Forschungsprojekte des Gleichstellungsbüros der MHH
Nähere Informationen zu dem Projekt und den Forschungsinhalten finden Sie hier.
Das Geschlecht beeinflusst die Gesundheit (rsp. Krankheit) und folglich auch die Gesundheitsversorgung in hohem Maße. Die Analyse dieses komplexen Themenfeldes hat in der sozial- und gesundheitswissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung eine lange Tradition und wird jüngst mit der Etablierung der geschlechtersensiblen Medizin verstärkt. Beide Perspektiven komplementieren sich; jedoch hat eine Synergie der jeweiligen Forschungsansätze bis dato nur vereinzelt stattgefunden. Hier besteht nicht nur Handlungs- sondern auch theoretisch-konzeptioneller und methodologischer Entwicklungsbedarf, den wir mit diesem Projekt am Beispiel der Transplantationsmedizin adressieren wollen. Aus dem Bewusstsein heraus, dass neben dem reinen medizinischen Fachwissen auch fälschliche Annahmen („Mythos") der Behandelnden bzgl. bestimmter Krankheiten bei Frauen und Männern die medizinische Versorgung stark beeinflussen, werden wir einige dieser Mythen hinterfragen, und so die aus ihnen resultierende Ungleichbehandlung der Geschlechter durch verbesserte Diagnostik und Therapie auf einem neuen, höheren Niveau angleichen. Als Beispiel für einen Mythos soll hier das oft auch nur unbewusst angenommene geringere kardiovaskuläre Risiko bei Frauen gegenüber Männern erwähnt sein, das im Bereich der Transplantationsmedizin z.T. zu einer inadäquaten Diagnostik und Behandlung von Frauen auf Grund des unterschätzen Risikos führt.
Diese innovative, interdisziplinäre Herangehensweise wird am Beispiel der Nierentransplantation aus dem epidemiologischen, internistischen, immunologischen und soziologischen Blickwinkel heraus erprobt. Hierdurch können neben einer wissenschaftlichen Bewertung auch die in der Behandlungspraxis vorherrschenden Annahmen zu Geschlechterunterschieden überprüft und ggf. korrigiert werden. Die Ergebnisse des Forschungsvorhabens sind zum einen unmittelbar handlungsrelevant und können durch die Einspeisung in Leitlinienprozesse langfristig verstetigt werden. Zum anderen kann der hier gewählte Forschungsansatz wichtige Impulse für komplexe und integrative geschlechterspezifische Forschungsvorhaben in der gesamten Medizin über die Transplantationsforschung hinaus geben.
Hauptantragstellerin/Sprecherin:
Prof. Dr. Dr. Anette Melk, Päd. Nieren-, Leber- und Stoffwechselerkrankungen, MHH
Teilprojekt 1: Epidemiologie der Geschlechterunterschiede bei Nierentransplantation
Prof. Dr. Siegfried Geyer, Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Soziologie, MHH
In diesem Teilprojekt die folgenden Fragestellungen beantwortet werden: 1) Besteht ein Unterschied zwischen Frauen und Männern, die sich einem Dialyseverfahren unterziehen, im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit, auf die Warteliste für eine Nierentransplantation aufgenommen zu werden? 2) Unterscheiden sich Frauen und Männer, die auf einer Warteliste für eine Nierentransplantation stehen, im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit transplantiert zu werden bzw. im Hinblick auf die Länge der Wartezeit bis zur Transplantation? 3) Unterscheiden sich Frauen und Männer, die transplantiert wurden, im Hinblick auf die Risiken von Komplikationen nach der Transplantation? 4) Unterscheiden sich Frauen und Männer, die transplantiert wurden, im Hinblick auf das Risiko eines Transplantatverlusts, d.h. Rückkehr an die Dialyse?
Teilprojekt 2: Geschlechterspezifische Unterschiede im Ausmaß der Diagnostik und in der Intensität der Therapie kardiovaskuläre Endorganschäden vor und nach Nierentransplantation
PD Dr. Bernhard M.W.Schmidt, Klinik für Nieren- und Hochschuldruckkrankheiten, MHH
Vor dem Hintergrund der geringeren Aufmerksamkeit, die kardiovaskuläre Erkrankungen bei Frauen in der Normalbevölkerung erfahren, möchten wir hier folgende Fragen untersuchen: 1) Unterscheiden sich Frauen, die zur Nierentransplantation akzeptiert werden, hinsichtlich kardiovaskulärer Endorganschäden von männlichen Patienten, die akzeptiert werden? 2) Ist das Ausmaß der kardiovaskulären Vordiagnostik bei Frauen und Männern unterschiedlich? 3) Werden kardiovaskuläre Erkrankungen bei Frauen im Verlauf nach Nierentransplantation in gleicher Weise diagnostiziert und behandelt wie bei Männern?
