Prof. Dr. Dr. Christine Happle klärt darüber auf, wann man mit Kindern in die Notaufnahme gehen sollte und was es für Alternativen gibt.
Stand: 4. Juli 2023
Kinder sind nicht „einfach kleine Erwachsene“ – das gilt es auch in der medizinischen Behandlung zu beachten. Es erfordert spezielle Kenntnisse, die Kleinen zu versorgen und zu erkennen, was ihnen fehlt. Gerade deshalb ist es für Eltern manchmal schwierig einzuschätzen, wie dringend es ist. Reicht es, morgen zum Kinderarzt zu gehen oder sollten wir lieber doch zur Bereitschaftsdienstpraxis in eine Klinik fahren? Oder ist sogar die Notaufnahme vonnöten? Wir haben mit Unterstützung von Professorin Dr. Dr. Christine Happle, Leiterin der pädiatrischen Notaufnahme, einen Überblick erstellt.
Prof. Happle, was gilt bei Kindern als Notfall?
Happle: Grundsätzlich gilt, dass die Notaufnahme oder der Notruf nur bei sehr schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankungen in Anspruch genommen werden sollten. Also zum Beispiel bei akuter Atemnot, akuten Blutungen, Vergiftungen, Krampfanfällen, starken Schmerzen, Nackensteife, Bewusstlosigkeit oder schweren Verletzungen, insbesondere wenn diese den Kopf betreffen.
Wann reicht ein Besuch in der Kinderarztpraxis?
Die Kinderarztpraxis ist die erste Anlaufstelle, wenn ein Kind krank, aber nicht lebensbedrohlich erkrankt ist. Der Gang in die Kinderarztpraxis empfiehlt sich zum Beispiel bei banalen Infekten, Ausschlägen, kleinen Verletzungen, Magen-Darm-Beschweren oder Fieber. Bei Neugeborenen und sehr kleinen Kindern ist die Einschätzung der Erkrankungsschwere durch die Angehörigen oft schwierig, hier empfiehlt sich im Zweifel Rücksprache mit der Hebamme oder dem/der Kinderärzt:in zu halten. Sollte diese/r den Zustand des Kindes als kritisch einschätzen, wird er/sie in die Kindernotaufnahme überweisen.
Und wenn die Praxis bereits zu hat?
Kinderarztpraxen, die im Urlaub sind, müssen eine Vertretung benennen, die dann erste Ansprechpartnerin ist. Außerhalb der regulären Öffnungszeiten der Praxen besteht die Möglichkeit, in eine kassenärztliche Notdienstpraxis (KV-Praxis) zu gehen. Für Kinder in der Region Hannover ist hier die erste Anlaufstelle die kinderärztliche Bereitschaftsdienstpraxis am Kinderkrankenhaus Auf der Bult (Janusz-Korzak-Alle12, Hannover, Tel.: 0511/811 533 00), die außerhalb der regulären Praxiszeiten täglich bis 22 Uhr geöffnet hat. Kontakt zu Vertretungen und KV-Notdiensten vermittelt auch der ärztliche Bereitschaftsdienst unter der 116117 – die Nummer ist kostenlos und zu jeder Zeit besetzt - auch nach 22 Uhr. Dort wird einem zum Beispiel bei folgenden Fragen geholfen: Handelt es sich um einen akuten Notfall? Wo gehe ich am besten mit meinem Kind hin? Wo ist die nächste Bereitschaftspraxis für Kinder?
Wenn man vermutet, dass ein Kind etwas Giftiges gegessen oder mit etwas Giftigem in Kontakt gekommen sein könnte, was dann?
Wenn ein Kind etwas möglicherweise Giftiges gegessen oder getrunken hat – wie zum Beispiel Reinigungsmittel, Kaminanzünder oder bestimmte Pflanzen – hilft das Giftinformationszentrum 24/7 unter der 0551/19240.
Was passiert, wenn Eltern mit einem „verschnupften“ Kind in die Notaufnahme kommen?
