Forschungseinrichtung Metabolomics untersucht in Nature-Studie Bestandteile der Virusabwehr
Stand: 24. September 2021
Um erfolgreich zu forschen, ist nicht nur eine innovative Idee nötig. Man muss sie auch umsetzen können. Und dafür sind mitunter spezielle Geräte und viel Expertise gefragt. Beides bietet die Zentrale Forschungseinrichtung Metabolomics der MHH mit ihrem Massenspektrometer der Extraklasse. Dank Ionenmobilitätstechnologie können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Moleküle gezielt aufspüren, identifizieren und sogar ihre genaue Struktur analysieren. Das Angebot nutzen nicht nur interne Arbeitsgemeinschaften und Forschungsgruppen anderer deutscher Universitätskliniken. Es hat sich sogar bis in die USA herumgesprochen und der Forschungseinrichtung unter der Leitung von Professor Dr. Roland Seifert, Direktor des Instituts für Pharmakologie, eine Anfrage der Harvard Medical School in Boston beschert. Aus der erfolgreichen Zusammenarbeit ist eine Veröffentlichung im Magazin Nature hervorgegangen. Mitautor der MHH-Harvard-Publikation ist auch Metabolomics-Mitarbeiter Martin König. Für den Nachwuchsforscher, der gerade seinen Masterabschluss in Biochemie absolviert hat, ist die Beteiligung an der Publikation in dem weltweit angesehenen Fachjournal für Naturwissenschaften ein Ritterschlag.
Gleich aber nicht identisch
Die Grundlage der internationalen Studie beruht auf dem naturwissenschaftlichen Phänomen der Isomerie. Chemische Verbindungen, bei denen zwar die gleichen Atome in gleicher Anzahl am Aufbau beteiligt sind, ihre Anordnung aber unterschiedlich ist, bezeichnet man in der Chemie als Isomere. „Moleküle, die jeweils aus den exakt gleichen Bausteinen bestehen, können diese unterschiedlich arrangieren und sich daher deutlich voneinander unterscheiden“, erklärt Professor Seifert. So, wie sich aus der gleichen Anzahl bunter Legosteine ganz verschiedene Dinge zusammenbauen lassen, sind auch die Atome innerhalb der Moleküle anders „zusammengesteckt“. Diese sogenannten Konstitutionsisomere haben dann zwar die gleiche Masse, jedoch unterschiedliche chemische und biologische Eigenschaften. Bisher galt die Ansicht, dass immer nur eine Variante eine biologische Funktion im Körper hat, während die andere quasi wirkungslos ist. Diese These konnte das Forschungsteam jetzt widerlegen.
„Wir haben bestimmte Dinukleotide analysiert, die aus zwei Nukleotiden zusammengesetzt sind, den Grundbausteinen der Erbsubstanz“, erklärt der Biochemiker König. Untersucht wurde das Dinukleotid cGAMP, ein Botenstoff, der als molekularer Sensor das angeborene Immunsystem in Säugetierzellen steuert. Er besteht aus zwei verschiedenen Nukleotid-Bausteinen, die auf unterschiedliche Arten ringförmig miteinander verbunden sein können. Je nach Anordnung existieren demnach auch zwei Konstitutionsisomere: 2‘3‘-cGAMP und 3‘2‘-cGAMP. Im menschlichen Körper konnten Wissenschaftler bislang nur das 2‘3‘-cGAMP nachweisen, während das andere Isomer als funktionslos und somit nicht vorhanden angesehen wurde.
Fruchtfliege kann mehr
Einen Gegenbeweis liefert die Fruchtfliege Drosophila melanogaster, ein beliebter Modellorganismus in der biologischen Forschung. Sie kann auch das andere Konstitutionsisomer produzieren und ebenfalls nutzen, um Virusinfektionen zu bekämpfen. Dringt virales Erbgut in die Fliegenzellen ein, erkennen diese die Virus-RNA und setzen 3‘2‘-cGAMP frei. Der molekulare Sensor aktiviert den Botenstoff Interferon, der auch im menschlichen Körper an der antiviralen Immunantwort beteiligt ist, und erzeugt so einen besseren Schutz vor Virusinfektionen. Im Massenspektrometer ließen sich die beiden Isomere voneinander trennen. „Damit haben wir belegt, dass zwei Moleküle, die auf den ersten Blick fast vollkommen gleich sind, unterschiedliche Dinge machen“, sagt Professor Seifert.
Diese biologischen Mechanismen sind in Laufe der Evolution konserviert, das heißt, es gibt sie bei früh entwickelten Organismen genauso wie bei den später entstandenen Säugetieren. „Es lohnt sich also, auch im Menschen nach 3‘2’-cGAMP zu suchen“, erklärt Professor Seifert. Denn das Dinukleotid könnte auch in unserem Immunsystem die antivirale Abwehr stärken – möglicherweise auch gegen das Coronavirus SARS-CoV-2. Für Martin König hat die Forschungsarbeit aber noch eine ganz andere, persönliche Bedeutung. Die hochkarätige Veröffentlichung soll ihm helfen, ein Stipendium für seine Promotion zu bekommen.
Autorin: Kirsten Pötzke