentriere mich auf die bei einer Transplantation wichtigsten und am weitesten verbreiteten Varianten.“ Ziel ist es, schon bald eine CORA-T-Zell-Bank mit den häufigsten HLA-Varianten aufzubauen und diese dann maßgeschneidert für Patientinnen und Patienten bei Transplantationen zur Verfügung stellen zu können.
„Der Ansatz würde auch helfen, die in Deutschland bestehende Problematik der Nieren-Lebendspenden zu verbessern“, betont Institutsleiter Professor Dr. Rainer Blasczyk. Denn hierzulande dürfen nur Verwandte ersten und zweiten Grades, Ehe- oder Lebenspartner ihre Niere spenden. „Die Spendenden werden also nicht danach ausgesucht, ob ihr Organ gut zu der Empfängerin oder dem Empfänger passt, was spätestens bei der Zweittransplantation zu enormen Problemen führt“, bedauert der Transplantationsmediziner. „Mit diesem völlig neuen Ansatz der CORA-T-Zellen kann das bislang ungelöste Problem der HLA-Unverträglichkeiten bewältigt werden und das langfristige Überleben von Transplantaten rückt in greifbare Nähe.“
Mit Leonardo-da-Vinci-Award ausgezeichnet
Auch die Fachwelt sieht das Potenzial. Bei dem Treffen der Europäischen Gesellschaft für Organtransplantation (ESOT) im September in Athen wurde die Nachwuchswissenschaftlerin für ihre Arbeit mit dem höchsten Preis ausgezeichnet, dem mit 10.000 Euro dotierten Leonardo-da-Vinci-Award. Doch die Möglichkeiten der Anwendung gehen noch über die Transplantationsmedizin hinaus. „Überall, wo Antikörper-vermittelte Immunantworten Probleme bereiten, könnte der Einsatz dieser Killer-T-Zellen helfen“, erklärt Professorin Eiz-Vesper. Das betrifft neben Abstoßungsreaktionen auch Allergien oder Autoimmunerkrankungen. „Wenn wir die Erkennungsstrukturen der Rezeptoren austauschen, können wir die Killerzellen theoretisch gegen alle möglichen antikörperproduzierenden B-Zellen losschicken“, stellt Nachwuchswissenschaftlerin Dr. Dragon fest.
Text: Kirsten Pötzke