Eltern kommen sehr oft mit Kindern in die Notaufnahme, die an banalen Infekten oder schon seit Wochen bestehende Beschwerden leiden. Auch wenn die Sorge der Eltern absolut verständlich ist, ist dies für die Abläufe in der Notaufnahme eine Herausforderung. Kinder, die nicht schwer erkrankt sind, gehören nicht in eine Notaufnahme. Das Kindernotaufnahmeteam muss schwer kranke Patient:innen versorgen, die Behandlungsreihenfolge richtet sich nach der Erkrankungsschwere (Triage). Kinder, die die Notaufnahme mit dem Rettungswagen erreichen oder die schwere Vorerkrankungen oder akut bedrohliche Probleme haben, gehen vor. Daher warten Familien mit nur leicht oder nicht akut erkrankten Kindern oft viele Stunden auf eine Behandlung. Das ist für alle Beteiligten, in erster Linie für die betroffenen Familien, unbefriedigend und kann dadurch vermieden werden, dass banale gesundheitliche Probleme durch die Kinderärztin, den Kinderarzt oder den KV-Notdienst behandelt werden.
Gibt es im Ablauf große Unterschiede zwischen der Kinder- und der „normalen“ Notaufnahme?
Die Behandlung in der Kindernotaufnahme ist ähnlich zu der in einer Erwachsenennotaufnahme. Wenn die Patient:innen in die Notaufnahme kommen, erfolgt eine Ersteinschätzung (Triage) durch eine erfahrene Pflegende. Hier wird geschaut, wie krank das Kind ist und wie schnell es einer Behandlung unterzogen werden muss. Neben dem Wartebereich vor der Notaufnahme können Patient:innen auch über die Außentüren direkt in die Notaufnahme gelangen, z. B. mit dem Rettungswagen. Die Kindernotaufnahme behandelt viele Kinder mit schweren Vor- und Akuterkrankungen. Kinder mit Verletzungen und chirurgisch zu versorgenden Problemen werden in erster Linie von der Kinderchirurgie gesehen, alle anderen Kinder von einer Kinderärztin oder einem Kinderarzt. Wir sind ein interdisziplinäres Team aus Pflegenden, Ärztinnen und Ärzten, Mitarbeitenden in der Aufnahme und medizinischen Fachangestellten und arbeiten eng mit weiteren Disziplinen wie der Radiologie, der HNO- oder Augenklinik und vielen anderen Kliniken zusammen.
Was sollte Eltern bewusst sein, wenn sie in die Kindernotaufnahme gehen?
Es ist mir wichtig zu betonen, dass wir die Ängste und den Stress der Kinder und Angehörigen, die unsere Kindernotaufnahme besuchen, verstehen. In vielen Fällen können wir den Betroffenen die Sorgen etwas nehmen, wenn die Erkrankungen nicht so schlimm wie erwartet sind. Aber es gibt auch viele schwere Erkrankungen, die wir in der Kindernotaufnahme feststellen und behandeln. Es ist uns dabei stets wichtig, dass die Angehörigen sich bei uns gut aufgehoben fühlen und wir liebevoll mit den Kindern umgehen. Wir brauchen aber auch mehr Verständnis dafür, dass die Ressourcen der Kindernotaufnahme begrenzt sind. Wir arbeiten so gut und so schnell wie wir können, aber wenn ein Rettungswagen mit einem kritisch kranken Kind ankommt, müssen weniger erkrankte Patient:innen und ihre Familien warten - manchmal über Stunden.
Das tut uns leid, wir fühlen mit den Eltern. Aber es muss auch klar sein: Es geht in dem Moment um die am schwersten erkrankten Patient:innen. Auch dass wir oft keine Möglichkeiten zur stationären Aufnahme mehr haben und Kinder in andere Kliniken verlegen müssen, weil alle Betten in unserer Kinderklinik belegt sind, bedauern wir. Wir engagieren uns gesellschaftlich, mehr Ressourcen für die Kinderheilkunde zu erreichen und laden alle Eltern dazu ein, uns dabei zu unterstützen. Die Versorgung von kritisch erkrankten Kindern ist unsere Herzensangelegenheit, aber sie kostet eben auch Zeit und Geld und muss der Gesellschaft etwas wert sein!
Die Fragen stellte: Janna Zurheiden