MHH-Forscherin arbeitet in zwei EU-Gentherapie-Projekten mit und entwickelt neue virale Vektoren für den sicheren und effizienten Transfer heilender Gene.
Gentherapien zielen auf die Heilung schwerer, kaum behandelbarer monogenetischer Erkrankungen, die also von einem Defekt in einem einzelnen Gen hervorgerufen werden. Entsprechend groß sind die Hoffnungen. Einige Gentherapien sind in Europa bereits zugelassen – etwa bei der spinalen Muskelatrophie (SMA), einer angeborenen Erkrankung der Motorneuronen, die unter anderem zu schwerer Muskelschwäche und Muskelschwund führt. Dabei werden mit Hilfe sogenannter viraler Vektoren therapeutische Gene als „Medikament“ direkt in die Zelle transportiert. Zu den bekanntesten Vertretern dieser umgangssprachlich als Gentaxis bezeichneten Vektoren zählen die AAV-Vektoren, die sich von den sogenannten Adeno-assoziierten Viren (AAV) ableiten. Eine international ausgewiesene Expertin für die Entwicklung von AAV-Vektoren für die Gentherapie ist Professorin Dr. Hildegard Büning, stellvertretende Leiterin des Instituts für Experimentelle Hämatologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). In zwei großen Gentherapie-Forschungsprojekten der Europäischen Union (EU) ist sie dabei. Im EU-Verbundantrag AAVolution geht es um die Verbesserung gentherapeutischer Ansätze für die Leber. Das Verbundprojekt aus neun Projektpartnern wird mit vier Millionen Euro gefördert. Davon geht eine halbe Million an die MHH. Das Projekt MAGIC stellt die bis heute unheilbaren neuromuskulären und muskulären Erkrankungen in den Fokus, eine Gruppe von Erkrankungen, die durch fortschreitende Rückbildung des Muskelgewebes gekennzeichnet ist. In dem Projekt arbeiten 15 internationale Forschungsgruppen zusammen. Es wird mit insgesamt sechs Millionen Euro von der EU unterstützt. Die MHH erhält davon rund eine Million Euro.
Gentransfer in die Leber verbessern und stabilisieren
AAV-Vektoren leiten sich zwar von Viren ab, dienen bei der Gentherapie aber ausschließlich als Transportmittel. Mit der Virushülle, dem sogenannten Kapsid, docken sie an die Körperzelle an und schleusen ihre genetische Fracht in das Zellinnere. Dort wird sie abgelesen und gemäß ihrem Bauplan in das entsprechende Protein umgesetzt. Nicht alle Gentaxis erreichen jedoch ihr Ziel. Mitunter laden sie ihre Fracht an falscher Stelle ab, weil sie neben dem gewünschten Zielorgan auch andere Gewebe ansteuern. Zudem können sie vom Immunsystem als fremd erkannterkannt werden. „Etwa 70 Prozent der Bevölkerung haben neutralisierende Antikörper gegen einige der natürlich vorkommenden AAV“, sagt Professorin Büning. „Ihr Immunsystem würde also die entsprechenden viralen Vektoren abfangen, bevor sie das therapeutische Gen in die Zelle bringen können.“ Durch Veränderungen des Kapsids, dem sogenannten capsid engineering, können den Gentaxis neue Eigenschaften verliehen werden. Diese Strategie wird von der Forscherin sowohl in AAVolution als auch in MAGIC angewendet, um die AAV-Vektoren für ihre jeweilige zukünftige Aufgabe in der Gentherapie am Menschen zu optimieren.
Konkret wollen die Forschenden im Projekt AAVolution den Gentransfer in die Leber verbessern und stabilisieren. Dafür suchen sie in sogenannten Kapsid-Varianten-Bibliotheken nach AAV-Varianten, die zum einen ihre Fracht effizient in die Leberzellen einschleusen und zum anderen den neutralisierenden Antikörpern entkommen. Durch die Erhöhung der Effizienz wollen sie erreichen, dass weniger Gentaxis pro Patient eingesetzt werden müssen. Ein weiteres Problem bei der Gentherapie in der Leber ist, dass sich dieses Organ regenerieren kann, wofür sich die Zellen der Leber teilen. „Mit jedem Teilungsschritt befinden sich dann weniger Vektoren und somit auch weniger therapeutische Gene in den Zellen, denn das eingebrachte Erbgut wird ja nicht fest in die DNA der Leberzelle eingebaut“, erklärt Professorin Büning. Diesen unerwünschten Verlust wollen die Forschenden zum Beispiel dadurch verhindern, indem sie AAV-Vektoren entwickeln, die sich synchron mit der Zelle vermehren und so einer Verdünnung der Transgene entgegenwirken.
Ein Navi für die Gentaxis
Das Projekt MAGIC hat zum Ziel, neuartige, naturgetreue Modelle zu entwickeln, die den Verlauf schwerer, ererbter Erkrankungen der menschlichen Skelettmuskulatur nachbilden. Bislang gibt es keine geeigneten Zell- und Tiermodelle, an denen sich der Krankheitsverlauf bei Muskeldystrophien untersuchen lässt. Das ist einer der Gründe, warum es bislang auch keine heilenden Behandlungen für diese Erkrankungen gibt. Die Forschenden setzen nun unter anderem auf sogenannte Muscle-on-Chip-Technologien. Solche Bioreaktoren lassen sich etwa mit einem dreidimensionalen Skelettmuskelgewebe versehen, das wie die Muskeln im menschlichen Körper auf elektrische Stimulation reagiert. Die Zellen in den Bioreaktoren werden über ein winziges Flüssigkeitssystem mit den nötigen Nährstoffen versorgt. Biosensoren ermöglichen die Überwachung der Muskelfunktion.
Ferner sollen im Projekt MAGIC unter Anwendung der neuen Modelle effizientere Gentaxis entwickelt werden. „So wollen wir AAV-Vektoren entwickeln, die zielsicher und effizient Muskelzellen ansteuern und sich nicht in andere Gewebe verirren. Wir statten sie sozusagen mit einem Navi aus“, erklärt Professorin Büning. Neben AAV testen die Forschenden auch lentivirale Vektoren. Diese leiten sich von Familie der Retroviren ab und sind in der Lage, ihre Gene fest in das Erbgut der Zielzelle einzubauen. Basierend auf diesen Genfähren können anhand der neuen Modelle neue therapeutische Ansätze entwickelt werden.
Text: Kirsten Pötzke