Teilprojekt 3: Vergleich von Häufigkeit und klinischer Bedeutung der Antikörperantwort von nierentransplantierten Frauen und Männern
Prof' in Dr. Christine S. Falk, Institut für Transplantationsimmunologie, MHH
Basierend auf dem negativen Einfluss der erhöhten PRA-Aktivität auf die Wahrscheinlichkeit, eine Nierentransplantation zu erhalten, und auf dem dadurch möglicherweise erhöhten Risiko einer Antikörper-Neubildung nach Transplantation werden die folgenden Fragestellungen bearbeitet: 1) Ist bei Frauen vor Transplantation tatsächlich eine höhere HLAspezifische Antikörperreaktivität (PRA) mit Komplementaktivierung nachweisbar als bei Männern und bilden die Mütter dabei die Untergruppe mit besonders hoher Antikörperaktivität? 2) Bilden Frauen mit hoher Panel-Reaktivität häufiger neue echte DSAs gegen die transplantierte Niere?
Teilprojekt 4: Überprüfung der experimentellen Befunde anhand des AOKN-Datensatzes
Prof. Dr. Siegfried Geyer, Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Soziologie, MHH
PD Dr. Bernhard M.W. Schmidt, Klinik für Nieren-, und Hochdruckkrankheiten, MHH
TP4 dient der Überprüfung der in TP2 und TP3 im Rahmen der monozentrischen prospektiven Kohorten-Studie erhobenen Befunde in den in TP1 verwendeten anonymisierten Krankenkassendaten der AOKN, wobei Behandlungsziffern aus der Datenbank stellvertretend für die experimentellen und diagnostischen Befunde eingesetzt werden. Für TP2 handelt es sich um dabei um Befunde zur geschlechtsbezogenen kardiovaskulären Diagnostik, zur kardiovaskulären Morbidität, zu kardialen Interventionen und medikamentösen Maßnahmen; für TP3 um therapeutische Maßnahmen bei einer Transplantatabstoßungskrise, die als Plasmapherese, Immunglobulin- oder Rituximab-Gabe erfasst sind. Es wird untersucht, ob Untersuchungsroutinen und Zusammenhänge, die in der ausgewählten Patientengruppe eines Standorts praktiziert werden, auch allgemein Anwendung finden. Diese Frage zielt auf die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf das gesamte Niedersachsen und letztlich auf die Bundesrepublik. Diese Kombination von klinischen und epidemiologischen Untersuchungsverfahren ist ein explorativer, aber gleichzeitig hoch innovativer Teil des Gesamtprojektes, der bisher in dieser Form noch nicht praktiziert wurde.
Teilprojekt 5: Geschlechterunterschiede bei Nierentransplantation – Anforderungen an und Umsetzung in Leitlinien
Prof'in Dr. Birgit Babitsch, Fachgebiet New Public Health, Universität Osnabrück
1) Werden in nationalen und internationalen Leitlinien zur Nierentransplantation geschlechterspezifische Unterschiede berücksichtigt? Welche geschlechterspezifischen Aspekte werden in den Leitlinien adressiert? 2) Welche geschlechterspezifischen Unterschiede lassen sich bei der Nierentransplantation identifizieren? Wie ist der Evidenzgrad dieser zu beurteilen? 3) Welche Bedeutung haben die ermittelten Geschlechterunterschiede für eine qualitativ hochwertige Behandlung vor, während und nach Nierentransplantation? Wie sollte eine Integration dieser Geschlechterdifferenzen in den Leitlinien zur Nierentransplantation erfolgen? 4) Wie schätzen Experten/-innen und Entwickler/-innen die Umsetzbarkeit der Geschlechterspezifizierung in die bestehenden Leitlinien zur Nierentransplantation ein? Welche Schritte sind bei der Umsetzung zu beachten?
