Der Weg ist frei für eine medikamentöse Therapie der besonders aggressiven Lebererkrankung.
Stand: 22. Juni 2023
Eine Infektion mit Hepatitis-D-Viren (HDV) verursacht die schwerste Form der chronischen, viralen Hepatitis-Erkrankung. Etwa zehn bis 20 Millionen Menschen weltweit sind betroffen. Die Krankheit ist aktuell nicht heilbar, am Ende bleibt als Therapieoption oft nur eine Lebertransplantation. Doch jetzt ist der Weg frei für eine Behandlung mit einem wirksamen Medikament. In einer multizentrischen Studie mit 150 Teilnehmenden konnte ein internationales Forschungsteam um Professor Dr. Heiner Wedemeyer und Professor Dr. Markus Cornberg aus der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie und Endokrinologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) nachweisen, dass der Wirkstoff Bulevirtide die Viruslast in Blutserum und Leber deutlich senkt und Leberentzündungswerte in vielen Fällen normalisiert. „Damit sind die Voraussetzungen für eine Vollzulassung des Medikamentes erfüllt und wir können endlich allen behandelnden Ärztinnen und Ärzten ein scharfes Schwert gegen Hepatitis D in die Hand geben“, freut sich Klinikdirektor Wedemeyer, der die klinische Entwicklung des Medikaments geleitet hat. Die Studie wurde in der international angesehen medizinischen Fachzeitschrift New England Journal of Medicine veröffentlicht.
Besonders aggressives Virus
HDV ist ein unvollständiges Virus und benötigt das Hepatitis-B-Virus (HBV) als Helfer, um sein RNA-Erbmaterial in dessen Hülle zu verpacken, an die Leberzelle anzudocken und in sie einzudringen. Eine Hepatitis-D-Infektion kommt daher auch nur als Co-Infektion mit einer Hepatitis-B-Infektion vor. Bislang sind weder Hepatitis B noch Hepatitis D heilbar. Zwar gibt es eine vorbeugende Impfung. Diese hilft aber bereits infizierten Menschen nicht mehr. HDV beschleunigt den Krankheitsverlauf zudem, die Infektionskrankheit Hepatitis D gilt als besonders aggressiv und kann schnell zu einer Leberzirrhose oder zu Leberkrebs führen. „Wir nennen Hepatitis D daher auch die Devil-Variante, weil sie so teuflisch und bösartig ist“, sagt Klinikdirektor Wedemeyer.
Aufgrund der positiven Ergebnisse einer früheren Studie hatte die Europäische Arzneimittelbehörde EMA das Medikament bereits vorläufig zugelassen. „Das ist äußerst ungewöhnlich, weil erst mit der klinischen Phase-3-Studie die Voraussetzungen für eine Vollzulassung erfüllt sind. Das zeigt, wie dringend ein wirksames Medikament für diese schwere Lebererkrankung benötigt wird“, betont der Leberexperte. In der aktuellen Studie wurde das Arzneimittel an einer größeren Zahl an Patientinnen und Patienten geprüft, um zu sehen, ob sich Wirksamkeit und Unbedenklichkeit auch bei vielen unterschiedlichen Patienten bestätigen lassen. Außerdem wurden mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten untersucht.
Eintritt in Leberzelle blockiert
Bulevirtide wurde am Universitätsklinikum Heidelberg und am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) entwickelt. Das Medikament blockiert den Andockpunkt für die HBV-Hüllen an der Leberzelle. Da dieser nun besetzt ist, können die HD-Viren nicht mehr in die Zelle gelangen. Auch bereits infizierte Patientinnen und Patienten profitieren davon: Das Medikament schützt die neu gebildeten Leberzellen vor einer HDV-Infektion, während gleichzeitig bereits befallene Zellen vom Immunsystem vernichtet werden. Dem Virus fehlt somit seine Existenzgrundlage, denn für sein Fortbestehen im Körper muss es immer neue Leberzellen infizieren.
„Wir habe die antivirale Aktivität an 150 Patientinnen und Patienten getestet, die sowohl mit HBV als auch mit HDV infiziert waren“, sagt Professor Cornberg. „Davon hatte knapp die Hälfte bereits eine Leberzirrhose entwickelt, also ein vernarbtes Lebergewebe.“ Den Betroffen wurde das Medikament täglich unter die Haut gespritzt. Die Behandlung wurde in der Studie für insgesamt 144 Wochen durchgeführt. Jetzt wird der „primäre Endpunkt“ nach 48 Wochen Therapie berichtet, also der Zeitpunkt, wann das Therapieziel erreicht ist. Die Ergebnisse der Phase-3-Studie zeigen, dass die Konzentration der HDV-RNA in Blutserum und Leber deutlich absanken. „Zudem konnten wir feststellen, dass sich auch die Leberwerte in den meisten Fällen deutlich verbessert haben“, stellt der Hepatologe und Infektiologe fest. Wie lange die Patienten letztlich behandelt werden müssen, werde der Verlauf zeigen. Das untersuchen die Forschenden um Professor Wedemeyer und Professor Cornberg auch in dem von der EU-geförderten Forschungsprojekt D-Solve. Wichtig ist jetzt schon: „Eine längere Therapie ist kein Problem, weil das Medikament kaum Nebenwirkungen hat und insgesamt sehr gut verträglich ist“, betont Professor Wedemeyer. „Bulevirtide ist ein echter Gamechanger. Wir rechnen nun damit, dass zeitnah auch eine Vollzulassung durch die europäische Arzneimittelbehörde erfolgt.“
Text: Kirsten Pötzke