Teilprojekt 6: Wissenstransfer, Netzwerkarbeit und Distribution der Befunde in die öffentliche Diskussion
Prof'in Dr. Christine S. Falk, Institut für Transplantation, MHH
Prof'in Dr. Birgit Babitsch, Fachgebiet New Public Health, Universität Osnabrück
Dr. Bärbel Miemietz, Gleichstellungsbüro, MHH
Zu den Zielen dieses als Querschnittsprojekt angelegten Teilprojekts gehört es, einen nachhaltigen Wissenstransfer zwischen den Projektbeteiligten und weiteren Wissenschaftlern/innen aus verschiedenen Fachdisziplinen, insbesondere aber aus den Bereichen Transplantationsmedizin und Geschlechterforschung, in Gang zu setzen. Es soll eine Verständigung über Sprache (Terminologie, Fächerjargons, Alltagssprache) und über fachspezifische Arbeitsweisen und organisatorische Rahmenbedingungen erreicht werden. Damit soll ein Netzwerk von Epidemiologen/innen, Gesundheitswissenschaftler/innen, Naturwissenschaftler/innen und Medizinern/innen etabliert werden, die im Bereich der Sex/Gender-Thematik forschen. Es ist außerdem geplant, die erarbeiteten Erkenntnisse lokal (MHH), national (Niedersachsen und Bund) sowie international zu verbreiten. Da das beschriebene Projekt Modellcharakter haben soll, ist insbesondere die Diskussion und Vorbereitung einer Übertragung auf andere Bereiche der soliden Organ- und Stammzelltransplantation ein integraler Bestandteil. Im Hinblick auf die Realisierung des komplexen und interdisziplinären Forschungsansatzes wird eine vertiefende Diskussion mit Experten/-innen der Geschlechterforschung in der Medizin angestrebt. Hier kann bereits auf umfangreiche Vorarbeiten und Kompetenzen an der MHH sowie der langjährige Vernetzung in diesem Forschungsbereich zurückgegriffen werden. Angestrebt wird auch eine Wissens- und Ideensammlung für eine möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt anzustrebende Graduiertenschule im Bereich der geschlechtersensiblen Medizin.
Anlässlich der 50 Jahr-Feier der MHH wurde im Gleichstellungsbüro die Studie "Der Weg nach oben - 50 Jahre Spitzenkarrieren von Frauen an der MHH" durchgeführt.
Der Jahrestag bot die Gelegenheit, eine Bestandsaufnahme zu machen, die die Leistungen von Frauen im Männerfach Medizin historisch würdigt und ihre Erfahrungen für die Gegenwart und Zukunft einer geschlechtergerechteren Fachkultur nutzbar macht.
Im Rahmen der Studie wurde untersucht, wie es Frauen seit dem Bestehen der MHH gelungen ist, führende Positionen in Klinik und Wissenschaft zu erreichen. Zu diesem Zweck wurden biographische Interviews mit (emeritierten) Professorinnen geführt. Das Projekt wurd vom niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur unterstützt.
Projektlaufzeit: Oktober 2014 - Mai 2016
Projektleitung
Dr. Bärbel Miemietz
Gleichstellungsbeauftragte der MHH
Carl-Neuberg-Straße 1
30625 Hannover
E-Mail: gleichstellung/at/mh-hannover.de
Telefon: 0511/532-6501
Projektmitarbeiterin
Claudia Froböse, Dipl. Sozialwiss.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Carl-Neuberg-Straße 1
30625 Hannover
E-Mail: froboese.claudia/at/mh-hannover.de
Telefon: 0511/532-6521
In der einjährigen Vorstudie an der Medizinischen Hochschule Hannover sollten Ursachen für die anhaltend geringen Frauenanteile auf den hochschulmedizinischen Spitzenpositionen ermittelt werden.
Für die Medizinerinnen gibt es augenscheinlich zwei entscheidende Hürden auf der universitären Karriereleiter: die Phase zwischen Promotion und Habilitation und die Zeit nach der Habilitation, in der die Berufung zur Professorin ansteht oder eben ausbleibt. Vor dieser zweiten Hürde stehen vor allem die Oberärztinnen, die oftmals bereits habilitiert sind aber noch keine klare Aufstiegsperspektive haben. Anhand von biographischen Interviews wurden daher die bisherigen Karrierewege und künftigen Karriereabsichten von Oberärztinnen der MHH erfasst und analysiert.
In einem zweiten Schritt wurden die Motivationen für einen Ausstieg aus der Hochschulmedizin betrachtet. Die kontrastierende Gegenüberstellung von Oberärztinnen und Medizinerinnen, die die MHH verlassen haben, versprach einen differenzierteren Blick auf das Wechselspiel von individuellen, strukturellen und organisationsspezifischen Faktoren des weiblichen Karriereverlaufs.
Laufzeit: Januar - Dezember 2015
Projektleitung:
Prof. Dr. Corinna Onnen
Soziologie, Institut für Sozialwissenschaften und Philosophie
Universität Vechta
Driverstraße 22
49377 Vechta
e-Mail: Corinna.onnen/at/uni-vechta.de,
hier zur Webseite
Co- Projektleitung:
Dr. Bärbel Miemietz
Medizinische Hochschule Hannover, Gleichstellungsbeauftragte
Carl-Neuberg-Straße 1
30625 Hannover
E-Mail: gleichstellung/at/mh-hannover.de
Telefon: 0511-532-6501
Projektmitarbeit:
Monique Tannhäuser, M.A. Soziologie
Institut für Sozialwissenschaften und Philosophie
Universität Vechta
Driverstraße 22
49377 Vechta
Maria Neumann
Gleichstellungsbüro der Medizinischen Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Straße 1
30625 Hannover
Telefon: 0511 532 6502
e-Mail: Neumann.Maria/at/mh-hannover.de
wissenschaftliche Publikationen aus dem Gleichstellungsbüro
Froböse, Claudia; Miemietz, Bärbel (2017): Ein Weg am Abgrund? Berufsverläufe von Professorinnen am Beispiel eines Hochschulmedizinstandortes. In: Onnen, Corinna & Rode-Breymann, Susanne (Hg.): Zum Selbstverständnis der Gender Studies. Methoden - Methodologien - theoretische Diskussionen und empirische Übersetzungen. Verlag Barbara Budrich/Budrich UniPress, 113-132.
Miemietz, Bärbel (2016/2017): Warum dauert es eigentlich so lange? Der schwierige Weg von Sex und Gender in den medizinischen Mainstream. In: Katharina Stengler (Hg.): Genderperspektiven in der Medizin (GPmed). Abstractband zur Tagungsreihe an der der Universität Leipzig. Leipzig 2016/2017, S. 81-83. Online unter: http://gender.medizin.uni-leipzig.de/fileadmin/user_upload/GPmed_Abstractband_final_web.pdf
Neumann, Maria; Meyer, Henriette; Froböse, Claudia; Miemietz, Bärbel (2017): Hoffnungen - Erwartungen - Motive. Wie starten Nachwuchswissenschaftlerinnen in ein Mentoring-Programm? Ergebnisse einer Pilotstudie aus der Hochschulmedizin. In: Onnen, Corinna & Rode-Breymann, Susanne (Hg.): Zum Selbstverständnis der Gender Studies. Methoden - Methodologien - theoretische Diskussionen und empirische Übersetzungen. Verlag Barbara Budrich/Budrich UniPress, S. 133-151.
Neumann, Maria; Froböse, Claudia; Miemietz, Bärbel (2016): Auf dem Karriereweg. Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen in der Hochschulmedizin. Personal- und Organisationsentwicklung in Einrichtungen der Lehre und Forschung. 11, 1: 22-26.
Engelmann, Carsten; Grote, Gudela; Miemietz, Bärbel; Vaske, Bernhard & Geyer, Siegfried (2015): Weggegangen - Platz vergangen? Deutsche Medizinische Wochenschrift. 140, 4: e28-e35.
Miemietz, Bärbel (Hg.) unter Mitarbeit von Nino Polikashvili (2013). Medizin und Geschlecht. Perspektiven für Lehre, Forschung & Krankenversorgung. Lengerich/Berlin/Bremen/Miami/Riga/Viernheim/Wien/Zagreb: Pabst Science Publishers.
Miemietz, Bärbel, Ivanov, Christine, Othmer, Regine (2011): Medizin und Geschlecht: Perspektiven für Lehre, Praxis und Forschung. Tagung vom 3.-4. September 2010 in Hannover. Gender 3. Jg, H. 1, S. 144-149.
Miemietz, Bärbel, Ljiljana Verner, Larissa Burruano (2007): Integration geschlechterspezifischer Inhalte in das Medizincurriculum. Ein Projekt zur Qualitätssteigerung der Lehre an der Medizinischen Hochschule Hannover. In: Zeitschrift für Frauenforschung & Geschlechterstudien 25/2 (Sonderheft: "Gesundheitswissenschaftliche Frauen- und Geschlechterforschung – multidisziplinäre Projekte und Ansätze"), S. 98-110.